"Un métier sérieux - Ein richtig guter Job" in der Kinothek Lustenau (Foto: Filmcoopi Zürich)
Silvia Thurner · 27. Sep 2024 · Musik

Hörerlebnisse von Lernenden und einem Meister

Die Bludenzer Tage zeitgemäßer Musik wurden mit zwei konträren Werken eröffnet

Das renommierte Wiener Ensemble Phace unter der Leitung von Nacho de Paz eröffnete in der Remise die diesjährigen Bludenzer Tage zeitgemäßer Musik (btzm) mit zwei gegensätzlichen Werken. Zuerst wurde „Stille Post“ eines Komponierendenkollektivs aus der Klasse von Clara Iannotta uraufgeführt und danach die musiktheatralisch konzipierte Komposition „Professor Bad Trip: Lessons I-III“ von Fausto Romitelli interpretiert. Besonders dieses Werk bündelte die Energien und zog das Publikum in seinen Bann.

Gaia Aloisi, Claudia Canãmero Ballestar, Isaac Blumfield, Yuheng Chen, Giuseppe Franza, Yoko Konishi, Manuel Hidalgo Navas, Miguel Segura Sogorb und Sophie Wallner studieren an der Musikuniversität in Wien in der Kompositionsklasse von Clara Iannotta. In den vergangenen Monaten konzentrierten sie sich darauf, im Kollektiv ihre musikalische Kreativität zu bündeln und diese in einem gemeinschaftlich erarbeiteten Werk zum Ausdruck zu bringen. Die Studierenden hatten dabei ein besonderes Glück, denn das hervorragende Ensemble Phace brachten das Notierte zu Gehör und Clara Iannotta setzte das Werk auf das Programm der btzm. 
Den Zuhörenden wurde eine Art Klangstudie präsentiert, in der die Musiker:innen in der Besetzung mit Violine (Ivana Pristasova Zaugg), Viola (Petra Ackermann), Violoncello (Roland Schueler), Kontrabass (Maximilian Ölz), Flöte (Doris Nicoletti), Bassklarinette (Walter Seebacher), Perkussion (Manuel Alcarez Clemente) und Klavier (Mathilde Hoursiangou) changierende Tonlinien und Klangflächen ausbreitete. In einzelnen Abschnitten entwickelten sich unterschiedliche Energielevels und das Tonmaterial vorangegangener Teile bot Ausgangspunkte für das Folgende. So wurde in einer Passage flirrende Gesten im Korpus des Klaviers erzeugt und mit „Störfaktoren“ gestoppt. Pulsierende Passagen betonten die Zeitachse des gut proportionierten Klanggeschehens. Unterschiedliche Spieltechniken der Streicher- und Blasinstrumente, wie Slaptongue, lenkten die Aufmerksamkeit auf sich. In der Schlusspassage formten sich satztechnische Prinzipien der tradierten Musik in modernem Klanggewand, die die Musiker:innen in einer guten Kommunikation ausformten. Doch mehr als eine gelungene Kompositionsstudie eines Komponierendenkollektivs mit eher wenigen Ecken und Kanten wurde dem Publikum nicht geboten.

Drei mitreißende musikalische Trips

Ein anderes Kaliber wies das Werk „Professor Bad Trip: Lessons I-III“ für Ensemble und Elektronik des italienischen Komponisten Fausto Romitelli auf. Der leider mit erst 42 Jahren verstorbene Komponist erregte um die Jahrtausendwende ins 21. Jahrhundert als bedeutender Klangexperimentator Aufsehen. Ronitelli war ständig auf der Suche nach exzessiv wirkenden neuen Schallereignissen, Klangballungen und Tonqualitäten, die er mit elektronischen Mitteln über Genregrenzen hinweg verfremdete, für den Gesamtkontext eines Werkes nutzbar machte und zu spektakulären Soundskulpturen zusammenfügte.
Inspiriert wurde der Komponist von Werken des Dichters und Malers Henri Michaux, in denen dieser von psychodelischen und halluzinatorischen Wirkungen von Mezalin berichtet. Vom ersten bis zum letzten Ton spannend waren die „Lesson I“ und „Lesson II“ angelegt. Anleihen an die Rockmusik machte der Einsatz von E-Gitarren deutlich. Den einzelnen Klanggebilden verliehen sie ihr spezielles Profil. Die Klangregie von Alfred Reiter setzte alle beteiligten Instrumente hervorragend in Szene.
Im ersten Abschnitt entwickelte sich der Sound erst allmählich über wellenförmig sich aufbauende Tongeflechte. In wohl dosierten Spannungsbögen wurden Charaktere herauskristallisiert, die sich meistens über einem starken Klanggrund erhoben. Die imanenten Energieschübe mündeten zum Ende des Abschnitts in einem ruhigen Klangfluss. Mit schroffen Linien und elektronisch manipulierten Sounds wurde in der  „Lesson II“ noch eins draufgesetzt. Das lange Violoncellosolo von Roland Schueler mit den elektronischen Verfremdungen zog die Zuhörenden in seinen Bann, bis sich auch in diesem Abschnitt das musikalisch dichte Tongewebe beruhigte und allmählich auseinanderdriftete.
Einen großen Tonraum öffnete die „Lesson III“, in der musikalisch eher die Extreme bedient wurden und auch Tieftöner die Klangintensität verstärkten. Insgesamt wirkte dieser Abschnitt jedoch weniger stringent und die Darbietung gelang dem Ensemble nicht ganz kongruent aufeinander abgestimmt. Dies tat aber dem fesselnden Hörerlebnis keinen Abbruch. Das Publikum reagierte begeistert.

Mirela Ivičević - neue Intendantin der btzm

Clara Iannotta verabschiedet sich nach den diesjährigen btzm als Intendantin des Festivals. Die alljährlich parallel zum Festival stattfindenden Meisterklassen brachten viele junge Komponist:innen mit deren Werken nach Bludenz. Für ihr kreatives Wirken, ihren Innovationsgeist, den Optimismus auch in schwierigen Zeiten und ihren Einsatz für die junge Generation bedankte sich der Obmann des Vereins AllerArt, Wolfgang Maurer.
Gemäß der Tradition, dass die scheidenden Intendanten jeweils einen Vorschlag für ihre Nachfolge machen, stellte Clara Iannotta die neue künstlerische Leiterin vor. In den kommenden Jahren wird die Komponistin Mirela Ivičević die Bludenzer Tage zeitgemäßer Musik leiten.
Die Künstlerin wurde 1980 in Split/Kroatien geboren, sie studierte Komposition, Multimedia-Komposition und Kulturmanagement in Zagreb, Wien und Graz und ist Mitbegründerin des Black Page Orchestra. Mirela Ivičević erhielt u. a. das Staatsstipendium des Österreichischen Bundeskanzleramtes, den Josip-Štolcer-Slavenski-Preis für das Musiktheater „PLANET 8“, den Erste Bank Kompositionspreis sowie den Komponist:innen-Förderpreis der Ernst von Siemens-Musikstiftung. 2019 war Mirela Ivičević als Stipendiatin Gast des Berliner Künstlerprogramms des DAAD.
Als Co-Kuratorin des Festivals zeitgenössischer Musik Dani Nove Glazbe in Split sammelte die Komponistin in den Jahren 2010 –2018 Erfahrungen in der künstlerischen Konzeption sowie Festivalgestaltung

 

Bludenzer Tage zeitgemäßer Musik - btzm
26. bis 29.September 2024
www.allerart-bludenz.at/btzm