Stefan Rüeschs Werke sind derzeit in der Galerie Sechzig in Feldkirch zu sehen. (Durchblick, Acryl u. Kohle auf Leinwand, 126 x 438, 2020, Foto: Markus Tretter)
Gunnar Landsgesell · 22. Okt 2015 · Film

The Walk

Nach dem Dokumentarfilm "Man on the Wire" (2008) sollen hier noch einmal die Ereignisse rund um Philippe Petit und dessen Drahtseilakt zwischen den Twin Towers von 1974 erzählt werden. Robert Zemeckis ("Forrest Gump") lässt die fiktionale Vorgeschichte vor allem als modernes Märchen voller drolliger Figuren entstehen.

Achtung, Spoiler: Glauben Sie der Werbung nicht alles, was sie verspricht. Während der Filmtrailer von „The Walk“ vor allem die Schauwerte des 3D-gerenderten Hochseilakts hoch über New York aufblitzen lässt, wird in den Medien schon das Gerücht viral, während der Vorstellung hätten sich Zuseher wegen akuter Schwindelanfälle im Kinosaal übergeben. Beides klingt nach starker Übertreibung. Tatsächlich entpuppt sich „The Walk“  durchaus als Film für schwache Nerven. Unter der Regie von Robert Zemeckis („Back to the Future“; „Forrest Gump“) verwandelt sich die Geschichte eines Franzosen, der vor 40 Jahren ein Seil in 400 Metern Höhe über die Twin Towers des World Trade Center gespannt hat, um darüber ohne jede Sicherung zu balancieren, in zwei Stunden nette Plauderei. Zemeckis inszenierte einen Film, der sich irgendwie französisch anfühlen soll, schließlich war der luftige Drahtseilakrobat Philippe Petit auch Franzose. Deshalb muss Joseph Gordon-Levitt („Inception“, „(500) Days of Summer“) auch so sprechen, als hätte er einen Frosch verschluckt. Bevor „The Walk“ tatsächlich in das ersehnte Finish in New York einbiegt, prüft er die Geduld bzw. Nerven seines Publikums mit zahlreichen Episoden aus dem Leben Petits. In einer Idee, die nicht ganz aufgeht, soll dadurch Spannung erzeugt werden, indem die Gruppe von Künstlern und Helfern, die Petit um sich schart, als eine Art Gaunertruppe in Szene gesetzt wird, die aber keinen Banküberfall plant, sondern den „Coup“ auf den Twin Towers. Vor allem bekommt aber ein Postkartenidyll namens Paris ordentlich Raum, dessen Bewohner aus Straßenkünstlerinnen, Träumern wie Petit und Zirkusdirektoren (Ben Kingsley) bestehen. Sie alle tauschen miteinander Dialoge aus, die von bemühter Komik und Liebenswürdigkeit durchsetzt sind. Wenn Petit bei einer Drahtseil-Probe über einem Teich zwischen belustigten Fischern und Wasservögeln im knietiefen Wasser landet, werden in der Art der Inszenierung deutlich märchenhafte Assoziationen hervorgerufen. Auch wenn sich vieles in „The Walk“ ziemlich künstlich anfühlt, was bei Zemeckis nie anders war, sieht dieser Film wohl bis ins Detail genauso aus, wie er konzipiert wurde. Nur Audrey Tautou fehlt vielleicht noch.

Eine Hommage am Ende


Eigentlich wurden die Ereignisse rund um den Seilakrobaten Petit bereits 2008 in dem groß angelegten Dokumentarfilm „Man on the Wire“ beleuchtet. Zemeckis hat dem inhaltlich nichts hinzuzufügen – etwa die interessante Frage, warum jemand wie Petit überhaupt sein Leben riskiert – außer die Wendung in eine drollige Erzählweise. Dass Petit in einer Rahmenhandlung durch den Film führt – er hockt symbolträchtig auf der Fackel der Freiheitsstatue, während im Hintergrund Manhattan und die WTO-Türme zu sehen sind – will zum illusionistischen Ambiente des Films nicht ganz passen. Man mag hier eher eine implizite Beschreibung der Persönlichkeit Petits ablesen, ein Mann, der zur Selbsthistorisierung und zur großen Geste neigt. Am Ende verneigen sich die Polizisten tatsächlich vor ihm und seiner Leistung und er erhält ein Ticket für den Besuch der Aussichtsplattform geschenkt, auf dem „forever“ steht. Das wäre eigentlich der Moment, in dem die Rahmenhandlung Sinn bekäme, wenn der Verweis auf 9/11 folgen würde. Es gelingt beim Anblick der Twin Towers wohl niemandem mehr, nicht an deren Verschwinden zu denken. Mit dem Finale von „The Walk“ wird der filmischen Exploration der 400 Meter hohen Türme dann doch noch Tribut gezollt. Der (bemerkenswert windstille) Balanceakt, der bei Zemeckis durch das Auftauchen von City-Cops an beiden Enden des Seils merkbar gedehnt wird, darf als Hommage an Petit ebenso wie an die zerstörten Gebäude verstanden werden.