Tobias Grabher, die Camerata Musica Reno und Michael Köhlmeier bescherten dem Publikum ein „österliches Cineastenfest“.
Gunnar Landsgesell · 14. Jän 2016 · Film

The Revenant - Der Rückkehrer

Überwältigungskino der anderen Art. 150 Minuten kämpft Leonardo DiCaprio in einer beeindruckend inszenierten Schneelandschaft um sein Überleben. Bärenmütter erweisen sich dabei gleichermaßen als Feinde wie andere Trapper und Indianer. Die dünne Geschichte erfährt durch eine grandiose Inszenierung und eine schöne Allegorie auf die Mythen der Natur Kompensation. "The Revenant" wurde jüngst für 12 Oscars nominiert.

Glaubt man den Interviews, hat Leonardo DiCaprio für diese Rolle physisch alles gegeben (wiewohl die Liste an Stuntmen beeindruckend ist). Als Trapper Hugh Glass lassen ihn die Gefährten nach dem Angriff einer Grizzly-Bärin nahezu tot im Schnee zurück, das Grab ist bereits ausgehoben, Glass muss zudem einen Tötungsversuch durch einen anderen Frontiersman (Tom Hardy) überstehen. Auf allen Vieren kriecht er schließlich schon mehr im Jenseits über Stock und Stein durch die Wildnis Nordamerikas, wird gerettet und jagt zwischen Angriffen durch Indianer und französische Trapper zwei seiner mörderischen ehemaligen Gefährten. Was Regisseur Alejandro Gonzales Inarritu („Babel“) an Originalschauplätzen in USA, Kanada und Argentinien in Szene gesetzt hat, ist eine Tour de Force über zweieinhalb Stunden, die sich um eine komplexe Erzählung nicht kümmert und vor allem auf die sinnlichen Eindrücke abstellt. Ein Loch in der Kehle von Glass, durch das beim Trinken das Wasser gluckst, Blut und Narben, Pfeile, die Hälse durchbohren, werden ebenso als authentische Belege für die Wildnis der Frontier Nordamerikas präsentiert wie schneeglitzernde Berge und beeindruckende Aufnahmen von düsteren Waldlandschaften und eisig-kalten Prärien und Flüssen, die Kameramann Emmanuel Lubezki ohne künstliches Licht mit schwebenden, kreisenden Bildern zu einem hautnahen, großen Natur- und Abenteuerdrama in den Weiten Kanadas, der USA und Süd-Argentiniens verbindet. „The Revenant“ ist kein Film der schnellen, harten Schnitte. Die Brutalität des Geschehens und dessen fließende, fast schon assoziative Inszenierung im Stil von Terrence Malick („The New World“) sind die wohl größte Attraktion, die „The Revenant“ zu bieten hat. Eine kompositorische Höchstleistung von Inarritu und Lubezki (übrigens Malicks Kameramann), die man zumindest in der ersten halben Stunde merkt: Die Schauspieler müssen in einem Gemetzel punktgenau auf ihre Einsätze warten, bis die frei flottierende Kamera an ihnen vorbeischwebt. Erst dann darf vom Baum gefallen, vom Pfeil getroffen, vom Gegner gewürgt werden. Später verflüchtigt sich dieser Eindruck und die Dynamik zwischen Bildgebung und Aktion wird wieder stimmig.

Neue Vorstöße


Dass DiCaprio der Mann der Tausend Leben ist, muss man einfach so nehmen. Als Entschädigung dafür bietet „The Revenant“ eine schöne Metapher, in der sich die Grenzlinien zwischen Natur und Mensch immer wieder auflösen. Der Trapper Glass verwandelt sich in einen Bären, wenn er in dessen Fell gehüllt den Gegnern und der Kälte trotzt. Als er mit seinem Pferd auf der Flucht einen tiefen Abhang hinunterstürzt, nimmt er das tote Tier aus und legt sich hinein. Später sieht man ihn etwa, wie er eine Schneehöhle baut, in die er kriecht. Diese Versöhnung mit der Natur als nie endende Kette an Lebensrettungen findet sich auch auf der inhaltlichen Ebene wieder, wo die Praktiken der Native Americans bis hin zu rituellen und mythischen Werten immer wieder eine Rolle spielen. Weniger gelungen ist die Klammer, die Glass als Ehemann einer getöteten Indianerin und ihrem gemeinsamen Sohn zeigt. Hier steht mehr die Kritik an der Siedlungsgeschichte Amerikas Pate als eine empathische Beziehung. Dass Inarritu hautnahes Kino inszenieren will, das sich von üblichen (Action-)Standards abhebt, ist evident. Während seiner Torturen rückt die Kamera DiCaprio einmal so nahe, dass sein Atem mehrfach die Linse beschlägt. Auch am Ende dieser grimmigen Geschichte wird der Hollywood-Star Richtung Publikum gedreht, um seinen Blick direkt dem Zuseher entgegenzuwerfen. Auch wenn Inarritu die Reflexionskraft Malicks abgeht oder die erzählerischen Qualitäten von Sydney Pollacks wunderbarem winterlichen „Western“ „Jeremiah Johnson“ (1972), so hat der mexikanische Regisseur im Segment des Überwältigungskino sicherlich neue Vorstöße gewagt. Das wurde eben erst mit der Nominierung für 12 Oscars belohnt.