Musiker:innen aus Südafrika und Kolumbien prägen den besonderen Charakter des Pforte Kammerorchesters Plus. (Foto: Aron Polcsik)
Gunnar Landsgesell · 10. Jun 2022 · Film

Alpenland

Die Alpen als ökologische und ökonomische Problemzone zwischen Massentourismus und angestammter bäuerlicher Kultur, die sich durchrackert. Eine kritische Betrachtung, die das Publikum selbst entscheiden lässt.

In Garmisch-Partenkirchen wird gebaut, die Preise sind exklusiv. In neu hochgezogenen Holzhäusern tritt eine Immobilienmaklerin in eingeübter Rhetorik auf den Plan: „Sie sehen bis zur Alpspitze, Wetterstein, Zugspitze, ein Blick, der spielt natürlich auch mit im Kostenpunkt“, sagt sie. Die potenzielle Käuferin zeigt sich ganz verständnisvoll: „Das ist klar, die Aussicht muss bezahlt werden.“ Schon ist man mittendrin in Robert Schabus‘ „Alpenland“, das sich hier durchwegs als Problemzone präsentiert. Vom familiären Bauernhof im Kärntner Mölltal, wo man mit Mühe und Not über die Runden kommt, bis zum überhitzten Immobilienmarkt in Garmisch ist es dabei nur ein Steinwurf weit. Schabus dreht an mehreren Orten, u.a. auch im französischen Skiort Meribel und im italienischen Premana, wo sich wacker viele Handwerksbetriebe in dem an die Steilwände geklatschten Ort halten. Die Alpen als unberührtes Naturparadies wird man in diesem Film eher nicht erleben. Seit die Wissenschaft nachgewiesen hat, dass es selbst Feinstaub und Mikroplastik auf die höchsten Gipfel weht, glaubt daran aber ohnehin niemand mehr. An unnötigen Zuspitzungen ist „Alpenland“ ohnehin nicht interessiert. Vielmehr versucht Schabus, das Leben im alpinen Raum auf lockere Weise zu gruppieren. Das produziert Kontraste, die auf eine gute Weise kein vorgefertigtes Bild ergeben. Man hat ein bisschen zu tun, das für sich zu sortieren.

Fasziniert von den Resten

Dass zu Beginn der Filmtitel „Alpenland“ ausgerechnet in einer Skihalle eingeblendet wird, darf als Verweis auf Künstlichkeit und technische Penetration verstanden werden. Kurz darauf erlebt man jedoch, wie eine Kuh auf einem schmalen Pfad abstürzt, während die Bauern versuchen, ihre Tiere weiter über die gefährliche Passage zu lotsen. Während also den Touristen ein wettersicheres Event geboten wird, erlebt man die Bergbewohner eher auf einer ökonomischen und zunehmend ökologischen Gratwanderung. Gut ins Bild passt da ein Förster in Garmisch, der seinen Dienst gar nicht so gerne gemacht hat. Überbevölkert sei es in den Alpen, erzählt er, dennoch zeigt er sich fasziniert von „den Resten" aus früherer Zeit, die man hier noch findet. Akribisch vergleicht er selbst gemachte Aufnahmen von vor ein paar Jahrzehnten mit denen von heute. Die Versiegelung schreitet auch hoch oben voran, die Alpen erscheinen einem im Film immer wieder als pointierter Schauplatz ganz allgemeiner gesellschaftlicher Entwicklungen. Dass die Gemeinde mit dem Verkauf sozial leistbarer Wohnungen neue Schneekanonen anschafft, ist dabei nur eines von vielen pointierten Details, mit denen Schabus die Kontraste dieser Region beschreibt. Und während der Arzt im französischen Meribel aufhört, und sich kein Nachfolger gefunden hat, wird das schweizerische Zermatt zum Hoffnungsort für Portugiesen. Die 300 Arbeitsmigranten vor einigen Jahren sind mittlerweile auf 2.000 angewachsen. Hier arbeiten sie nun bei den Bergbahnen und anderswo, solange es noch Schnee gibt, und sei es aus den energieaufwändigen Schneekanonen. Dann werden sie wohl wieder weiterziehen. Mit dem voranschreitenden Klimawandel präsentiert sich „Alpenland" ohnehin nur als eine – höchst spannende – Momentaufnahme.