Musiker:innen aus Südafrika und Kolumbien prägen den besonderen Charakter des Pforte Kammerorchesters Plus. (Foto: Aron Polcsik)
Gunnar Landsgesell · 01. Okt 2015 · Film

Alles steht Kopf

Neues von Pixar Studio: Die Psyche eines Mädchens wird hier zum kunterbunten Theater von Figuren wie Freude, Wut und Trauer. "Alles steht Kopf" ist eine Geschichte über Gefühle, die sich selbstständig machen. Mit verblüffendem Ergebnis.

Das Innere des Menschen als Abenteuer hat auch Hollywood schon mehrfach beschäftigt: Vor 30 Jahren schickte Joe Dante in „Innerspace“ Dennis Quaid in einem mikroskopisch kleinen U-Boot auf eine anatomische Kreuzfahrt durch die Blutbahnen eines Mannes, 1999 kroch John Cusack in „Being John Malkovich“ durch ein Hintertürl in das Hirn ebendieses Schauspielers und verlangte für seine Führungen am Ende noch Eintritt. Mit dem Animationsfilm „Inside Out“ / „Alles steht Kopf“ wird das Oberstübchen nun zum Schauplatz eines psychedelisch-fantastischen Trips, bei dem Pixar Studio die visuellen Möglichkeiten des Mediums auf teils urkomische Weise ausreizt.

Emotionen als widerstreitende Figuren


Die Story von „Inside Out“ ist auf eine Rumpfhandlung zusammengeschrumpft, weil das eigentliche Geschehen seine Impulse nahezu ausschließlich aus dem Gefühlsleben eines kleinen Mädchens bezieht: Riley muss mit seinen Eltern vom Naturparadies Minnesota ins gar nicht pittoreske San Francisco übersiedeln und wird hier erst von einer emotionalen Verwirrung und schließlich von einer unerklärlichen Trauer ergriffen. Was Riley nicht bewusst ist, breitet sich hingegen vor den Augen des Zusehers als gewitzte Satire zwischen materialisierten Begriffen der Psychologie auf: Hier werden Core Memories (zentrale Erinnerungen) als bunte Kugeln ins Bewusstsein von Riley hochgeladen wie in einem Flipper-Automat, während Mind Workers nicht mehr Gebrauchtes in die Schlucht des Vergessens kippen und ein Train of Thought unbekümmert durch das Gehirn tuckert. Die Idee, die Psyche als Drama aufzubereiten, in dem die Emotionen als widerstreitende Figuren auftreten, verblüfft immer wieder. Wer steuert hier eigentlich wen? Hat Riley ihre Gefühle unter Kontrolle oder sind es vielmehr die kleinen bunten Gestalten, die die pubertierende Riley von einer Kommandozentrale aus steuern wie damals Captain Kirk sein Raumschiff. Da gibt es die Wut, die hier als der stämmige knallrote „Anger“ auftritt, der immer dann zufrieden ist, wenn mal wieder jemand mit der Faust auf den Tisch haut. Und dann gibt es das kongeniale aber absolut unvereinbare Duo, Joy und Sadness, das im ständigen Widerstreit um die Grundstimmung von Riley ringt. Wenn Joy aufmunternd „cheer up“ sagt oder die Parole „Let’s keep smiling for dad!“ ausgegeben wird, hält die mutlose Sadness entgegen, dass das doch ohnehin nichts bringt.

„Inside Out“ entpuppt sich dabei als ausgesprochen US-amerikanisches Narrativ, das sich mit dem US-Fröhlichkeitsdiktat kritisch auseinandersetzt: Gelten Joys Aufträge wie „Make sure the sadness stays inside of this“ anfänglich noch als Patentrezept, um die zerbröselnde Familie wieder zusammenzuführen, setzt sich beim Emo-Team im Gehirn von Riley immer stärker die Erkenntnis durch, dass der tabuisierten Sadness in diesem Drama eine wichtigere Rolle eingeräumt werden muss. Unter der Regie von Pete Docter, der für schöne, geradezu rührende Arbeiten wie „Die Monster AG“ oder „Up“ verantwortlich zeichnet, behält auch „Inside Out“ trotz der – auch visuell – opulenten Ausflüge ins Fantastische immer Bodenhaftung: Es soll hier von ganz menschlichen Empfindungen erzählt werden, in die sich auch der Zuseher einklinken kann; in diesem Fall von einem Mädchen, das nicht mehr ganz glücklich ist. Selbstreferenzielle Scherze aller Art sind dennoch nicht verboten. Wenn Joy, Sadness und ein rosaroter Elefant in eine Fragmentierungskammer geraten, wo sie in mehreren Phasen zerteilt werden und nur noch als zweidimensionale Striche über die Leinwand kriechen, dann erinnert das in bester Tradition an den Meister des Meta-Humors, Tex Avery. Hier wie dort ergibt das, was auf der Leinwand und im Kopf des Zusehers passiert, ein kongeniales Zusammenspiel.