Das Nederlands Dans Theater 2 beim Bregenzer Frühling (Foto: Udo MIttelberger)
Silvia Thurner · 29. Jul 2023 · Musik

Fantasievoll erzählte Archetypen

„The Faggots and Their Friends between Revolutions“ von Philip Venables und Ted Huffman regte zum Weiterdenken an

Die Bregenzer Festspiele befinden sich mit den beiden angekündigten zeitgenössischen Musiktheatern von Philip Venables und Fabián Panisello am Puls der Zeit, denn darin werden aktuelle gesellschaftliche Fragestellungen thematisiert. Mit Spannung wurde Venables‘ als „barocke Fantasie“ bezeichnetes Werk „The Faggots and Their Friends between Revolutions“ erwartet. Unter der musikalischen Leitung von Yshani Perinpanayagam führte ein Ensemble die Zuhörenden in eine kontrastreiche Märchenwelt: Auf der einen Seite standen die fried- und freudvollen Faggots und ihre Freund:innen. Ihnen gegenüber wurde von der zerstörerischen Kraft der Männerwelt, bestehend aus kapitalismusorientierten Machthabern, erzählt. Sämtliche Darstellende performten mit einer bewundernswerten Ausdruckskraft, artikulierten die Texte sehr deutlich und mit großer Spielfreude. Der durchsichtig und eher einfach gesetzte Musikpart unterstützte die Emotionalität und die szenische „Temperatur“ der Handlung.

„The Faggots and Their Friends between Revolutions“ beruht auf dem gleichnamigen Buch des amerikanischen Schriftstellers Larry Mitchell. Das eigentlich als Kinderbuch gedachte und mit Illustrationen von Ned Asta versehene Buch wurde in den 1970er Jahren als Erzählung und Manifest der queeren Community gefeiert.

Mit zeitgenössischen Inhalten entwickelte der Librettist und Regisseur Ted Huffman das als „Bedtimestory“ aufbereitete Stück bis in die Gegenwart weiter. Wer sich - wie angekündigt - ein barockes, üppiges Fest oder gar eine Oper erwartet hatte, wurde von dieser Performance enttäuscht. Zwar erklangen auch barocke Instrumente, unter anderem eine Viola da Gamba, Cembalo und Orgel. Doch sie wurden wohl aufgrund ihrer feinen Klangfarben ausgewählt und ergänzten das übrige Instrumentarium aus Violine, Gitarre, Akkordeon, Klavier, Flöte, Sopransaxofon, Perkussion und Röhrenglocken.

Kompositorisch war „The Faggots and Their Friends between Revolutions“ als eine Art Singspiel bzw. Musical angelegt. Lieder, Arien, Gesänge im Stil von politisch gedachten Agitationssongs, Bossa Nova und Technosounds setzte Philip Venables für die musikalische Textdeutung ein. Dabei changierte er zwischen Versatzstücken der Singer-Songwriter-Szene sowie barocken Stilmitteln. Die Allusionen an Dowland, Händel sowie Popsongs der Gegenwart korrespondierten gut mit den handelnden Personen, weil Genre- und Geschlechtergrenzen aufgehoben wurden und unbedeutend waren.

Humorvoll und mit Leichtigkeit stellten Kit Green und die ausdrucksstarke Tänzerin Yandass die Geschichte der Faggots in den Raum gestellt. Das Ensemble (Kerry Bursey, Jacob Garside, Conor Gricmanis, Eric Lamb, Meriel Price, Joy Smith und Sally Swanson) brachte viel Bewegung auf die Bühne und interpretierte die Musik multiinstrumental und vielseitig. Zudem gestalteten die Sänger:innen Deepa Johnny, Katherine Goforth, Mariamielle Lamagat, Themba Mvula und Collin Shay die Vokalparts hervorragend aus.

Alle Tasteninstrumente wurden variabel im Bühnenraum geführt. Dies gewährte dem sich ständig in Bewegung befindenden Ensemble viel Dynamik. Hervorragend unterstützt wurde die Körperpräsenz der Performer:innen durch die Lichtführung von Bertrand Couderc und die Klangregie von Simon Hendry.

Geschickt wurde auf eine plumpe Darstellung von militanten Machthabern verzichtet und stattdessen erzählend darauf verwiesen. Einen Höhepunkt bildete der Abschnitt der „2. Revolution“, in dem die Kapitalismuskritik mit Blättern und Zetteln ausgedeutet wurde. Das Papier diente gleichzeitig als Sinnbild für die machthabende Männerwelt und beim Zerknüllen und Zerreißen als Sound- und rhythmisierendes Element. Auch Schlüssel wurden als Sinnbild für die Machos der Gesellschaft verwendet. Amüsant und zugleich hintergründig ‚moderierte‘ Kit Green, direkt an das Publikum gewandt, und animierte zum Mitsingen eines mit Schlüsseln begleiteten Liedes.

Die fantasievoll aufbereiteten kulturgeschichtlichen Hintergründe, angesiedelt in der Konfrontation der Gesellschaftsordnungen von Patriachat und Matriarchat, sowie die Kapitalismuskritik waren nicht gefeit vor einer allzu großen Sozial- und Naturromantik. Doch trotz seiner etwas langen Dauer kam die für unsere Gegenwart wichtige gesellschaftspolitische Gedankenwelt eindrücklich zur Geltung. In Erinnerung bleibt vor allem die zugleich tiefsinnige, aber stets spielerisch humorvolle, auch augenzwinkernde künstlerisch farbenreiche Umsetzung.