Die Theatergruppe "dieheroldfliri.at" zeigt derzeit ihr neues Stück "Das Rote vom Ei" (Foto: Mark Mosman)
Silvia Thurner · 05. Mai 2023 · Gesellschaft

emsiana – über Mut, Wagemut, Demut und Übermut

Die tonart Sinfonietta, das Rheingold Quartett und Eva Menasse eröffneten die emsiana

Das Hohenemser Kulturfest emsiana geht an diesem Wochenende in der 13. Ausgabe über die Bühne. Unter dem vielsagenden Motto „über Mut“ treffen sich Künstler:innen aller Genres mit jungen und älteren Menschen an vielen Orten zum gemeinsamen Kultur- und Kunsterleben. Der Markus-Sittikus-Saal war bei der Eröffnungsfeier bis auf den letzten Platz gefüllt, denn nicht nur die tonart Sinfonietta unter der Leitung von Markus Pferscher und das Rheingold Quartett mit einer hervorragenden Werkauswahl waren angesagt, sondern auch die Schriftstellerin Eva Menasse als Festrednerin. Sie lenkte den Blick auf die Frage des Mutes innerhalb des globalen Weltgeschehens sowie im Zeitalter der „digitalen Moderne“ und mutete den Zuhörenden viel Konzentrationsfähigkeit zu.

Die Werkauswahl mit Kompositionen von Karl Jenkins, Werner Pirchner und Joseph Haydn sowie die Spielart des Kammerorchesters tonart Sinfonietta unter der Leitung von Markus Pferscher versinnbildlichten die Leitgedanken der diesjährigen emsiana hervorragend und regten zum Weiterdenken an. Gleich zu Beginn stellte das Kammerorchester das Allegretto aus dem Concerto grosso „Palladio“ des walisischen Komponisten Karl Jenkins energiegeladen in den Raum. Der drängende Duktus und die Verdichtung der thematischen Hauptmotive unterstrichen über einem starken Bassfundament die Dringlichkeit der musikalischen Aussage.

Werner Pirchners Auseinandersetzung mit der Geschichte

Wie kein anderer schaffte es der Tiroler Komponist Werner Pirchner, eine politische Aussage in Musik zu verpacken. So gesehen waren die beiden zur Eröffnungsfeier der emsiana interpretierten Sätze aus der „Emigranten-Symphonie PWV 110“ hervorragend gewählt. Werner Pirchner komponierte das Werk ursprünglich als Bühnenmusik zu Bert Brechts „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“. In dem 1941 geschriebenen Theaterstück hat Brecht die Machtergreifung Hitlers ins Gangstermilieu transferiert. Werner Pirchner stellte seiner Komposition 1987 den Satz voran: „Gäbe es nicht Haydn, Mozart, Schubert, Bruckner, die Strauß-Familie, Mahler, Schönberg, Berg, Webern und Zawinul, wäre Hitler der weltweit bekannteste Österreicher … Grauslig! Dieses Stück ist einer meiner Versuche, mich mit unserer Geschichte auseinanderzusetzen.“
Wunderbar transparent formte das Kammerorchester den Widerstreit der musikalischen Themen im Abschnitt „Die logische Konsequenz des Marschierens“. Darin wurde ein stringentes Marschmotiv mit rhythmischer Raffinesse immer wieder aus dem Tritt gebracht. Auch im Teil „Ein Emigrant hat sich verrannt – in diese Symphonie“ drängte eine Phrase in den Klangvordergrund eines Folksongs, doch das fröhliche Hauptthema ließ sich dadurch wenig beeindrucken.

Das Rheingold Quartett präsentierte ein neues Werk

Die vier Hornisten Andreas Schuchter, Christoph Ellensohn, Martin Schöch und Lukas Rüdisser musizieren im Rheingold Quartett. Sie warteten im Markus-Sittikus-Saal mit einem neuen Werk des Ensemblemitglieds Lukas Rüdisser auf. Die „6 Bagatellen für 4 Hörner“ gaben den hervorragenden Musikern ausreichend Gelegenheit, ihre kraftvollen Instrumente in Szene zu setzen. Gleichzeitig kamen in den auf volksmusikalischen Themen beruhenden kurzen Stücken choralartige Harmonien in gut ausbalancierten Stimmen schön zur Geltung. Den Höhepunkt bildete der humorvolle fünfte Abschnitt mit den gestopften Hörnern, in dem sich Dixie und Volksmusik ein amüsantes Stelldichein gaben.
Abgerundet wurden die musikalischen Darbietungen mit drei Sätzen aus der Sinfonie Nr. 31 von Joseph Haydn. Temperamentvoll und wagemutig interpretierte das Kammerorchester das mit vier Hörnern besetzte Werk, Opulenz verströmte das fanfarenähnliche Rahmenmotiv. Die willkommene Gelegenheit, wirkungsvoll in den Vordergrund zu treten, wurde den Solist:innen an der Violine, dem Violoncello, dem Kontrabass, der Flöte und den Oboen im Variationssatz geboten.

Inhaltsreiche Überlegungen der Festrednerin

Mit Spannung wurde die Festrede von Eva Menasse erwartet. Die Schriftstellerin und ehemalige Journalistin hat sich nie gescheut, aktiv kulturpolitisch Stellung zu beziehen. Im Jahr 2021 ist ihr viel beachteter Roman „Dunkelblum“ erschienen. Über Mut spreche man oft in Sonntagsreden und hauptsächlich in jenen Momenten, wenn der Mut fehle, stellte die in Berlin lebende Autorin einleitend fest. Dann führte sie aus, dass es in unseren demokratischen Ländern heutzutage schon als mutig angesehen werde, wenn jemand in aller Ruhe eine Meinung vertrete oder aufzeige, während andere aus Bequemlichkeit oder um des guten Scheins willen nichts sagen. Wahren Mut würden jedoch die Frauen im Iran oder die schweigend mit weißen Papierblättern demonstrierenden russischen Menschen beweisen, betonte die Festrednerin. Sodann zitierte sie Hans Magnus Enzensberger, der unter anderem die Feigheit im Journalismus anprangerte und sich mehr Mut und Verstand wünschte.
Den Hauptteil ihrer Festrede widmete Eva Menasse der „Digitalen Moderne“, die viele Schäden verursache und eine wahre Mutvernichtungsmaschine sei. Die Massenkommunikation im Internet führe zu einer „Informationsapokalypse“ und trage das Paradoxon in sich, dass sie trotz vermeintlicher Offenheit zu Überwachung und Radikalisierung führe. Die digitale Kommunikation sei entgleist, gab Eva Menasse zu bedenken. In diesem Zusammenhang dürften sich Journalist:innen nicht einschüchtern lassen und müssten ihre Meinung zur Diskussion stellen, intellektuelle Feigheit sei das schlimmste. Dabei sollten auch Grenzen überschritten werden. Wer immer schon lange vor Grenzen halt mache, würde Grenzen auch nicht spüren, legte die Festrednerin dar. In einem weiten Bogen sprach Eva Menasse auch die Jerusalemer Erklärung zum Antisemitismus an und kam schließlich auf derzeitige, antidemokratische Strömungen in den USA zu sprechen.
Eva Menasse brachte vielschichtige Überlegungen ein, die zum Weiterdenken anregten. Doch ihre Darbietung war mehr ein in raschem Lesefluss vorgetragener Text als eine Rede.
Bevor die zahlreichen Ausstellungseröffnungen gefeiert wurden, endete die Eröffnungsfeier pathetisch. Der Gesangsverein Hohenems, das Kammerorchester und viele Gäste zelebrierten das traditionelle Lied „Abschied von Ems“.

emsiana – Kulturfest Hohenems
Do, 4.5. – So, 7.5.
www.emsiana.at