"Mit einem Tiger schlafen": Anja Salomonowitz‘ Spielfilm über die Künstlerin Maria Lassnig derzeit in den Vorarlberger Kinos (Foto: Stadtkino Wien Filmverleih)
Michael Löbl · 16. Okt 2023 · Musik

Das Festival :alpenarte unter neuer Leitung

Von Freitag bis Sonntag fand in Schwarzenberg die erste Ausgabe des Festivals mit einem interessanten Programmkonzept statt.

Was muss das für ein Ensemble sein, in dem der Konzertmeister der Wiener Philharmoniker die zweite Geige spielt? So geschehen am Samstagabend auf der Bühne des Angelika-Kauffmann-Saales in Schwarzenberg. Das neue Intendantenduo, die Geschwister Matthias und Anna Maria Honeck, haben eine exzellente Auswahl an Musikern zusammengestellt. Das gilt sowohl für das „Grand Concert“ im Saal als auch für das „Pre-Concert“ mit jungen Vorarlberger Musikern im Foyer.

Landauf landab wird nach neuen Konzertformaten gesucht, auch in Vorarlberg ist man auf diesem Gebiet nicht untätig. Am weitesten gehen hier zweifellos die Montforter Zwischentöne, die immer wieder radikal Neues ausprobieren und mit dem Hugo-Wettbewerb junge Leute motivieren, sich über die Zukunft des Konzertlebens Gedanken zu machen und diese Gedanken in die Tat umzusetzen. Auch die :alpenarte ging bereits unter der Leitung von Dražen Domjanic neue Wege, allerdings eher in einer Soft-Version. Dieses Konzept wird nun weiter fortgesetzt und erweitert. Das Festival vereint verschiedene Gattungen wie Musik, Bildende Kunst und Kulinarik, dazu kommt Musikvermittlung für Schüler aber auch für Konzertbesucher.

Spartenübergreifendes Konzept

Das dreitägige Programm ist wirklich vielfältig, künstlerisch hochwertig, organisatorisch aufwendig und gut durchdacht. Die Mischung von heimischen und internationalen Künstler:innen mehrerer Sparten ist reizvoll und zeigt darüber hinaus das Potenzial der heimischen Kulturszene. Für das Publikum gibt es mehrere Gelegenheiten mit den Protagonist:innen in Kontakt zu treten, durch Interviews auf der Bühne bekommen alle Musiker:innen ihre eigene Stimme. Rund um die fünf Konzerte kann man sich durch den Bregenzerwälder Koch Wolfgang Mätzler kulinarisch verwöhnen lassen und die Werke der bildendenen Künstlerin Felicia Gulda und des Künstlers Johannes Muxel bewundern. Dazu kommt eine Uraufführung, die Umrahmung des sonntäglichen Gottesdienstes in der Pfarrkirche Andelsbuch durch das schwedische Vokalensemble Aora sowie ein Musikvermittlungsprogramm für Vorarlberger Schulen, allerdings nicht mit Festivalmusiker:innen, sondern dem Blockflötentrio Vivid Consort aus Wien.
Das Publikum bekommt einiges geboten für sein Geld. Am Samstag betrug die Zeitspanne vom ersten Ton des „Pre-Concerts“ bis zum letzten des „Grand Concerts“ exakt vier Stunden und zwanzig Minuten, natürlich inklusive Pausen und der sehr zeitaufwändigen Moderation. Ausnahmslos jeder Musiker und jede Musikerin wurde von Matthias Honeck interviewt. Vielleicht sollte man hier eine Auswahl treffen, denn nicht alle hatten wirklich etwas zu sagen oder überhaupt Lust darauf. Über die gespielten Werke hingegen erfuhr man den ganzen Abend nichts, weder mündlich noch im Programmheft. Aber wer bitte kennt Komponisten wie Ondřej Kukal, Reinhold Glière oder Franz Waxman? Letzterer schrieb Filmmusik unter anderem für Billy Wilder und Alfred Hitchcock und war zweifacher Oscar-Preisträger. Auch der Geiger und Komponist Fritz Kreisler, der über den ganzen Abend immer wieder Thema war, wird einem Großteil des Publikums vermutlich unbekannt sein.

Junge Vorarlberger unter sich

Die musikalischen Leistungen waren alle auf sehr hohem Niveau. Dass nicht ganze Werke, sondern nur Ausschnitte oder einzelne Sätze gespielt werden, ist schon früher ein Markenzeichen der :alpenarte gewesen. Musikpurist:innen stören sich daran, aber für die Zuhörer:innen ist es interessant, die insgesamt zehn Musiker:innen stilistisch möglichst umfassend kennenzulernen. Sowohl im Foyer als auch im Saal gab es ein Streichquartett ergänzt durch Klarinette und Klavier. Zunächst das „Pre-Concert“ mit jungen Vorarlberger Musiker:innen und Werken von D. Schostakowitsch, A. Dvořak, F. Kreisler, J. Brahms und O. Kukal. Leider konnte sich der Klang der Instrumente im Foyer wegen der geringen Raumhöhe nicht so richtig entfalten, außerdem stand die Musik in ständiger akustischer Konkurrenz zu verschiedenen Küchengeräten sowie Wein- und Proseccogläsern. Die fünf hervorragenden Musiker:innen ließen sich davon aber nicht ablenken. Es handelt sich um einen Klarinettisten mit Wurzeln in Lustenau und die Elite der jungen Vorarlberger Streicher:innen, die ihre Zelte allerdings derzeit in Wien oder Berlin aufgeschlagen haben. Den Geiger David Kessler, Akademist bei den Wiener Philharmonikern, werden wir wohl bald als reguläres Mitglied dieses Orchesters bei einem Neujahrskonzert bewundern können. Auch Rahel Neyer aus Bludenz studiert derzeit Violine an der Musikuniversität Wien, während es den Bratschisten Fridolin Schöbi an die Universität der Künste nach Berlin gezogen hat. Die aus Lustenau stammende Cellistin Hannah Amann ist derzeit Akademistin beim RSO Wien. Höhepunkt dieses Foyer-Konzertes war zweifellos das geniale Stück „Clarinettino“ des tschechischen Komponisten Ondřej Kukal, ebenso genial interpretiert durch die vier Streicher:innen und den Klarinettisten Alexander Svetnitsky-Ehrenreich.

Ein bemerkenswert homogenes Spitzenensemble

Nach einer halbstündigen Pause wurde in den Saal umgezogen, wo dann ein bunt zusammengewürfeltes Ensemble rund um Yamen Saadi, den aus Israel stammenden neuen Konzertmeister der Wiener Philharmoniker, auf der Bühne Platz nahm. Seine Mitstreiter:innen waren der französische Geiger Mohamed Hiber, die Bratschistin Hwayoon Lee aus Südkorea, der deutsche Cellist Philipp Schupelius und der Wiener Pianist Lukas Sternath. Auch Alexander Svetnitsky-Ehrenreich an der Klarinette war wieder dabei. Das bemerkenswert homogene Ensemble aus internationalen Spitzenmusikern präsentierte ein bunt gemischtes, abwechslungsreiches Programm mit einzelnen Sätzen aus Werken von D. Schostakowitsch, R. Schumann, M. Bruch und S. Rachmaninoff. Höhepunkte waren der zweite Satz aus Antonín Dvořaks Klavierquintett op. 81 und die unglaublich virtuose Carmen-Fantasie von Franz Waxman in einer Bearbeitung für Cello und Klavier. Yamen Saadi und Mohamed Hiber wechselten einander an der ersten Violine ab, beide verbindet ihre Konzertmeistertätigkeit im West-Eastern Divan Orchestra unter Daniel Barenboim. Wie Hwayoon Lee war auch Mohamed Hiber Stipendiat der Anne-Sophie Mutter Stiftung und ist derzeit Gastkonzertmeister bei grossen Orchestern wie den Münchner Philharmonikern oder den Wiener Symphonikern. Philipp Schupelius und Lukas Sternath machten in letzter Zeit durch Wettbewerbserfolge auf sich aufmerksam. Der Cellist ist Gewinner des Deutschen Musikwettbewerbes 2023, Lukas Sternath wurden 2022 beim renommierten ARD-Wettbewerb in München der Erste Preis und sieben Sonderpreise zugesprochen.
Man kann dem Geschäftsführer Hans Metzler, dem Intendanten Matthias Honeck und seiner für das künstlerische Management verantwortlichen Schwester Anna Maria zu einem erfolgreichen Festivalstart gratulieren. Es ist zu hoffen, dass die beindruckende Liste mit Sponsoren und Unterstützern auch in den kommenden Jahren aktiv bleibt, damit sich :alpenarte weiterentwickeln und zu einem weiteren Fixpunkt in der mittlerweile erstaunlich vielseitigen Festivallandschaft des Bregenzerwaldes werden kann.