Stefan Rüeschs Werke sind derzeit in der Galerie Sechzig in Feldkirch zu sehen. (Durchblick, Acryl u. Kohle auf Leinwand, 126 x 438, 2020, Foto: Markus Tretter)
Peter Füssl · 03. Feb 2009 · CD-Tipp

Enrico Rava: "New York Days"

Der mittlerweile auch schon 70-jährige, in Triest geborene Enrico Rava wechselte im Alter von 18 Jahren von der Dixieland-Posaune auf die Jazz-Trompete, nachdem er Miles Davis spielen gehört hatte. Via Steve Lacy und Don Cherry kam Rava 1967 nach New York, wo er unter anderem mit Cecil Taylor, dem Jazz Composers Orchestra und Roswell Rudd musizierte, aber selbst in seiner experimentellsten Phase stets größten Wert auf melodisches Spiel und kultivierten Sound legte. Enrico Rava ist nunmehr schon seit 35 Jahren zurück in Europa und hat den europäischen Jazz im allgemeinen und den italienischen im besonderen maßgeblich mitgeprägt – Miles Davis und New York blieben aber stets hörbare Einflüsse im reichhaltigen Oeuvre des Startrompeters. So ist es nicht weiter verwunderlich, dass er sich im Februar 2008 in die New Yorker Avatar Studios begab, um seinen reichhaltigen Erinnerungen nachzuspüren – mit erstklassigen Musikern an seiner Seite. Aus Italien brachte er den Langzeit-Weggefährten Stefano Bollani mit, der längst in der ersten Liga europäischer Pianisten anzusiedeln ist und mit Rava sozusagen im Blindflug zu kommunizieren versteht. An den Drums saß ein anderer Altmeister und guter Bekannter aus den 70-ern, Paul Motian, der mit Kontrabassist Larry Grenadier eine grandiose Rhythmsection ergibt. Und der umtriebige, in der Coltrane-Nachfolge stehende Tenorsaxophonist Mark Turner entpuppte sich als idealer Dialogpartner für den lyrischen Trompeter. Rava versuchte, einerseits wie Duke Ellington  für jeden einzelnen Musiker maßgeschneidert zu komponieren, und andrerseits wie Miles Davis so wenig wie möglich – eine Melodie, ein paar Akkorde, Andeutungen von Arrangements – vorzugeben, um den musikalischen Partnern möglichst viel Spielraum zur freien Entfaltung zu lassen. Aus diesem kreativen Spannungsfeld heraus entwickelten sich ausgeklügelte und vielschichtige Musikstücke, traumhafte Klangbilder von zeitloser Schönheit und durch höchste Sensibilität geprägte, mitunter auch ziemlich freie Gruppenimprovisationen. Ein wunderbares Meisterwerk, das nicht nur den Freunden einzigartiger Balladen große Freude bereiten wird, sondern durchaus auch handfestere Überraschungen bereithält. (ECM 2064 1772715 / Vertrieb: Lotus)