Aktuell in den Filmclubs (29.11. – 5.12.2024)
Am Spielboden Dornbirn steht diese Woche die deutsch-französische Coming-of-Age-Geschichte „Tandem – In welcher Sprache träumst du?“ auf dem Programm. In der Kinothek Lustenau wird dagegen nochmals Ruth Beckermanns großartiger Dokumentarfilm „Favoriten“ gezeigt.
Tandem – In welcher Sprache träumst du?: Gegensätzliche Charaktere treffen aufeinander, als die 15-jährige Straßburgerin Fanny (Litith Grasmug) im Zuge eines Sprachaustauschs in Leipzig ihre Brieffreundin Lena (Josefa Heinsius) besucht. Der introvertierten Französin, die, um Lena zu beeindrucken, Lügengeschichten über eine schwangere Freundin und eine Halbschwester erfindet, steht die politische engagierte Deutsche gegenüber. Dennoch kommen sich die beiden Teenager langsam näher. Es entwickelt sich eine Liebesgeschichte und Lena besucht bald ihre neue Freundin in Straßburg.
Frisch und natürlich agieren die beiden jugendlichen Hauptdarstellerinnen, allzu altklug und für das Alter zu reflektiert sind aber teilweise die politischen Kommentare von Lena. Problem des Films ist aber, dass sich Claire Burger nicht auf die Coming-of-Age- und Liebesgeschichte konzentrieren will, sondern auch noch eine ganze politische Agenda, die mit den Städten Straßburg und Leipzig schon zu Grunde gelegt wird, hineinpacken will. Da werden im Unterricht und in der Familie die Leipziger Demonstrationen von 1989 und die damalige ostdeutsche Demokratiebewegung ins Spiel gebracht, denen das heutige Aufblühen der AfD gegenübergestellt wird, und auch EU-Kritik des Opas darf nicht fehlen. Lena wiederum ist Fridays-for-Future-Anhängerin und rassistische Beschimpfungen in Straßburg nimmt der Film zum Anlass, um an die NS-Vergangenheit Deutschlands zu erinnern.
Vieles wird so angerissen, aber nichts wirklich vertieft, sondern verpackt in die Coming-of-Age-Geschichte wird europäisches Häppchen-Kino geboten, das nahe an der Jugend sein will, aber in seiner Zerfaserung nie wirklich Kraft und Intensität entwickelt. Zwar unterhält „Tandem – In welcher Sprache träumst du?“ mit seinem zügigen Erzähltempo und der Fokussierung auf den beiden Teenagern durchgängig, bleibt aber auch ohne Nachwirkung.
Spielboden Dornbirn: Sa 30.11., 17 Uhr
Favoriten: Drei Jahre lang begleitete Ruth Beckermann für ihren kommentarlosen Dokumentarfilm eine Lehrerin und ihre migrantischstämmigen Schüler:innen der größten Wiener Volksschule im Bezirk Favoriten. Vor beträchtliche Aufgaben ist die engagierte Pädagogin Ilkay Idiskut gestellt, denn am Beginn der zweiten Klasse können die Schüler:innen teilweise noch kaum Deutsch. Doch im Lauf der Zeit wird sichtbar, wie sie sich entwickeln, wie sich ihre Deutschkenntnisse verbessern, wie sie Referate halten und auch in Mathematik mit Aufgaben jenseits des Zehnerraums und nicht nur mit Additionen, sondern auch mit Multiplikationen konfrontiert werden. Doch nicht nur Lernstoff vermittelt die Lehrerin, sondern diskutiert mit ihren Schützlingen auch über Geschlechterrollen, Kleidungsvorschriften für Mädchen oder den Ukraine-Krieg.
Auch Kritik an schweren Defiziten des Bildungssystems tritt zu Tage, wenn der Direktor dem Kollegium erklären muss, dass es in diesem Schuljahr keine Sprachförderkurse mehr geben werde, dass die Schulsozialarbeiterin an eine andere Schule abgewandert sei und dass die Schulpsychologin bald in Karenz gehen werde und bislang kein Ersatz gefunden wurde.
Nah dran ist Beckermann nicht nur an der Lehrerin, sondern vor allem an den Schüler:innen, die sie immer wieder in Großaufnahmen ins Bild rückt. Sie sind entsprechend dem doppeldeutigen Titel, der sich nicht nur auf den zehnten Wiener Gemeindebezirk, sondern auch auf die Schüler:innen bezieht die Favorit:innen nicht nur der Lehrerin, sondern auch der Regisseurin.
Spürbar ein großes Nahverhältnis hat die Regisseurin zu dieser Klasse hergestellt. Völlig natürlich agieren nämlich sowohl die Kinder als auch die Lehrerin und trotz der Nähe stellt sich nie das Gefühl von Voyeurismus ein, sondern empathisch ist der Blick. Die schulischen Schwierigkeiten und Misserfolge der Kinder gehen einem ebenso nahe, wie man sich über ihre Fortschritte und Erfolge freut. Immer wieder kann man auch mit ihnen lachen, bis im Finale der Abschied nicht nur Frau Idiskut, sondern auch den Zuschauer:innen die Tränen in die Augen treiben kann.
Kinothek extra in der Kinothek Lustenau: Mo 2.12., 18 Uhr
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