Aktuell in den Filmclubs (17.1. – 23.1.2025)
Zwei Preisträger der letztjährigen Filmfestspiele von Cannes werden diese Woche in den Filmclubs gezeigt: Während beim FKC Dornbirn das ebenso realistische wie märchenhaft verträumte indische Frauendrama „All We Imagine as Light“ auf dem Programm steht, bietet in der LeinwandLounge Bludenz Sean Bakers „Anora“ mitreißende tragikomische Unterhaltung.
All We Imagine as Light: Die Inderin Payal Kapadia erzählt in ihrem in Cannes mit dem Großen Preis der Jury ausgezeichneten zweiten Langfilm subtil und poetisch von der wachsenden Solidarität dreier Frauen in Mumbai, deren Leben von gesellschaftlichen Normen und Klassengegensätzen eingeschränkt wird.
Mit arrangierter Ehe, religiösen Spannungen, Gentrifizierung und Verdrängung der ausgebeuteten Unterschicht schneidet Kapadia große sozialkritische Themen an, dennoch bleibt ihr Film sanft und poetisch und schlägt kaum kämpferische Töne an. Die 38-jährige Regisseurin entwickelt keine große dramatische Geschichte, sondern setzt vielmehr auf Stimmungen und die Vermittlung der stillen Sehnsüchte und Wünsche ihrer Protagonistinnen.
Wichtiger als Dialoge sind dabei Bilder und Musik. Intensiv evozieren so die Musik von Dhritiman Das und vor allem die Aufnahmen des nächtlichen Mumbai von Kameramann Ranabir Das eine Stimmung der Melancholie, die an die Filme Wong Kar-Wais erinnert. Ganz im Sinne des Titels arbeiten Kapadia und Das dabei meisterhaft mit Farben und Licht, was letztlich die Grundlage jedes Films ist. Blautöne der Krankenhauskleidung und der Nacht dominieren und einzelne erleuchtete Fenster in Hochhausfronten beschwören ebenso ein Gefühl der Einsamkeit und Verlorenheit wie die Busfahrten oder Spaziergänge durch die nächtliche Stadt oder die heimlichen Treffen eines Liebespaares.
Gerade weil nichts forciert wird, entwickelt sich ein Sog, der zunehmend tiefer in die Handlung und die Atmosphäre dieses realistisch verankerten, gleichzeitig aber auch verträumten Films hineinzieht. Mit der Fahrt ans Meer wächst dabei nicht nur die Freundschaft und Solidarität der drei Frauen, sondern, korrespondierend mit dem inneren Aufbruch, ändern sich auch die Bilder.
FKC Dornbirn im Cinema Dornbirn: Mi 22.1., 18 Uhr + Do 23.1., 19.30 Uhr
Anora: Die New Yorker Stripperin Anora (Mikey Madison) steigt durch die Heirat mit dem Sohn (Mark Eydelshteyn) eines russischen Oligarchen ins Luxus-Milieu auf, doch dessen Eltern sind über diese Heirat nicht erfreut.
Dynamisch und dicht entwickelt Sean Baker in seinem in Cannes mit der Goldenen Palme ausgezeichneten Spielfilm die Handlung. Prägnant stellt er der Sexarbeit das von Alkohol, Drogen und Sex bestimmte hedonistische Leben des unreifen Milliardärssohnes gegenüber. Dramatisch könnte „Anora“ mit dem Auftauchen von zwei scheinbar brutalen Schlägern werden, die das Paar trennen sollen, doch gerade hier entwickelt diese Tragikomödie Witz. Denn einerseits erweist sich Anora als äußerst wehrhaft, andererseits agiert der eine Schläger zurückhaltend, während der andere (hinreißend gespielt von Yura Borisov) sich sogar heimlich, aber unübersehbar in die Protagonistin verliebt.
Weckt die Geschichte mit dem lustvollen Spiel mit Klassengegensätzen und dem hohen Erzähltempo Erinnerungen an die Komödien von Billy Wilder und Howard Hawks, so steht die Inszenierung eher in der Tradition der Filme von John Cassavetes. Ziemlich großartig ist, wie Baker immer wieder lange Szene praktisch in Echtzeit inszeniert und wie er dabei sein perfekt gecastetes Ensemble zu Höchstleistungen treibt. Unglaublich authentisch wirken diese Szenen und der Schnitt, für den der Regisseur selbst verantwortlich zeichnet, sorgt dafür, dass nie Leerlauf aufkommt. Verpackt in mitreißende Unterhaltung verhandelt Baker aber auch Randständigkeit, thematisiert die Abschottung der Oberschicht gegenüber Aufsteigern und spielt lustvoll mit Rollenbildern.
LeinwandLounge in der Remise Bludenz: Mi 22.1., 19 Uhr
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