Stefan Rüeschs Werke sind derzeit in der Galerie Sechzig in Feldkirch zu sehen. (Durchblick, Acryl u. Kohle auf Leinwand, 126 x 438, 2020, Foto: Markus Tretter)
Fritz Jurmann · 02. Feb 2017 · Theater

Musikalisch exzellente Opernpremiere am Landestheater: „Orpheus sucht Frau“ oder „Das doppelte Lottchen“

Das war am Mittwoch in erster Linie ein exzellentes musikalisches Ereignis, das als solches vom ausverkauften Haus am Kornmarkt auch entsprechend bejubelt wurde. Der Beifall galt der hervorragenden Besetzung mit dem Orpheus an der Spitze gleichermaßen wie dem Bregenzer Festspielchor und dem Symphonieorchester Vorarlberg.

Christoph Willibald Glucks „Orpheus und Eurydike“ entstand in der jährlichen Koproduktion des Landestheaters mit dem SOV als eineinhalbstündiger komplexer Spannungsbogen, bei dem vor allem die musikalische Umsetzung faszinierte. Nicht ganz konform damit ging die Inszenierung von Intendant Alexander Kubelka mit einem Regiekonzept, bei dem einiges an Ungereimtheiten auszumachen war und das nicht immer so aufging, wie es wohl gedacht war.   

Dirigent als Zentralfigur

Der Mann des Abends aber ist der Dirigent Michael Hofstetter (55), seit 2005 bei der Schubertiade zugange, der mit dieser Arbeit in Bregenz debütierte. Dem heute international gefragten Barockspezialisten ist es gelungen, dieses als Reformoper gedachte Werk in der Wiener Fassung auf seine eigentliche Grundlage zurückzuführen. Denn das war schon im Entstehungsjahr 1762 genau genommen keine Barockoper mehr, sondern ein frühklassisches Werk, mit dem Gluck von der überladenen Instrumentation und Verzierungstechnik im Gesang abrücken wollte und in dem man überlieferte Koloraturen auch nur für den hier stilgerecht mit einem Countertenor besetzten Orpheus, aber kaum für die beiden weiblichen Rollen von Eurydike und Amor findet.
Auch der Orchesterklang muss bei Hofstetter nicht so sklavisch streng sein wie bei Monteverdi, da genügt es, wenn die hoch motivierten und vom kundigen Maestro intensiv gebrieften Musiker des SOV ihren modernen Instrumenten mit Hilfe von Vibratoarmut, Strichen, Artikulation und Phrasierung vor allem in den Streichern einen verblüffend authentischen, sehr persönlichen Anstrich geben. Dieser liegt irgendwo zwischen dem mittlerweile oft verkrampft nachvollzogenen Diktat eines Harnoncourt und der kompromissbeladenen, meist laschen so genannten „historisch informierten Spielweise“. Dazu ergeben straffe Tempi, extrem ausgereizte Dynamik und eine kluge Rhetorik in der Umsetzung der gefühlsmäßigen Ausdruckspalette eine stilistisch in höchstem Maße befriedigende, weil der Musik entsprechende Wiedergabe von Glucks Oper. So schnörkellos wie hier hat man etwa den viel gespielten „Reigen seliger Geister“ wohl kaum einmal gehört. Und so ist von der wunderbaren Wandlung des Symphonieorchesters Vorarlberg in ein respektables Barockorchester zu berichten – ein Quantensprung in der Geschichte des SOV! Lediglich innerhalb des Orchesters ist die Abstimmung bei der Premiere nicht immer geglückt: die Oboe ist des Öfteren deutlich lauter als die gleichberechtigte Flöte.         

Ergreifende Geschichte

„Orpheus und Eurydike“ ist eine der bekanntesten und ergreifendsten Liebesgeschichten der Weltliteratur. Sie erzählt vom sagenhaften Sänger Orpheus, dem es dank seines Gesanges gelingt, die Grenze zwischen Leben und Tod zu überwinden und seine verstorbene Geliebte aus dem Jenseits zurückzuholen. Auf dem Weg aus der Unterwelt wendet er sich entgegen dem Gebot der Götter zu Eurydike um und verliert sie erneut. Wo der Mythos endet, schenkt Gluck in seiner Oper dem Paar eine zweite Chance, und nach einer der schönsten Arien der Musikgeschichte finden sich die beiden erneut in einem Happy End, das auch das Publikum zufriedenstellt. Dieses wird bei dieser Produktion in italienischer Originalsprache auch durch deutsche Übertitel bedient.

Diese Vorlage, die gerade derzeit in Mitteleuropa an großen Häusern viel gespielt wird, lässt nun vielerlei Deutungen zu. Kubelka hat dabei wie üblich seiner Fantasie freien Lauf gelassen, schießt dabei freilich wieder einmal übers Ziel hinaus. Die sechs durchsichtigen Riesen-Luftballons aus Plastik, die eingangs wie riesige Würste aus dem Schnürboden herabschweben, bilden in ihrer aufgeblasenen Präsenz die einzigen Versatzteile (Bühne: Florian Etti). Eines davon dient beim einleitenden Trauermarsch immerhin als Schneewittchen-Sarg für die tote, vom berühmten Schlangenbiss hinweggeraffte Eurydike, zusammen ergeben sie im Licht (Arndt Rössler) auch interessante Effekte. Doch der anfängliche Verblüffungseffekt nutzt sich bald ab, ihre Funktionalität ist nicht weiter gegeben, und bald hängen sie bloß noch eher störend herum als plumpe Phallussymbole, die der leisen Poesie dieses Werkes im Wege stehen.

Schmonzette aus den Fünfzigern

Der zweite Regieeinfall erinnert an eine Schmonzette von Erich Kästner aus den Fünfzigern, „Das doppelte Lottchen“ genannt, die unsere Großmütter damals als Backfische mit roten Wangen verschlungen haben. Kubelka lässt nämlich Eurydike eine täuschend echt nachgemachte Puppe als Double, Reibebaum und Trösterin in ihrem Liebesschmerz zwischen Leben und Tod  beistellen. Das sorgt nicht unbedingt für die geplante Aufhellung ihrer aufgewühlten Gemütslage bei der missglückten Wiedervereinigung mit Orpheus und der nachfolgenden Entscheidung „Wohin soll ich mich wenden?“, sondern zumindest beim Publikum für mehr Verwirrung als besseres Verständnis.

In dieser Situation erweisen sich ein gutes Dutzend junge Sängerinnen und Sänger des Bregenzer Festspielchores in der Einstudierung von Benjamin Lack als große Bereicherung in mehrfacher Hinsicht. Als schrecklich schwarz gewandete Furien mit knallweißen Totenköpfen wie in „Scary Movie“ im Hades oder als weiße Nymphen im Elysium (Kostüme: Andrea Hölzl) bringen sie Temperament und klangliche Schönheit auf die Bühne. Es ist unglaublich, welch stimmliche Kraft und Einsatzwillen sich da entwickeln, wie toll und mit wie viel körperlichem Einsatz dabei auch noch klug choreografierte Szenen bewältigt werden wie jene, in der Orpheus von jeder der Furien mit Seilen gefesselt wird und sich der Menschenknäuel dann wieder entwirrt.

„Eine Traumbesetzung“

Eine Klasse für sich sind mit ihrer hochkarätigen Musikalität und schauspielerischen Einsatzfreude die drei Protagonisten, die mit zunehmender Intensität des Geschehens auch echte Gefühle zu transportieren vermögen  (Hofstetter im KULTUR-Interview: „Eine Traumbesetzung!“). Schier Übermenschliches leistet der kanadisch-koreanische Countertenor David DQ Lee, der in der extremen Partie des Orpheus praktisch durchgehend auf der Bühne steht. Die exotische Ausstrahlung des Sängers verleiht seiner technisch makellos geführten Stimme einen zusätzlichen Reiz. So klingt auch seine klagende, jedoch in Dur gehaltene Arie „Che faro senza Euridice“ (in der deutschen Übersetzung: „Ach, ich habe sie verloren“) um vieles strenger, trockener und ganz ohne Schwulst, als man es sonst hört, dafür umso eindringlicher.

Die Sopranistin Daniela Gerstenmeyer aus Stuttgart als Eurydike ist ihm eine ebenbürtige Partnerin, der man ihr Rollendebüt in keinem Moment anmerkt. Mit feinen Tönen spielt die ansehnliche Künstlerin elegant ihren Charme ins Treffen, läuft aber, als es um die Rückeroberung des scheinbar widerborstigen Gatten geht, mit großen Emotionen und stimmlicher Dramatik zur selbstbestimmten jungen Frau auf. Amor schließlich, besetzt mit der englischen Sopranistin Keri Fuge, ist als eine Art liebenswerter „Deus ex machina“ eine höhensichere, koboldhafte Figur, die das Paar schlussendlich doch noch zusammenführt und mit breitem Pinsel und manchem Schabernack irgendwie auch jene Handschrift verkörpert, mit der Alexander Kubelka hier Regie führt. Dazu gehört auch, dass dieser im musikalischen Schlussjubel des wiedervereinten Paares dieses an Seilen über den Köpfen des Chores baumeln lässt – wahrhaft überirdisch!                 

Dauer: ca. 90 Minuten ohne Pause

Weitere Vorstellungen: 3., 14., 16., 18., 20., 22., 24. und 26. Februar, jeweils 19.30 Uhr, 5. und 12. Februar, jeweils 16.00 Uhr, Landestheater Bregenz, Großes Haus

Karten: 0 55 74 / 42 870, Mail: ticket@landestheater.org, www.landestheater.org