Stefan Rüeschs Werke sind derzeit in der Galerie Sechzig in Feldkirch zu sehen. (Durchblick, Acryl u. Kohle auf Leinwand, 126 x 438, 2020, Foto: Markus Tretter)
Dagmar Ullmann-Bautz · 26. Mai 2016 · Theater

Menschliche Sehnsüchte – Das Vorarlberger Landestheater im Schwarzbad in Lochau

Das Schwarzbad in Lochau ist ein wunderbarer Ort. Ein Strand mit Liegewiese, mit Bäumen umwachsen. Gestern feierte „Imaginäres Paradies“, eine poetische Collage von Alexander Kubelka, dort seine Uraufführung. Die letzte Produktion der Spielsaison wird vom Vorarlberger Landestheater traditionell auf einer Aussenspielstätte präsentiert, was sich jedes Jahr aufs neue als großartige Idee erweist.

Ausgefallene Ideen

 

Alexander Kubelka hat den Abend nicht nur konzipiert, er hat ihn auch inszeniert in einer Entwicklungsarbeit mit den Schauspielerinnen, den Musikern und der Dramaturgin Dorothée Bauerle-Willert. Ausgehend von der Mitteltafel des Triptychons „Der Garten der Lüste“ von Hieronymus Bosch, wurden Liebesgedichte von Ingeborg Bachmann, Theodor Fontane, Pablo Neruda, Rainer Maria Rilke, Theodor Storm u.a. in Szene gesetzt. Sechs grundverschiedene Menschen begegnen sich mit ihren Bedürfnissen und Sehnsüchten, mit ihrer Lust und ihrem Verlangen. Mit vielen ausgefallenen Ideen, mit großem Tamtam, mit überbordender Fantasie, hat Kubelka teils sehr schöne, aber auch recht konstruierte Bilder geschaffen. Die großartigen Gedichte, einige kannte ich, einige habe ich nachgelesen, sind leider nicht bei mir angekommen. Die Schauspieler hätten wohl irgendwelche Worte flüstern, schreien, skandieren können, der Effekt wäre derselbe gewesen und das ist eigentlich furchtbar schade.

Hauptrolle: Natur

 

Wäre es also vielleicht besser gewesen, wenn ich die erste Vorstellung der Doppelpremiere „Imaginäres Paradies“ besucht hätte mit ihrem eingeplanten Naturschauspiel eines berauschenden Sonnenuntergangs über dem See, der langsam heraufziehenden Nacht, einem Schauspiel, das alles in allem die Performance der Darsteller und Darstellerinnen und des einzigen Musikers wohl genial begleitet, abrundet, unterstützt hat? Die zweite, von mir um 22 Uhr besuchte Vorstellung hatte schon mehr den Charakter, den Rahmen eines abgedunkelten Theaterraums mit schwärzlichem Hintergrund. Und weil die Natur bei beiden Aufführungen quasi die Hauptrolle einnahm, führten die unterschiedlichen Beginnzeiten am Premierenabend wohl zu ganz unterschiedlichen Theater-Erlebnissen. Gewiss ist jedoch, dass die Poesie der 24 Gedichte, verfasst von 14 Autorinnen und Autoren und mit potentieller Strahlkraft versehen, weder bei der ersten noch bei der zweiten Vorstellung fassbar wurde.

Gute Ensembleleistung

 

Das Ensemble überzeugte durchwegs mit starkem Ausdruck und fast unmenschlichem Einsatz. Wenn sich die Schauspieler auf den spitzen Steinen wälzten, barfuß darüber rannten, unendliche Zeit im kalten Wasser standen, aus Schürfwunden bluteten, ertappt man sich bei Mitleidsempfindungen und ähnlichen Gedanken. Alexander Kubelka lässt insgesamt sechs Figuren, sechs Charaktere auftreten. Als Polizistin mit Motorrad(helm) Tamara Stern, ihr Spiel war wie immer bemerkenswert, in seiner Intensität raumgreifend und vereinnehmend. Mit ihrem Gesang schleuderte sie dem Zuschauer stets die volle Ladung an Emotionen entgegen. Alexandra Maria Nutz als Frau mit Fahrrad gab den Antipoden mit ihrer Zartheit in Gestalt und Spiel. Als Fischer mit Boot und einem riesigen wunderhübschen Wels war Luis Lüps derjenige, der genau weiß, sich in Szene zu setzen. Der Obdachlose mit Zeit, eine schöne, manchmal etwas angestrengte Figur von Jens Ole Schmieder, führte seine Protagonisten durch den Abend, indem er sie nach allen Regeln der Kunst dirigierte und manipulierte. Thomas Cermak verlieh dem Banker mit Nichts etwas Grundehrliches und Bemitleidenswertes. Die Kostüme von Andrea Hölzl funktionierten gut, sie passten zur jeweiligen Figur und unterstützen ihren Charakter.

Musik und Geräuschkulisse überzeugen

 

Ivo Bonev überzeugt als Aufziehfigur am Klavier und auch als kluger Arrangeur der Musik. Die Kompositionen und Geräusche wurde von dem genialen Boris Fiala geschaffen, sie sind Glanzlichter des Abends.

Das Publikum bedankte sich mit anhaltendem Applaus für einen außergewöhnlichen Theaterabend.