Neu in den Kinos: „Challengers – Rivalen“ (Foto: MGM)
Anita Grüneis · 07. Nov 2017 · Musik

Yuja Wang im Vaduzersaal - eine musikalische Sensation

Das Konzert im Vaduzersaal mit dem Mahler Chamber Orchestra und der Pianistin Yuja Wang war optisch ein Genuss und künstlerisch eine Sensation. Das Publikum dankte mit standing ovations und erklatsche sich drei Zugaben. Das Programm war klug aufgebaut: Zwei Stücke für das Orchester und zwei für die Solistin, die zugleich dirigierte.

Mit Mozarts Ouvertüre zu „Don Giovanni“ wurde das Publikum vom Orchester und seinem Konzertmeister Matthew Truscott paukenschlagartig begrüßt. Bei Igor Strawinsky ließen die Musiker auch ein Stück Musikgeschichte Revue passieren. Die 30-jährige chinesische Pianistin Yuja Wang hatte sich ganz den Klavierkonzerten von Ludwig van Beethoven verschrieben. Vor der Pause war die Nummer 2 in B-Dur zu hören, das von der Schreib-Chronologie her das 1. Klavierkonzert von Beethoven ist. Nach der Pause brillierte die Ausnahmekünstlerin noch einmal mit dem Klavierkonzert Nr. 1 in C-Dur.

Die musikalischen Goldfinger

Schon die Bühnen-Aufstellung ließ ahnen, dass dieses Konzert anders als andere sein würde. Das Klavier stand in der Mitte, die Tasten zeigten zum Publikum. Ringsherum saßen die Orchestermusiker. Nach ihrem donnernden Auftakt mit Mozarts wunderbar kurzweiliger Ouvertüre wartete das Publikum gespannt auf den Star des Abends. Und dann kam sie, die zierliche Yuja Wang, im bodenlangen Gold-Lamé-Kleid, mit einem unglaublich hohen Schlitz auf der Vorderseite, der den Beinen Bewegungsfreiheit gab. Die Füße steckten in ebenso unglaublichen High Heels – ein Bond-Girl mit goldenen Fingern! Sie liebt das Spiel mit der Mode und provoziert damit wie in den 80er-Jahren das enfant terrible der klassischen Musikszene, der Stargeiger Nigel Kennedy mit seiner Punkfrisur. Nach der Pause wird Yuja Wang im ultrakurzen grünen Minikleid auftreten und darin von hinten aussehen, als sitze sie einem Badeanzug am Flügel.

Solistin, Dirigentin und Orchestermusikerin

Nötig hat sie diese modischen Spielereien nicht, sie machen ihr einfach Spaß. Diese Künstlerin muss nichts vertuschen oder verbergen, sie kann einfach brillant gut Klavier spielen. So gut, dass man meint, sie würde die Werke eben gerade für sich schreibend komponieren. Da klingt nichts nach Routine, alles ist frische, gelebte Musik. Ihre Läufe perlen und fließen und raunen, als wollten sie den Satz auf dem Kunstwerk vor dem Vaduzersaal zu Musik umformen: „Fern dem Meere zu, hin zum anderen Ort.“ Genauso klingt ihre Musik und auch die des Orchesters. Yuja Wang braucht keinen Dirigenten, sie selbst gibt dem Orchester die Tempi vor und die Stimmungen. Und so schaffen es beide, miteinander zu atmen, die Musik zur Kommunikation werden zu lassen.  

Töne wie Seifenblasen

Bei Yuja Wang klingt Beethovens Adagio als sei es eine Schumannsche Träumerei oder eine Erinnerung, die sich ungemein romantisch und fein in der Luft bildet. Manchmal scheint ein Ton, wie eine Seifenblase aus dem Orchester aufzusteigen; er wird von Yuja Wang unendlich zart eingefangen und weitergetragen. Dann wieder fegt sie wie ein Wirbelwind über die Tasten und man meint, sie würde mit vierzig Fingern zugleich spielen. Dann klingt ihr Spiel grell und aggressiv, dann vibriert der Klavierhocker unter ihr. Doch selbst in solchen Momenten bleibt ihr Spiel präzise und spannungsgeladen.  

Drei Zugaben für ein begeistertes Publikum

Das Orchester zeigt diese Qualitäten unter anderem auch bei Igor Strawinskys „Pulcinella-Suite“. Die Musiker lassen tief hineinhören in diese Musik, die mit Traditionen brach und doch unermüdlich aus ihnen schöpfte. Strawinsky gab jedem Instrument einen Raum zur Entfaltung, das nutzen die Musiker des Mahler Chamber Orchestra, allen voran die Bläser, die mit ihren Interpretationen den Schritt zum Jazz, aber auch die Nähe zu Richard Strauss „Till Eulenspiegels lustige Streiche“ deutlich machen. Yuja Wang, die Solistin des Abends, die zugleich Orchestermitglied und Dirigentin war, setzte mit ihren drei Zugaben noch eins drauf: Sie spielte Stücke von Prokofjew, Rachmaninow und Strawinsky. Besser hätte sie sich nicht verabschieden können.