Stefan Rüeschs Werke sind derzeit in der Galerie Sechzig in Feldkirch zu sehen. (Durchblick, Acryl u. Kohle auf Leinwand, 126 x 438, 2020, Foto: Markus Tretter)
Silvia Thurner · 16. Okt 2016 · Musik

Musikalische Kulturkreise spannend zueinander in Beziehung gesetzt – Die Hohenemser Chor- und Orgeltage ließen mit dem Konzert „Shalom – Kirche trifft Synagoge“ aufhorchen

Die diesjährigen „Hohenemser Chor- und Orgeltage“ waren hochkarätig besetzt. Eine reizvolle Zusammenarbeit mit dem Jüdischen Museum führte den Kirchenchor St. Karl unter der Leitung von Wolfgang Schwendinger, den Bassbariton Michael Schwendinger sowie den Bratschisten Semjon Kalinowsky und den Organisten Franz Danksagmüller zusammen. Geboten wurde ein abwechslungsreiches Programm mit Kompositionen, in denen jüdische musikalische Wesenszüge und Werke aus dem christlichen Kulturkreis zueinander in Beziehung gestellt wurden. Die hervorragenden Musiker sowie der gut disponierte Chor interpretierten sämtliche Werke mit Empathie und viel Gespür für die Charakteristika der einzelnen Kompositionen. Begeistert reagierte das Publikum in der sehr gut besuchten Hohenemser Pfarrkirche St. Karl auf das vielgestaltige Hörerlebnis.

Den Bratschisten Semjon Kalinowsky und den Organisten Franz Danksagmüller verbindet ein großes Interesse für unbekannte Kompositionen. Bei ihrer Recherche stießen sie auf den zu seiner Zeit sehr bekannten, heutzutage jedoch hierzulande vergessenen Komponisten Joseph Sulzer. Er war der Sohn des in Hohenems und weit darüber hinaus angesehenen Kantors Salomon Sulzer. Dieser hat weitreichende Reformen im Synagogalgesang eingeleitet. Für seine Sammlung „Schir Zion“ (Das Lied von Zion) hatte Salomon Sulzer Gesänge unter anderem bei Beethoven und Schubert bestellt und zahlreiche andere Kompositionen zusammengetragen. Auch Schuberts „Psalm 92“ (D953) hat Salomon Sulzer in seine Liedersammlung aufgenommen.

Homogener Chorklang

Dieses Spätwerk von Schubert bot der gut disponierte Kirchenchor Hohenems St. Karl unter der Leitung von Wolfgang Schwendinger dar. Leidenschaftlich bewegt kristallisierten die Sängerinnen und Sänger die Wesenszüge der Musik heraus. Wolfgang Schwendinger dirigierte den Chor ausdrucksstark, so dass die zahlreichen dynamischen Schattierungen und Steigerungen hervorragend zur Geltung kamen. Der helle Bassbariton von Michael Schwendinger fügte sich hervorragend in den homogenen Chorklang ein.

Spätromantische Musik

In Joseph Sulzers Orgelpräludium op. 10, Nr. 2 zogen der fließende Duktus und die chromatischen Übergänge die Aufmerksamkeit auf sich. Ebenso weich und klangsinnlich entfalteten Semjon Kalinowsky an der Bratsche und Franz Danksagmüller an der Orgel Sulzers liedhaft angelegte Sarabande, op. 8.
Das Fest-Präludium , op. 37 Nr. 4 des polnisch jüdischen Komponisten Louis Lewandowski gliederte sich gut in die durchdachte Werkfolge ein. Transparent spielte Franz Danksagmüller die fast rhapsodisch angelegten Abschnitte und stellte mit den plastisch ausgeformten melodischen Linienführungen seine Meisterschaft unter Beweis.

Mitreißende Improvisation

Vor allem mit seiner Improvisation zog Franz Danksagmüller die Zuhörenden in seinen Bann. Selten habe ich ein derart spannendes Hineinführen in ein musikalisches Ereignis erlebt. Aus wogenden Luftsäulen heraus ließ der Organist mit wirbelnden Fragmenten allmählich fassbare Tonhöhen entstehen. Sodann wurde eine sich wild aufbäumende Klangwand aufgebaut, die eine enorme Spannung in sich barg. Überraschend versöhnlich formulierte Franz Danksagmüller die Schlusspassage aus.

Spannende Querverweise

„Kol Nidrei“ von Max Bruch ist ursprünglich für Violoncello und Orchester entstanden. Die auf dem gleichnamigen jüdischen Gebet beruhende Musik entfaltete sich auch in der Bearbeitung für Viola und Orgel aussagekräftig. Zweitonmotive schritten zu Beginn den Raum aus und führten in einen mitteilsamen Antwortgesang. Auf Max Bruchs „Kol Nidrei“ hat Siegfried Würzburger 1933 eine Passacaglia und Fuge komponiert. Diese Komposition bildete eine beziehungsreiche Klammer zu Max Bruchs Musik und bot beim Hören zahlreiche Anreize.