Uraufführung des Stückes „Stromberger oder Bilder von allem“ im Vorarlberger Landestheater (Foto: Anja Köhler)
Annette Raschner · 19. Mär 2017 · Literatur

„Schließlich sind wir seit 36 Jahren verheiratet!“ - „Der Mensch ist verschieden. Dreiunddreißig Charaktere“ von Monika Helfer und Michael Köhlmeier

Der griechische Philosoph, Naturforscher und Aristoteles-Schüler Theophrast hat in einem kleinen Büchlein mit dem Titel „Charaktere“ dreißig kleine, aber feine Skizzen menschlicher Typen gezeichnet. Diese einzige antike Charakterlehre, die 2000 in einer neuen deutschen Übersetzung erschienen ist, ist nun von Monika Helfer und Michael Köhlmeier in dem bei Haymon erschienenen Buch „Der Mensch ist verschieden. Dreiunddreißig Charaktere“ modern interpretiert worden. Annette Raschner hat mit dem Schriftstellerehepaar, das im vergangenen Jahr mit dem österreichischen Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst ausgezeichnet wurde, das folgende Gespräch geführt.

Annette Raschner: Eine literarische Zusammenarbeit kann bekanntlich auf sehr unterschiedliche Art und Weise erfolgen. Wie lief sie in diesem Fall ab?
Monika Helfer: Am Anfang stand die Idee, so etwas Ähnliches wie Theophrast zu machen. Dann habe ich eine Geschichte geschrieben und Michael die Definition dazu.
Michael Köhlmeier: Theophrast hat in seinen Charakteren genau diese Aufteilung vollzogen. Er beginnt mit der Definition eines Charakters, es folgt ein konkretes Beispiel. Diese schöne Zwischenform zwischen Essay und Erzählung hat uns animiert.
Raschner: Die Auswahl der Charaktere ist spannend, denn sie liegt so gar nicht auf der Hand. Um mit „der Vampirgewordene" nur ein Beispiel zu nennen ...
Helfer: Sie sollte ungewöhnlich, poetisch und auch witzig sein!
Köhlmeier: Man muss dazu sagen, dass die Geschichten eine wirklich lange Zeit der Entstehung haben. In der Zwischenzeit hat sich unser Blick geändert. Früher dachten wir viel extravaganter! Aber wir haben die älteren Texte ein wenig auf unseren heutigen Stand gebracht und somit eine wohltemperierte Übereinstimmung zwischen damals und heute gefunden.

Spannungsfeld zwischen Mann und Frau

Raschner: Bei Theophrast sind es 30 männliche Charaktere, bei Ihnen zehn weibliche und dreiundzwanzig männliche. Ist das dem Zufall geschuldet?
Helfer: Das war mir gar nicht bewusst.
Köhlmeier: Wir haben nicht gegendert. Ich finde es allerdings interessant, dass Theophrast überhaupt keine Frauen hineingenommen hat. Gut, bei Platon tauchen auch keine Frauen auf. Bei uns geht es meist um das Spannungsfeld zwischen Mann und Frau.
Raschner: Normalerweise arbeitet man als Schriftsteller stets alleine. Einmal ein literarisches Ping-Pong-Spiel ist wohl auch eine schöne Abwechslung?!
Köhlmeier: Obwohl wir auch diesmal beim Schreiben alleine waren. Ich meine, gemeinsam formulieren …
Helfer: … geht nicht!
Köhlmeier: Ist zumindest sehr schwierig!
Raschner: Wer hat jeweils den Ball aufgenommen?
Köhlmeier: Ich musste ihn aufnehmen. Ich war der Zweitgereihte. Ich habe aus der Geschichte heraus jeweils die Definition abstrahiert.
Raschner: Bei den meisten Schriftstellerpaaren hätte man sich eine Zusammenarbeit niemals vorstellen können. Bei Jandl/Mayröcker waren die literarischen Welten völlig gegensätzlich, bei Frisch/Bachmann herrschte Krieg. Wieso klappt es bei Ihnen? Ist Respekt das Zauberwort?
Helfer: Respekt und wohl auch unsere Eigenständigkeit. Aber nur harmonisch geht es auch bei uns nicht zu. Wir streiten schon auch, schließlich fordern wir radikale Ehrlichkeit ein. Wenn ich einen Text geschrieben habe, nützt es mir schließlich nichts, wenn ihn Michael nur lobt.
Köhlmeier: Die Frage ist, weshalb wir nicht mehr miteinander gemacht haben, schließlich sind wir seit 36 Jahren verheiratet. Dieses Buch ist auch deshalb entstanden, um uns gegenseitig zu schulen! Denn wenn wir über unsere Arbeit sprechen, dann eigentlich immer über die Charakterisierung einer Person. Das ist das Um und Auf! Wenn man über einen Schriftsteller sagt, dass er alles kann, nur keine Personen charakterisieren, dann kann er eigentlich gar nichts.
Helfer: Durchs Reden wird man klüger. Ich sag zu meinen Kindern immer: Sucht euch einen Partner, der Ähnliches macht wie ihr. Das bereichert ungemein!

 

Buchpräsentation mit Michael Köhlmeier und Monika Helfer
„Der Mensch ist verschieden“
28.3.17, 19 Uhr
Russmedia, Schwarzach
21.4.17, 19.30 Uhr
Remise, Bludenz 

 

Monika Helfer und Michael Köhlmeier, Der Mensch ist verschieden. Dreiunddreißig Charaktere, € 17,90, 112 Seiten mit Schutzumschlag, ISBN 978 3 7099 7269 4, Haymon Verlag