Das UNPOP-Ensemble zeigt derzeit das Stück "Fairycoin" im Theater Kosmos. (Foto: Caro Stark)
Ingrid Bertel · 08. Nov 2017 · Literatur

Böse Briefe - Welche Veränderungen in Stil, Strategie, Technologie beim Erpressen zu beobachten sind, das untersuchen Christoph Winder und Ernst Strouhal

Griefer, Troller, Cyber-Groomer – sie werden immer mehr, aber ihre Untaten sind nicht neu. Christoph Winder und Ernst Strouhal erzählen die Geschichte der bösen Briefe.

„Wisset, Schulzen und Bauern in Blankenburg, wenn Ihr mir nicht von Stund an 16 Schock böhmischer Groschen … als meine Rente entrichtet … so will ich Euch alles nehmen, was Ihr habt …“
Als der Raubritter Dietrich von Quitzow dieses unfreundliche Schreiben an seine Landsleute richtete, entwarf er ein für die nächsten Jahrhunderte gültiges Muster des Drohbriefs. Welche Veränderungen in Stil, Strategie, Technologie beim Erpressen dennoch zu beobachten sind, das untersuchen Christoph Winder und Ernst Strouhal. Ihre These: Die Bösen Briefe sind „Zerrspiegel und Nachbild“ der gesellschaftlichen Verhältnisse. Die Belege dafür stammen aus den Asservatenkammern der Kriminalämter, aus privaten Sammlungen, fiktionaler Literatur und dem Internet.

Manches ist kurios, einiges erbärmlich und vieles bedrückend. Dabei schlagen weit mehr als 90 % aller Erpressungen fehl. Noch! Denn durch das Internet hat sich die Zahl der Erpressungen in Österreich zwischen 2006 und 2015 um 300 % erhöht, während gleichzeitig die Aufklärungsquote dramatisch sinkt. „Durch Anonymisierungsdienste, Nutzung des Darknet und Geldtransfers in Bitcoins sind professionell agierende Täter schwieriger auszuforschen denn je.“ Das Problem, das mit der Einführung des Briefgeheimnisses 1867 auftauchte, hat sich also massiv zugespitzt.

Der Dude packt das!

Im Fensehkrimi und im Kino sind sie state of the art: die Drohbriefe aus ausgeschnittenen Zeitungsbuchstaben, selbst heute noch, wo die gedruckte Zeitung zu verschwinden droht. Aber was in einer Komödie wie „The Big Lebowski“ als Brandbeschleuniger für die Handlung dient und selbst den stinkefaulen Dude aus dem Sessel holt, wäre für Kriminalisten dermaßen leicht zu entschlüsseln, dass es sich bis zum blödesten Erpresser durchgesprochen hat. Angst und Schrecken verbreitet dagegen technologisches Know-how. So verschickte etwa ein Erpresser eine Woche nach den Anschlägen von 9/11 Briefe, die mit Anthrax verseucht waren. 22 Menschen wurden mit Milzbrand infiziert, 10.000 weitere mussten mit Antibiotika behandelt werden. Jahrelang suchten die Ermittler, der mutmaßliche Täter landete nicht vor Gericht. Er nahm sich 2008 das Leben.

Was den Einsatz von Technologien angeht, haben sich die Briefe seit der Raubritter-Zeit verändert, geblieben aber ist die visuelle Inszenierung des Schreckens. In den Briefen der „schwarzen Hand“ hatte sie geradezu rührend naive Züge. Die Schreiben waren übersät mit kindlich anmutenden Zeichnungen von Pistölchen und Messern, Totenköpfen und durchborten Herzen. Allerdings war die „schwarze Hand“ keine Erfindung à la Brezina, sondern die durchaus effiziente Vorläuferorganisation der Mafia in New York.

Kill Mankind!

„Heckenschützen der Kommunikation“ nennen Winder und Strouhal die Verfasser von Drohbriefen. Auch, weil zum visuellen Schrecken ein perfider Sprachgebrauch, meist changierend zwischen Höflichkeit und Häme, hinzukommt. Das eigene Ich aufzublasen ist dabei eine Grundvoraussetzung. So inszenierte sich etwa Franz Fuchs als „Bajuwarische Befreiungsarmee“ – und für eine ganze Armee musste ein auftrumpfendes Schriftbild dienen. Ein Missgriff, wie Winder und Strouhal süffisant anmerken: „Fuchs dürfte entgangen sein, dass gerade im Nationalsozialismus die Fraktur durch die lateinische Schrift ersetzt wurde. Die von Fuchs verwendeten gotischen Glyphen galten als undeutsch „Judenlettern“, deren Verwendung die Nazis ab 1941 an Schulen und Behörden untersagten.“

Wohl gibt es pathologische Briefe wie jene der Colombine-Attentäter, die sich 1999 mit Formeln wie „Kill mankind“ förmlich in den Hass hineingesteigert hatten. Viel häufiger ist allerdings das Muster des Geschäftsbriefs.

„Sehr geehrter Herr Xaver Mayer!

Wir haben Ihr kleines Töchterchen Yvonne in unsere Obhut genommen. Zum Glück wollen Sie ja nicht, dass ihr etwas zustößt. Lieber erfüllen Sie uns ein paar Bedingungen …“

Das ist allerdings kein echter Drohbrief, sondern die zu Studienzwecken erstellte, „in gewisser Weise beamtete Mutter aller Erpresserbriefe“, die das BKA seine Beamten studieren und kopieren ließ. Dass der Autor bei all den polizeilichen Vorgaben – etwa möglichst viele Umlaute und seltene Konsonanten einzubauen – ein durchaus glaubhaftes Schreiben zustande brachte, nennen Winder und Strouhal „eine glänzende kombinatorische Leistung“.

From Hell

Soll die Polizei einen bösen Brief veröffentlichen? Bloß nicht, möchte man meinen – etwa angesichts des berühmtesten „cold case“ der Kriminalgeschichte. Der Fall des Serienmörders Jack the Ripper rief nämlich ganze Hundertschaften von Trittbrettfahrern auf den Plan. Lediglich drei Schreiben gelten daher als authentisch, darunter der berühmte „From Hell“-Brief.

Andererseits kann eine Veröffentlichung auch zur Aufklärung führen – etwa im Fall des Mathematikers Ted Kaczynski, der die amerikanische Öffentlichkeit 17 Jahre lang mit Briefbomben terrorisierte. Der Bruder identifizierte schließlich den „Unabomber“, „weil er in einem umfangreichen Bekennerschreiben mehrfach die Formulierung „coolheaded logicians“ verwendet hatte. Sie war für den Sprachgebrauch von Ted Kaczynski charakteristisch.“

Gibt es über die Zeiten hinweg eine Typologie der Erpresserschreiben? Winder und Strouhal werfen Schlaglichter auf drei Themen.

Sexuelle Erpressung

Schon 1791 wurde ein US-Finanzminister mit einem Sexskandal erpresst. Er war nicht der erste und beileibe nicht der letzte. Mit einem besonders plumpen Kerl bekam es Kaiser Franz Josef zu tun, dem ja bekanntlich nichts erspart blieb. Er erhielt eine Postkarte mit einem Aktbild, das seine schlanke Gattin Sisi mit überraschend fülligem Körper präsentierte. Im Begleitschreiben hieß es: „Ich glaube, dass es ungemein unerfreulich wäre, wenn diese Portraits verkauft würden, und ich habe vom Fotografen die Zusage erhalten, dass er die Negative zerstört und die Fotografien verbrennt, wenn binnen 14 Tagen …“ Der Verfasser, ein holländischer Geschäftsmann, hatte ein Foto des Gesichts der Kaiserin auf dasjenige des Körpers einer Prostituierten geklebt. Der Kaiser verzichtete auf Anzeige und öffentliche Verhandlung. Aus gutem Grund: Die Öffentlichkeit stürzt sich mit voyeuristischer Gier auf solche Skandale.

Produkterpressung

Die populärsten Ziele von Erpressern sind Supermärkte, Banken, Transportunternehmen und audiovisuelle Medien. Warum? Hier ist Geld zu holen und publicity dazu. Man denke an den jüngsten Fall des „Supermarkt-Erpressers vom Bodensee“, der Ende September Babynahrung vergiftet hatte und nach wenigen Tagen gefasst werden konnte.

Politische Ziele

Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen, sind bevorzugtes Ziel böser Briefschreiber. Man denke nur an den Terror der RAF. Allerdings können die Erpresser auch in Ämtern lauern. 1964, kurz bevor ihm der Nobelpreis überreicht wurde, erhielt Martin Luther King ein besonders perfides, rassistisches Schreiben, in dem er zum Selbstmord aufgefordert wurde. Die Autorschaft wurde erst elf Jahre später geklärt. Es handelt sich um William C. Sullivan, den stellvertretenden Direktor des FBI unter J. Edgar Hoover.

Winder und Strouhal breiten in ihrem Essay Manifeste des Elends und der Gemeinheit aus. Sie tun es auf erhellende Weise, im Vertrauen auf die kleine Fackel der Aufklärung, die auch die Dunkelkammer in der Seele potenzieller Hassposter erreichen möge.

 

  

Ernst Strouhal/Chrstioph Winder, Böse Briefe. Eine Geschichte des Drohens und Erpressens, 224 S., Brandstätter Verlag, Wien 2017, ISBN 978-3-7106-0152-1, € 34,90