Neu in den Kinos: „Challengers – Rivalen“ (Foto: MGM)
Gunnar Landsgesell · 22. Dez 2016 · Film

Nocturnal Animals

Eine Galeristin erhält unerwartet ein Buch, das ihr Ex-Mann geschrieben hat. Während sie dessen verstörende Geschichte liest, gerät dieser Film aus seinen Fugen. "Nocturnal Animals" ist ein nachtschwarzer Alptraum, der sich an den gepflegten Oberflächen der Kunstwelt auf eindrückliche Weise abarbeitet.

Es gibt nicht viele Modeschöpfer, die man sich in der Rolle des Filmregisseurs vorstellen möchte. Tom Ford überraschte vor sieben Jahren mit „A Single Man“, einer brillanten Studie über das Gefühl der Einsamkeit, für die Ford auch das Drehbuch verfasste. Die unheimliche Melancholie, unterfüttert von Ängsten und Zweifeln, die ein gegen den Strich besetzter Colin Firth darin durchlebte, nährte die Neugier auf Fords nächsten Film. „Nocturnal Animals“ geht in seiner filmischen Vision entschieden weiter: Mit Amy Adams als exklusiver Galeristin Susan in Los Angeles setzt Ford erneut auf eine Figur, die sich trotz eines umtriebigen Umfelds in einer Art Isolation zu befinden scheint. Ihr Mann ist in der Beziehung kaum noch greifbar, während sie selbst in den Nächten keinen Schlaf findet. Zwanzig Jahre nach der Trennung von ihrem früheren Mann bekommt sie von diesem nun ein Manuskript für ein in Kürze veröffentlichtes Buch geschickt, dessen verstörender Inhalt Susan mit jeder weiteren Lektüre in ein Schattenreich zwischen ihrer Rolle als Kunstmäzenin und ihren Empfindungen treibt. In dieser Geschichte gerät eine Familie (Jake Gyllenhaal als ohnmächtiger Vater) auf einem nächtlichen Highway (David Lynch ist als Referenz unvermeidlich) in eine mörderische Situation mit einer Gruppe jugendlicher Herumtreiber. Ford taucht die lange Sequenz in ein Nachtschwarz, in dem die Welt rundherum versinkt und in der wie zum Spott nur ein Polizeiauto an den Gepeinigten vorbeirast. Die Erzählung von Susans Lektüre kapert unter Fords Regie nach und nach die Gefühle des Publikums, und schon bald erscheint die reale Welt rund um Susan wie die Inszenierung eines saturierten Lebens, in dem die Oberflächen in kräftigen Farben erscheinen und die Menschen darin wie Kunstwerke, die vor allem ihrer Umwelt genügen müssen.

Die glimmernde Modewelt und deren Konventionen sind auch hier eine offenkundige Quelle für Fords Rahmenhandlung. Mit harten Kontrasten, die jedoch nicht die „Verlogenheit“ einer Branche als abgegriffenen Topos bemühen, sondern gleichsam in eine freudianische Unterwelt führen, greift „Nocturnal Animals“ das Nervenkleid des Zusehers an, wenn vor dessen Augen eine ganze Familie zerfällt. Nur ein irritierender Cop im tiefen Texas, von Michael Shannon eindrücklich verkörpert, wird zum letzten Anker für Gyllenhaals Figur. Dass sich aus dieser Verzweiflung ein Racheepos entwickelt, ist eine der Eigenheiten der künstlerischen Gestaltungskraft Fords, der dem Schein gewissermaßen eine explizite Körperlichkeit entgegensetzt, in der Blut fließen muss. Amy Adams ist ähnlich kontrapunktisch besetzt wie Colin Firth in „A Single Man“, die Verstörung, die an ihrer Figur explizit wird, setzt Fords Kamera in einen wunderbaren Kontrast zur gepflegten Fassade einer Kunstwelt.