„Kaffee und Zucker?“ Dokumentartheater im TAK in Liechtenstein © Pablo Hassmann
Gunnar Landsgesell · 23. Mär 2017 · Film

Der junge Karl Marx

Zu Zeugen des aufkeimenden Frühkapitalismus macht Regisseur Raoul Peck seine drei jungen Akteure: Marx, Engels und Jenny von Westphalen führen das Leben gesellschaftlicher Außenseiter, die noch weit von dem entfernt wirken, was später zum Kommunismus wurde. Ein solides Zeitbild und Porträt mit Witz.

Karl Marx hatte nicht immer einen langen Bart. Ähnlich wie John Fords Porträtfilm „Young Mr. Lincoln“ über den vielleicht wichtigsten US-amerikanischen Präsidenten überwindet auch Raoul Pecks „Der junge Karl Marx“ rasch den schwer lastenden Namen seiner Titelfigur. Marx (in der Person von August Diehl) entpuppt sich als junger Spund, der gerne auch mal eine Nacht lang trinkt, sich mit seiner Freundin Jenny (Vicky Krieps) vergnügt und Bekanntschaften nicht unbedingt nach ideologischen Kriterien wählt. Einen gewissen jungen Mann namens Engels (Stefan Konarske) hält Karl für einen Dandy, der sich mit dem Wohlstand seiner Familie politisch in Fachblättern produziert. Eine Einschätzung, die sich rasch ändert: Während eines Disputs erkennt Marx, dass Engels mit ungeheurer Präzision die Verelendung der Arbeiter und deren Kinder in der Spinnerei-Fabrik seines eigenen Vaters beobachtet. Engels Bestreben wiederum ist es, die politische Philosophie nicht zur reinen Analyse der Umstände verkommen zu lassen, sondern auf eine radikale Veränderung der Gesellschaft hinzuarbeiten. In Marx findet er jenen Theoretiker, dem er das zutraut. Peck erweitert das Männer-Duo um Marx’ Freundin Jenny, deren Blick keine unwesentliche Rolle in dieser Geschichte spielt. Immer wieder ist sie es, die die Richtung mit ihren Einschätzungen vorgibt. Über fünf Jahre, von 1843 bis 1848, folgt der in Haiti geborene Filmemacher Raoul Peck („Lumumba“) dem Trio, das der französische Drehbuchautor und Komödienspezialist Pascal Bonitzer mit brisantem Witz versieht.

Kein Revolutionspathos


„Der junge Karl Marx“ hätte unter deutscher Regie möglicherweise etwas blass ausgesehen. Peck und Bonitzer überraschen mit einem Film, der ein ehrliches Interesse für seine drei Akteure aufbringt. Es geht hier ganz banal um das Leben, und es geht auch darum, die Geschichtlichkeit dieser Figuren weder zu strapazieren, noch zu vergessen. Peck schafft das, er ist ein unheimlich konzentrierter Erzähler, der die Balance findet. Das gelingt auch deshalb, weil Peck klar ist, worin der Wert seiner Figuren liegt: Jenny von Westphalen stammt aus einer sehr reichen Adelsfamilie, Marx aus einer Rabbiner-Familie, Engels ist der Sohn eines Industriellen. Ein aufrührerisches Trio mit dem Anspruch, das Elend des Frühkapitalismus zu überwinden, und das sich dabei immer auch an der eigenen Herkunft abarbeiten muss. Das führt auch in mehrere, komische Begegnungen mit politischen Konkurrenten wie etwa dem Anarchisten Proudhon, der als großer Star seiner Zeit auftritt, um Marx und Engels die kalte Schulter zu zeigen. Peck situiert die Erzählung zwischen Utopie und nacktem Leben, wenn er die drei Leute in das Arbeitermilieu eintauchen lässt, das ihnen – den Bürgerlichen – nicht unbedingt freundlich gesonnen ist. August Diehl bringt für Pecks austarierten Zugang, der ohne Revolutionspathos auskommt, ein ebensolches Maß an Coolness und Ernst ein.