Neu in den Kinos: „Challengers – Rivalen“ (Foto: MGM)
Peter Niedermair · 20. Mai 2016 · Ausstellung

Ilse Aberer – Out of Frame - Vernissagerede in der Galerie allerArt Bludenz am 19.5.2016

Die Ausstellung ist eingerichtet. Es geht jetzt nur noch darum, das Geheimnis zu finden, sich auf die Spurensuche zu begeben, die Fragen anwärmen, sie ein bisschen an die Sonne stellen. Hier in der Remise beginnt Kunst auch mit der Faszination des Raums. Hans Hohenfellner war der Architekt für die Pläne dieses Kleinkunsttheaters in Bludenz, 1992, in dem die Galerie allerARt untergebracht ist. Diesen Raum hier, 11,81 x 6,46 x 4,40 m, hat sich Ilse Aberer, die Künstlerin aus Götzis, mit seinen weißen Wänden und diesem weißen Boden vorgestellt. Auf diesem bewegen wir uns mit fast schwebender Leichtigkeit, als gingen wir auf einem samtweichen, bemoosten Grund. Dieser Boden spielt mit eine entscheidende Rolle, wenn wir uns mit Ilse Aberers künstlerischer Raumvermessung auseinandersetzen.

Imaginäre Fäden

 

Es gibt hier in der Galerie - nicht wie sonst in diesen Tagen - allen Grund, sicher zu gehen, hier braucht es keine neuen Schnüre, weil die alten nicht stark genug gewesen wären. Hier spannen sich unsichtbare Brücken von der Künstlerin zu Menschen und Dingen, von der Luft zu unserem Atem, wie das die 1901 in Czernowitz in der heutigen Ukraine geborene Schriftstellerin Rose Ausländer in ihrem Gedicht „Im Atemhaus“ beschreibt. Ilse Aberers Idee ist, diesen Raum künstlerisch mit Objekten zu vermessen, die keinen Rahmen mehr brauchen. Out of Frame. Damit stellt sie mit den in den letzten zwei Jahren entstandenen Werken eine Reihe von Fragen. Sie setzt dabei ihre konkrete Kunst konsequent fort, ohne die ersten Konkreten, in deren Traditionszusammenhängen die Künstlerin sich auch sieht, mit einem aktualisierten Manifest zu spiegeln. Vielmehr bespielt sie diesen Raum wie eine Landvermesserin und spielt auf mehreren Achsen, auf gedachten und nachvollziehbar konstruierten Beziehungspunkten. Sie betreibt damit Annäherungen ans Ganze dieses Raumes, öffnet dessen Teile und geht mit uns auf den imaginären Fäden, die sie mit ihrer Kunst durch den Space spannt. Von der Freiheit der Stacks, mit denen sie hier im Raum gleich links beim Eingang beginnt, hinüber zur Leichtigkeit jener Objekte, die sie Stretched und Swingwing nennt, mit sichtbar amüsanten Flugobjekten, wie dieses von mir leichtfüßig als Moustache bezeichnete Vögelchen, das sich in die Lüfte erhebt, und in ein anderes Land fliegt, wer weiß wohin. Über den Muttersberg ... Oder ins Montafon. Jedenfalls im Goldenen Schnitt.

Mapping the Space

 

Im letzten Teil der trinitalen Gliederung haben wir es mit Objekten zu tun, die die Dimensionalität des Raums hier in einem auf das davon Zehnte verkürzt spiegeln. Space. Wobei space als ein Homonym im realen, konkreten Sinne wie im großen Kosmos auch das All bezeichnet und die Galerie All-er-Art Ilse Aberers Kunst voll zur Geltung bringt. Die Länge des Raumes, 11,81, entspricht in der Space-Gruppe der Höhe des höchsten Objekts, der eine Fuß der Breite, 6,46, der zweite Fuß der Höhe, 4,40 Meter. Auf dem Weiß werfen die einzelnen space-Teile Fragen auf, so wie die Farben Strahlen abwerfen. Und Schatten, je nach Licht und Position. Die Künstlerin setzt ihre konkrete Kunst konsequent fort, ohne die ersten Konkreten mit einem Manifest zu kommentieren. Die auferlegte Strenge kommt so ganz federleicht daher. Sichtbares und Nicht-Sichtbares balancieren in einer Art Schwebezustand, mit dem die Künstlerin, was übrigens auch für Alfred Graf, den Kurator dieser Ausstellung und alle Ausstellungen der letzten 10 Jahre, zutrifft, weil sie, wie dieser, sich die Welt „Stück für Stück“ erschließt, „Mapping the World“. Als landvermessende Künstlerin ist Ilse Aberer die zentrale Figur des Abends, jene Person, die den Raum, in dem wir alle uns jetzt befinden, kartiert. Der Raum, den, wie erwähnt, Architekt Hohenfellner hier entworfen hat, ist einem genuin menschlichen Maß konstruiert. Wenn man durch diesen Raum geht, hat man an keinem Ort das Gefühl, es könnte eng werden oder man wäre eingeschränkt. Vielmehr öffnet der Raum.

allerArt Goes out of Frame


In den mit feinen Nadeln an die Wand gehefteten Zeichnungen zeigt Ilse Aberer das Nicht-Sichtbare, so zusagen eine Art Zwischenstadium, genauso wie das Sicht-bare, die Holzobjekte stretched und swingwing, und in einem dritten Konzept, vis-a-vis der Black Town die Stars. AllerArt ist Out of Frame. In der Black Town, dieser in Fortsetzung des Sichtbaren ausgefrästen, ausgeschnittenen Teilen gehen wir spazieren, definieren in sozialen Systemen unsere Beziehungen, generieren wir Fragen aus dem städtischen Bezugsfeld, gehen wir mit dem Basler Kultursoziologen Lucius Burkhardt, dem Begründer der Promenadologie, der Spaziergangswissenschaft, spazieren. In seinen Konzepten von Stadt und Urbanisierung hat Design an sich, die Gesamtkomposition antiker und moderner Stadt, besonders wo sich darin soziale Beziehungen entwickeln, einen besonderen Stellenwert. Es ist nämlich unsichtbar. Teile dieser Definitionsspielräume, das Changieren zwischen Kunst und Architektur, konnten wir bis vor Kurzem am Vorarlberger Architektur Institut in Dornbirn in dem Projekt „Spatial Positions – The Protocols of Athens“ von Aristide Antonas, Architekt und Philosoph, sehen. Die Black Town – zunächst dachte ich mir, ich hätte mich verhört und Ilse Aberer habe Black City gesagt, doch ... Mit Black City hat man ursprünglich Brooklyn bezeichnet, einen kleinen Ort im Bundesstaat Illinois. Dort an der SIU Carpendale hat Barack Obama Social Work studiert und in der ersten afroamerikanischen  Kleinstadt seine Praktika gemacht.

Die Kunst als Entwicklungsabteilung der Gesellschaft oder, die innere Unendlichkeit ins All verlängert

 

Die Kunstwie sie Alfred Graf als Kurator der allerART in den letzten zehn Jahren präsentiert hat - ist eine Art Entwicklungsabteilung der Gesellschaft, sie spezialisiert sich in ihrem gedanklichen und gestalterischen Abtasten, auf Irritation, virtuelle Destruktion und experimentelle Ausweitung der Grenzen gesellschaftlicher Ordnungen. Sie wird hier zum Spielraum eines Systems zur Verständigung, zur Kommunikation, ganz im Sinne von Nikolas Luhmann. Die Kunst Ilse Aberers wird in diesem wunderbaren Raum zu einer inneren Unendlichkeit. Hier finden wir hochdifferenzierte und vieldeutig-vielschichtige Kunstwerke, die in einem eigentlich bis auf weiteres nur vorläufigen Prozess der ästhetischen Erschließung von Welt und ihrer Verwandlung in Kunst eingerichtet sind. Nahezu alle künstlerischen Experimente, die uns Ilse Aberer hier und heute zeigt, sind aus dem Quadrat entstanden, sie folgen keinen anderen Entsprechungen und durch das Weglassen des Rahmens nehmen sie nochmals etwas Neues auf, eine neue Sprache, mit der sie zueinander Bezug nehmen. Bis zu Out of Frame, der Framelessness. Wenn man also die Rahmen von diesen Quadraten wegnimmt und sie mit Fenstern assoziiert, die auf Hebräisch synonym dasselbe wie Seele heißen, kann man durch diese Quadrate ins Freie schauen. In ein weites Land. Im Unterschied zu Kafkas Landvermesser K. im Schloss werden wir erhört. Während parallel jetzt, beim Öffnen der Fenster und Hinausblicken wir eine gesellschaftliche Atmosphäre erleben, die jener in Arthur Schnitzlers Roman The Road Into the Open, Der Weg ins Freie vergleichbar ist. Das wahrLügen (Hannah Arendt) der Geschichte wie der Gegenwart.

Es bleibt noch viel zu sagen und zu reden, bleiben Sie also noch ein bisschen da. Wir haben Zeit bis zum 26. Juni

20.5. - 26.6.2016
Galerie allerArt Bludenz
Mi - So und Feiertage 15 - 18