Das UNPOP-Ensemble zeigt derzeit das Stück "Fairycoin" im Theater Kosmos. (Foto: Caro Stark)
Karlheinz Pichler · 31. Jul 2013 · Ausstellung

Der Hirnmondasket und Denkharmonist – André Thomkins im Kunstmuseum Liechtenstein

André Thomkins (1930 – 1985) war einer der kreativsten Erben von Dada und Surrealismus. Ein Künstler, aus dem die Ideen nur so heraussprudelten und der Werke voller Fantasie, hintergründigem Witz und Ironie en masse aus sich herausschüttelte. Insgesamt 6700 Arbeiten umfasst der Nachlass, den das Kunstmuseum Liechtenstein seit 2002 verwaltet und aufarbeitet. 290 davon werden noch bis 15. September unter dem Titel „Eternal Network“ im Vaduzer Museumskubus gezeigt. Es ist eine retrospektive Schau, die für jeden Kunstliebhaber zu einem wahren Entdeckungsparcours ausarten muss.

Thomkins, der 1930 in Luzern geborene Schweizer mit englischen, holländischen und deutschen Vorfahren, hat seine Kunst in einer Antwort zu einem Fragebogen einmal als "eine Art Bebrütung" umschrieben: "Befragen der Wort- und Bildformen nach ihrem Bedeutungsspielraum. Etwas interpretieren, wie man einen Fragebogen ausfüllt." Und er war ein Schnellbrüter mit einem ungemein hohen Output. Wobei bei ihm Quantität mit Qualität Hand in Hand gingen.

Der „retroworter“


Sein Werk umfasst ein enormes Spektrum, das die Gattungsgrenzen ständig überschreitet und sich nur schwer gängigen Kategorisierungen zuordnen lässt. „Bilder, Sprachbilder, Objekte, Skulpturen, Bühnenbilder, Musik sind die Medien seines spielerischen Umgangs mit Bild und Sprache,“ heißt es in einem Pressetext, der darauf verweist, dass Bild und Sprache bei ihm unzertrennlich miteinander verwoben sind. Er selbst bezeichnete sich als »retroworter« und fand damit eine Berufsbezeichnung für seinen wiederverwertenden, spielerischen und zum Teil automatisierten Sprachumgang. Vielleicht war diese schwer verdauliche Vielfalt mit ein Grund, warum Thomkins lange Zeit ein „Künstlerkünstler“ war, bis er 1972 und 1977 zwei Mal hintereinander zur Documenta in Kassel geladen war und damit international enorm an Bekanntheit gewann.

Ebenso weit gespannt wie sein Œuvre war sein Freundeskreis und das künstlerische Umfeld, in dem er sich bewegte und arbeitete, und das gleichermaßen Fluxus, Eat Art, Vertreter der Konkreten Poesie oder Objekt- und Konzeptkünstler einschloss.

Nach seiner Zeit an der Kunstgewerbeschule in Luzern (1947-49) und dem Besuch der Académie de la Grande Chaumière in Paris übersiedelte er 1952 ins nordrhein-westfälische Rheydt. Hier traf er auf Paul Gredinger, Peter Storrer; Dieter Rot und Daniel Spoerri, arbeitete mit ihnen zusammen und stellte auch gemeinsam mit ihnen aus.

Der Zeichner, Aquarellist, Objektkünstler, Bühnebildner, Xylophonbauer und Experimentator, der täglich auf seinem Piano dem Jazz frönte, war auch ein hintersinniger Wortspieler, der seinen Namen anagrammatisch schillern ließ ("Denkharmonist", "Hirnmondasket"), ein manischer Bastler von (vor- wie rückwärts lesbaren) Palindromen, der manchen "Dreh-Herd" entdeckte und manchen "Geistsieg" errang. Auf zart hingestrichelten oder hingetuschten Miniaturen findet sich solcher Findungsreichtum immer wieder.

Variation und Vernetzung


Am Beginn der Ausstellung, die nicht streng chronologisch aufgebaut ist, sondern auf Vernetzung und Variation Wert legt, da dies genau dem Schaffen von Thomkins entspricht,  stehen Selbstporträts des Schweizers. In jenen, welche die Gestalt des Künstlers abwandeln, wäre er kaum zu identifzieren, hätte er nicht die „Ur-Figur“ mit der querrechteckigen Form des Kopfes und den vor der Brust übergangslos miteinander verbundenen Armen wenigstens einmal mit A. Thomkins bezeichnet. Den Selbstporträts folgen vexierbildartige „Permanentszenen“ und seine berühmten „Lackskins“. Bei letzteren wird Lackfarbe auf einer Wasseroberfläche bearbeitet und das entstandene Bild dann mit einem Blatt Papier abgenommen.

Weitere Highlights der schier uferlosen Hirnergüsse von Thomkins sind etwa die sogenannten Eat-Art-Objekte aus Nudeln, Oblaten, Zucker, Süßholz, Zimt, Kaffee, Dörrbohnen etc. aus dem Jahre 1971, die er in Holzkästen arrangiert hat, und die zumeist im Kontext zu Daniel Spoerris Restaurant in Düsseldorf entstanden sind. Oder die Wortmaschinen, oder die schrägen „Knopfeier“, oder die Xylophone, die er aus einfachem Brennholz zusammenbaute.

Dem Vernetzungsprinzip folgend, griff Thomkins immer wieder auf frühere Arbeiten zurück, varierte sie, baute sie um, referenzierte sie. Zuletzt lebte Thomkins in München und Wien. Gestorben ist er 1985 aber 55-jährig in Berlin an Herzversagen.

Ko-Produktion


Die Ausstellung ist eine Produktion des Kunstmuseums Liechtenstein, kuratiert von Dagmar Streckel und Friedemann Malsch. Die Werkschau wird anschließend in der Kunsthalle Düsseldorf und im Bruseum – Neue Galerie Graz zu sehen sein.

Zur Ausstellung ist im Kerber Verlag ein ungemein informatives Katalogwerk mit Beiträgen von W. Dörstel, E. Gomringer, G. Jansen, S. Kunz, F. Malsch, B. Räderscheidt, D. Streckel sowie mit einem Gespräch zwischen F. Malsch und H. Molderings erschienen. Es ist 408 Seiten stark und enthält Farbabbildungen aller ausgestellten Werke.

 

André Thomkins: „Eternal Network“
Kunstmuseum Liechtenstein
Bis 15. September 2013
Di-So 10-17
Do 10-20
www.kunstmuseum.li