Neu in den Kinos: „The Amateur“ (Foto: 20th Century Studios)
Michael Pekler · 17. Mär 2025 · Film

Neu in den Kinos: „Das Licht“

Nach mehrjähriger Pause kehrt Tom Tykwer mit einem Kinospielfilm und großen Ambitionen auf die Leinwand zurück. Im Eröffnungsfilm der diesjährigen Berlinale erzählt er von einer dysfunktionalen deutschen Familie, die gerettet werden muss, vom Trauma unserer westlichen Wohlstandsgesellschaft und vom Kino als Illusionsmaschine. Dafür reichen nicht einmal zweieinhalb Stunden.

Bei Familie Engels will man nicht zu Besuch sein. Sie bekommt auch nie Besuch. Entweder ist in ihrer weitläufigen Berliner Altbauwohnung ohnehin niemand zu Hause oder eines der Kinder hat sich in seinem Zimmer eingeschlossen. Mutter Milena (Nicolette Krebitz) fliegt oft nach Kenia, wo sie im Rahmen eines Entwicklungsprojekts mit deutschen Fördergeldern ein Theater aufbaut. Vater Tim (Lars Eidinger) radelt jeden Morgen zu seinem Job als leitender Angestellter in einer Berliner Werbeagentur, die Unternehmen beim Greenwashing hilft und sich klug klingende, aber selten dumme Sprüche ausdenkt. Das Geld wird ausgegeben von seiner 17-jährigen Tochter Frieda (Elke Biesendorfer), die nach zwei durchzechten Nächten mit ihrer Clique in Clubs endlich mal ausschlafen muss, und ihrem Zwillingsbruder Jon (Julius Gause), der sein Leben in seinem zugemüllten Zimmer mit VR-Brille in einem komplexen Videospiel verbringt. Den Dreck der gutbürgerlichen, wohlstandsverwahrlosten Engels beseitigt eine polnische Putzfrau, die niemand wirklich kennt und die eines Tages mit Herzinfarkt tot im Wohnzimmer zusammenbricht. Und angesichts der familiären Umstände stundenlang dort liegen bleibt.
Schon lange nicht mehr wurde ein Eröffnungsfilm der Berlinale von der Kritik so gedemütigt wie Tom Tykwers „Das Licht“. Das liegt zum einen daran, dass in dem zweieinhalbstündigen Drama tatsächlich einiges bis an die Peinlichkeitsgrenze schief läuft, und zum anderen daran, dass es sich um einen deutschen Film eines renommierten deutschen Regisseurs handelt, der dank der neuen amerikanischen Festivalleitung das größte deutsche Filmfestival eröffnen durfte. Also mit Heimnachteil. Die meisten Kritiken über Tykwers Rückkehr auf die große Leinwand waren ästhetische und politische Schuldsprüche. Fest steht jedenfalls, dass Tykwer nach jahrlanger selbstgewählter Gefangenschaft in der Fernsehmaschinerie von „Babylon Berlin“ mit „Das Licht“ eine fulminantes Comeback vor Augen hatte, bei dem er alles wollte – und von allem zu viel.

Engelsgleiche Rettung

„Das Licht“ beginnt mit der Vorstellung der Familie Engels in vier parallel erzählten Geschichten – mit denen auch sofort ersichtlich wird, dass sich hier jeder ausschließlich um sich selbst kümmert und die anderen drei längst aus seinem Alltag verbannt hat. Das erste zufällige Zusammentreffen vor der zufällig toten Haushaltshilfe soll als erster dramaturgischer Höhepunkt überraschen – und wirkt als Bild einer dysfunktionalen Familie so banal, dass man dieser gar keine Veränderung wünscht. Was aber in den restliche zwei Stunden geschehen muss.
„Das Licht“ erzählt im Grunde von einer Rettung. Für die Engels naht sie in Gestalt der aus Syrien geflüchteten Farrah (Tara Al-Deen), die in einer Wohngemeinschaft lebt und die Nachfolge der verstorbenen Haushälterin antritt. Natürlich ist Farrah überqualifiziert, aber das Foto der Engels – nomen est omen – im Jobcenter hat sie so verzaubert, dass sie jede andere Anstellung ablehnt. Aus gutem Grund, denn auch Farrah will gerettet werden und braucht dafür entsprechende familiäre Hilfe. Als Rettungsring soll eine Art titelgebende therapeutische Wunderlampe dienen, in die man hineinschauen muss: Wer in das stroboskopisch zuckende Licht blickt, gelangt in einen anderen Bewusstseinszustand, der sich als dramatisch gefährlich erweisen kann.

Plötzlich federleicht

Tom Tykwer versteht sein eigenes Drehbuch als modernes Märchen über den Zustand unserer Gesellschaft und sieht seine Inszenierung vom Magischen Realismus beeinflusst. Tatsächlich verdankt die Filmgeschichte dieser Verschmelzung von Fabel und Wirklichkeit so herausragende Werke wie „Pans Labyrinth“ aus dem fantastischen Universum von Guillermo del Toro. Doch Tykwer will nicht den Finger in offene gesellschaftspolitische Wunden legen – oder glaubt, dies mit dem Thema Migration und Trauma bereits getan zu haben –, sondern konzentriert sich auf das Kino als Spielzeug.
Seit „Winterschläfer“ (1997), in dem sich Schicksale melodramatisch in einem verschneiten Bergdorf kreuzten, und „Lola rennt“ (1998), in dem Franka Potente immer wieder losrannte, zeigt uns der Filmemacher, was Kino kann. In „Das Licht“ sind es Musicaleinlagen, plötzlich federleicht über den Boden schwebende Menschen oder Milenas ständig „Bohemian Rhapsody“ singender Sohn aus einer früheren Beziehung mit einem Kenianer, der im ständig verregneten Berlin kein neues Zuhause finden kann. Die metaphorische Bedeutung des unaufhörlich vom Himmel fallenden Wassers liegt in diesem Film auf der Hand. Genauso wie jene der Figuren in Jons Computerspiel, in dem am Ende vier Gewinner und vier Verlierer gemeinsam durch ein Portal schweben. Am Ende von „Das Licht“ erwartet einen jedoch nur eine Tür, die aus dem Kinosaal führt.

ab 20.3., Cinema Dornbirn