Zwei Debütant:innen trumpften auf
Dirigent Marko Hribernik und Flötistin Anja Nowotny-Baldauf bezauberten das Arpeggione-Publikum.
Fritz Jurmann ·
Apr 2025 · Musik
Hohenems ist im Moment mit drei Hotspots, die fußläufig innerhalb weniger hundert Meter erreichbar sind, wohl das kulturelle Zentrum des Landes. Jeder findet hier das Passende, und das Interesse ist überall groß, auch wenn sich das kulturbeflissene Publikum auch in Hohenems nicht nach Belieben vergrößern lässt. Eben wurde in der kostbar revitalisierten Villa Rosenthal endlich ein Literaturhaus für das Land eröffnet, am Samstag lud die Schubertiade im Markus-Sittikus-Saal zum Start ihrer 50. Jubiläumssaison. Im Rittersaal des Palastes gab man zeitgleich das zweite Abonnementkonzert des Arpeggione-Kammerorchesters, das heuer auch bereits auf einen Bestand von 35 Jahren verweist und dabei locker auch gegen die internationale Konkurrenz bestehen konnte.
Der Grund dafür waren zwei Trümpfe, die der schlaue Intendant Irakli Gogibedaschwili als Programmgestalter für diesen Anlass aus dem Ärmel gezaubert hatte. Auf der Basis einer klugen Auswahl weniger bekannter Werke, die sich durchwegs als vergessene Kostbarkeiten entpuppten, sorgte er mit zwei aufregenden Künstlerdebüts für einen tollen, berückenden und erfüllten Abend. Erstmals stand mit dem aus Slowenien stammenden 50-jährigen Dirigenten Marko Hribernik, Musikdirektor am Konservatorium Ljubliana, wieder ein Dirigent am Arpeggione-Pult, der diesen Musiker:innen nicht nur den Takt schlug, sondern sie im besten Sinne auch forderte, ihr zweifellos vorhandenes hohes künstlerisches Potenzial abrief und damit zu weit überdurchschnittlichen Ergebnissen kam. Man erhielt den Eindruck, dass die routinierten Musiker:innen, diesmal in reiner Streicherbesetzung, nur darauf gewartet hatten, dass ihnen wieder mal jemand mit der Ausstrahlung eines Kraftwerks und spürbarem Charisma ordentlich den Marsch blasen würde.
Qualifizierte heimische Flötensolistin
Auch die Begegnung mit der Solistin des Abends war irgendwie ein Debüt bei Arpeggione. Zwar hatte die junge Lochauerin Anja Nowotny-Baldauf bereits mehrere Jahre als verlässliche Flötistin in den Reihen dieses Kammerorchesters gewirkt, als Solistin im Mittelpunkt eines großen Konzertes zu stehen aber war für sie und das Publikum neu. Nowotny-Baldauf gehört neben dem Ensemble Plus auch dem Symphonieorchester Vorarlberg an, wo sie noch vor wenigen Tagen im 5. Abokonzert in der Nachfolge des verstorbenen Eugen Bertel als seit Jahren bestens bewährte Soloflötistin mit zahlreichen Solostellen des französischen Impressionismus brillierte.
Ganz andere Töne waren ihr diesmal mit dem Flötenkonzert d-Moll von Carl Philipp Emanuel Bach zugedacht, dem unbequemen Neugeist und Revoluzzer, der die Grundsätze, die sein Vater Johann Sebastian festgefügt hatte, auf eigene Art und Weise einfach über den Haufen warf und damit auch manche prominente komponierende Zeitgenossen in seine neue Epoche mitnahm. Der aufmüpfige Geist des jungen „Berliner Bach“, der auch von seinen heutigen Interpreten ein offenes Denken und viel Mut im Zugang einfordert – das sind Dinge, die auch Anja liegen. Ebenso sein Lehrsatz, den die Harfenistin Ulrike Neubacher in ihrer charmanten Einführung postulierte: „Musik muss das Herz berühren“.
Gibt dem Affen Zucker
Anja Nowotny-Baldauf hat ihre Begabung als Tochter des erst kürzlich nach über 20 Jahren zurückgetretenen Obmanns des Vorarlberger Blasmusikverbandes, Wolfram Baldauf, mit enormem Fleiß in einer fundierten universitären Ausbildung in Linz und Trossingen perfektioniert und steht in der Beherrschung ihres Instrumentes auf so sicheren Beinen, dass sie sich überlegen, mit kantigem Zugriff und feinem musikantischem Gespür den erforderlichen Gestaltungsansätzen auch dieses Werkes widmen kann. Darin hat sie in dem Dirigenten Marko Hribernik einen engagierten und verständnisvollen Partner, auch wenn sie dabei nicht weniger gefordert wird als die Orchestermusiker:innen.
Fließt der zweite Satz mit den berückend geheimnisvollen Tönen in der tiefen Lage noch in einem sanglichen Dialog in großen Bögen und makelloser Intonation gemächlich dahin, gibt der Dirigent im finalen Allegro dem Affen Zucker und schlägt ein Tempo an, dem Anja auf ihrem Instrument mit einem brillanten technischen Feuerwerk problemlos begegnet. Das Zusammenspiel mit dem Orchester gelingt auch hier so flexibel und musikantisch wie aus dem berühmten einen Guss. Eine qualifizierte heimische Solistin, die das Publikum auch hier im Nu in ihren Bann schlägt. Und auf die man stolz sein darf.
Dirigent, der keine halben Sachen duldet
Bereits im ersten Werk legt der Dirigent seinen Offenbarungseid ab, dass er keine halben Sachen dulde, konsequent bleibe bis zum Letzten. Das selten aufgeführte „Prélude und Fugue“ von 1910, ein vergessenes Spätwerk des vor allem als Meister des Klaviers geschätzten polnisch-jüdischen Komponisten Moritz Moszkowski, gibt ihm Gelegenheit dazu, auf der Basis höchster Präzision die nachfolgende Fuge in einem Höllentempo durchzupeitschen, dass einem Hören und Sehen vergeht. Da bleibt dann zwar die Schönheit der Musik manches Mal auf der Strecke, dafür ist es unglaublich spannend musiziert.
Nicht weniger unbekannt ist heute auch das letzte Werk, die 1893 entstandene Streicherserenade des tschechischen Komponisten Josef Suk. Das Werk fügt sich in einem größeren Zusammenhang in die verwandten Serenaden von Tschaikowsky und Dvořák in früheren Konzerten ein. Eine großartige Entdeckung, bei der man sich fragt, warum heute die Musik dieses Josef Suk nicht öfter gespielt wird. Sie kann sich in ihrer böhmischen Melodienseligkeit durchaus mit Werken eines Antonin Dvořák messen und lebt vor allem von ihrer gekonnt mit tänzerischen Folklore-Elementen durchsetzten intensiven Klanglichkeit. Bei den meist aus dem Osten stammenden Musiker:innen des Arpeggione-Orchesters sind diese Klänge auch in allerbesten Händen, da wird in Terzen geschwelgt, werden die feinen Pizzicati, die kaum hörbaren Pianissimi und die oft schroffe Dynamik mit großer Leidenschaft ausgekostet. Ein Klangereignis ersten Ranges, dem zur Beruhigung noch Edward Elgars Schmachtfetzen „Salut d’amour“ als Zugabe auf den Heimweg folgt.
Nächstes Arpeggione-Konzert: „Extravaganza“, Solistin und Leitung: Isabelle van Keulen, Violine
Sa, 24.5., 19.30 Uhr, Konzerteinführung 19. Uhr
Rittersaal Palast Hohenems
https://www.arpeggione.at/