Emma Rawiczs virtuoses Spiel mit Entspannung und Ekstase
Die junge Britin feierte mit ihrem Quartett am Dornbirner Spielboden ihren ersten Österreich-Auftritt
Peter Füssl ·
Mär 2025 · Musik
Die aus North Devon stammende Emma Rawicz ist gerade einmal 23 Jahre alt, hat schon die Royal Academy of Music in London absolviert und vor zwei Jahren mit „Chroma“, ihrem Debütalbum beim renommierten Münchner Jazz-Label ACT, einiges Aufsehen erregt. Vom damaligen, mit promintenten britischen Musikern besetzten Quintett ist zwar „nur“ noch Drummer Asaf Sirkis dabei, aber auch der junge dänische Pianist Rasmus Sørensen und Kevin Glasgow auf dem sechssaitigen E-Bass machten bei der Umsetzung der durchaus komplexen, aber leicht ins Ohr gehenden Kompositionen der Bandleaderin eine ausgesprochen gute Figur. Beste Voraussetzungen also für einen intensiven und begeisternden Jazz-Abend!
Zwischen Post-Bop und Fusion
Sie gastiere überhaupt zum ersten Mal in Österreich und habe ein paar Nummer von „Chroma“ im Gepäck, aber auch viel Neues, das noch nicht veröffentlicht worden sei, erklärte Rawicz bei der Begrüßung auf Deutsch, das sie gerade am erlernen sei. Später schwenkte sie dann bei den Ansagen auf Englisch, dem musikalischen Vergnügen tat dies allerdings keinerlei Abbruch. Drei Titel waren schon auf „Chroma“ zu finden, wurden allerdings stark verändert: „Rangwali“ und „Xanadu“, das auf dem Album in drei sehr unterschiedlichen Varianten aufgenommen wurde, vereinte sie zu einem einzigen, sehr abwechslungsreichen Stück mit vielen Tempo- und Stimmungswechseln. Rawicz ließ auch im Gegensatz zu den Aufnahmen Flöte und Bassklarinette zuhause und konzentrierte sich voll auf Tenor- und Sopransax, was zwar eine kleine Einbuße im Klangfarbenspektrum bedeutete, möglicherweise aber auch einen Zuwachs an Intensität mit sich brachte. Apropos Klangfarben: Emma Rawicz ist Synästhetikerin und verbindet das Hören bestimmter Töne mit entsprechenden Farbempfindungen, weshalb manche ihrer Songtitel auf Farben verweisen – im vorliegenden Fall „Rangwali“ auf ein helles Lila und „Xanadu“ auf ein Graugrün. Aber auch wenn man nicht mit dieser Gabe gesegnet ist, konnte man sich durchaus an den vielschichtigen, irgendwo im Spannungsfeld von Post-Bop und Jazz-Rock angesiedelten Kompositionen erfreuen. Auch „Middle Ground“, in dem Rawicz auf dem Tenorsax zwischen den vielen kraftstrotzenden Stücken ihre Fähigkeiten für wundervolle Balladeninterpretationen ausspielen konnte, kannte man schon vom Debütalbum her.
Sieben neue Kompositionen mit viel Raum für Soli
Die bislang unveröffentlichten Stücke – mit zum Teil sprechenden Titeln wie „Rebecca“, „The Oak Tree“, „Duende“, „Waldeinsamkeit“ (ein stimmungsvolles Klanggemälde), „Cowboys and Aliens“ und „Quirky“ (lebhaft schräg bis schrullig) oder „A Wide, Wide Sea“ – unterschieden sich kompositorische kaum vom bekannten Material. Es ist ein virtuoses Spiel zwischen Ekstase und Entspannung, voller Dynamik und zumeist von höchster Intensität. Rawiczs Kompositionen basieren auf spannungsgeladenen Rhythmen, interessanten Harmonien, eingängigen Melodien und permanenten Tempo- und Stimmungswechseln. Experimentelle oder avantgardistische Momente spart sie aber weitestgehend aus. Dafür bleibt jede Menge Raum für exzellente Soli. Die Bandleaderin spielt technisch perfekt und beherrscht das gesamte Ausdrucksspektrum zwischen sanftem Flüsterton, mitreißenden Eruptionen und höchst expressivem Kreischen. Und irgendwie ist es schon verblüffend, dass eine 23-Jährige schon die gesamte Jazz-Geschichte intus zu haben scheint und auch den Vergleich mit den großen Meistern ihres Instruments keineswegs zu scheuen braucht. Aber auch der erst 27-jährige Rasmus Sørensen, Absolvent der Manhattan School of Music, bewies sowohl als effektvoller Begleiter, als auch mit brillanten Soli, dass er in seiner Heimat Dänemark letztes Jahr nicht zufällig zum „Jazzmusiker des Jahres“ gewählt wurde. Angelegt zwischen Einfachheit und Raffinesse, an Joe Zawinuls berühmten Sager – dass Musik kompliziert zu spielen, aber einfach zu hören sein müsse – erinnernd. Auch der aus Schottland stammende Kevin Glasgow erhielt viel Raum für Soli, für die er das erweiterte Klangspektrum auf dem sechssaitigen E-Bass durchaus zu nutzen wusste. Eine Generation älter als die anderen Akteure ist der aus Israel stammende Drummer Asaf Sirkis (Jahrgang 1969), der zwischen Fusion, Klezmer, Weltmusik und Free Jazz alles schon einmal gespielt hat und bei uns besonders durch seine langjährigen Engagements in Gilad Atzmons Orient House Ensemble und bei Tim Garland bekannt geworden ist. Vielleicht besteht ja ein besonderer Hang zu exzellenten Saxophonist:innen, den er nun bei Emma Rawicz auslebt. Jedenfalls ist Sirkis ein ausgesprochen wendiger Schlagzeuger, der sowohl die feine Klinge, als auch den Bihänder zu führen versteht. Kraftvoll und impulsiv peitscht er das musikalische Geschehen voran und lässt seine Drums durchaus auch einmal effektvoll rumpeln, wenn es gerade angebracht erscheint.
Großes Zukunftspotential
Emma Rawicz zeigte sich von den professionellen Verhältnissen und der freundlichen Aufnahme am Spielboden höchst angetan, wo sie bald wieder einmal zu gastieren hofft. Wenn man weiß, dass die vielseitige Engländerin dieser Tage gerade das exzellente Duo-Album „Big Visit“ (ACT) mit dem Pianisten Gwilym Simcock vorlegt, aber auch ihr eigenes Jazz Orchestra gegründet hat, steht da ohnehin ein großes Zukunftspotential im Raum, das ein Wiedersehen – auch aus der Sicht der begeisterten Hörerschaft – durchaus wünschenswert erscheinen lässt. Also, so long, Emma!
Nächstes Jazz&-Konzert am Spielboden Dornbirn
Do, 3.4.2025, 20.30 Uhr, Marta Sanchez Trio
www.spielboden.at