Zwischen Halten und Lassen
Pforte 2024 – Programm 5
Michael Löbl ·
Sep 2024 ·
Es ist schon faszinierend, wie verschieden Zugänge zur Musik sein können, mit einem im Gegenzug allerdings sehr ähnlichen Endergebnis, nämlich dass jemand in einem Konzert sitzt und Musik hört. Was aber drumherum passiert oder auch nicht, zeigt ein Vergleich zwischen zwei Veranstaltern in Vorarlberg, nämlich der Pforte und der Schubertiade.
Die Schubertiade hat sich zu 100 % der Schnörkellosigkeit verschrieben, es gibt Konzerte und nichts dazu, kein Konzept im Hintergrund, keine Musikvermittlung, sogar die Veranstaltungstitel beschränken sich auf „Kammerkonzert“ oder „Liederabend“. Die Pforte repräsentiert das genaue Gegenteil. Ein psychologisch-philosophischer Überbau ist zentraler Bestandteil jedes Jahresprogrammes, die Konzerte transportieren eine Botschaft, die der Pforte-Gründer Klaus Christa so beschreibt: „Wir sind überzeugt, dass der Musik eine ordnende Kraft innewohnt, die uns Sammlung erleichtert und uns dadurch besser mit dem Reichtum der Lebenseindrücke zurechtkommen lässt. Die ungeheuer vielen Möglichkeiten, die unser musikalisches Repertoire auszeichnet, verstehen wir als Einladung, das Leben in seiner Komplexität und Vielschichtigkeit anzunehmen.“
Die Verwandlung
Das Konzept der „Heldenreise“ des amerikanischen Philosophen Joseph Campbell ist Thema im Pforte-Jahr 2024. Das fünfte Programm trägt den Titel „Die Verwandlung – Zwischen Halten und Lassen“ und wird eingeleitet durch einen „Impuls um halb“ mit der Psychotherapeutin Dr. Helga Kohler-Spiegel. Es ging irgendwie um den Wandel im Allgemeinen und dessen Beziehung zur Sonatenhauptsatzform. Obwohl Klaus Christa diesen Zusammenhang mit Überzeugungskraft verkündete, blieb er einem Großteil des Publikums vermutlich verborgen. Es führen halt viele Wege nach Rom, wobei Rom in diesem Fall ein Konzertsaal ist. Und dort – das haben Schubertiade und Pforte gemeinsam – sitzt man in beiden Fällen irgendwann auf einem Stuhl und hört Musik, beispielsweise gespielt von einem Streichquartett.
Im Mittelpunkt des Konzertes stand die Geigerin Sophie Heinrich. Nicht nur, weil die Erste Violine in einem Quartett immer besondere Aufmerksamkeit auf sich zieht, sondern auch, weil es sich um den ersten Auftritt dieser Musikerin mit dem Epos:Quartett handelte, das viele Jahre lang mit Christine Busch an dieser Position zusammengearbeitet hatte. Sophie Heinrich stammt aus Augsburg, studierte in Berlin und Lübeck, spielte sieben Jahre lang als Konzertmeisterin an der Komischen Oper Berlin, bevor sie von 2019 bis 2023 in gleicher Position bei den Wiener Symphonikern tätig war. Seit 2021 ist sie nun Professorin an der Stella Musikhochschule, spielt Konzerte als Solistin und Kammermusikerin und gibt Meisterkurse im In- und Ausland. Ihren Einstand beim Epos:Quartett gab sie am Donnerstagabend im Feldkircher Pförtnerhaus, und das mit Bravour. Souverän trifft Sophie Heinrich genau den richtigen Ton sowohl für Haydn und Beethoven als auch für das Quartett der Schönberg-Schülerin Vilma von Webenau. Ihr Geigenspiel ist vollkommen natürlich, ohne musikalische Mätzchen oder aufgesetzte Effekte, technisch makellos und klanglich ausgewogen von der G-Saite bis hinauf in die höchsten Lagen. Durch ihre Körpersprache führt sie subtil und ohne sich aufzudrängen. Besser geht es eigentlich nicht.
Verschiedene Stimmungen
Das fünfte der nach ihrem Auftraggeber benannten „Erdödy-Quartette“ von Joseph Haydn und Ludwig van Beethovens „Harfenquartett“ op. 74 umrahmten das zweite Streichquartett von Vilma von Webenau. Die Wiener Komponistin gehörte dem Künstlerkreis um Alban Berg, Anton von Webern und Arnold Schönberg an, dessen Schülerin sie war. Die von ihm entwickelte Zwölftontechnik hat sie allerdings nie übernommen. Man hört Anklänge an Max Reger, Paul Hindemith und natürlich an die frühen Werke Schönbergs. Die Musik ist komplex und es wäre vielleicht keine schlechte Idee, das nicht allzu lange Werk dem Publikum noch ein zweites Mal zu präsentieren. Den stärksten Eindruck hinterließ der dritte Satz, ein Andante mit wunderschönen Momenten und vielen verschiedenen Stimmungen.
Neben Maria Bach ist Vilma von Webenau die Komponistin, die Klaus Christa mit seinem unermüdlichen Einsatz für verschollene Werke komponierender Frauen einer breiteren Öffentlichkeit bekannt gemacht hat. Auch im nächsten Jahr wird wieder ein Werk von ihr im Pforte-Abonnement vertreten sein, das verrät zumindest der Info-Flyer mit den Rohdaten der Pforte-Konzerte 2025 von Februar bis November. Mittlerweile sind aber auch andere auf den Zug aufgesprungen, so ist gerade eine vom WDR produzierte CD mit mehreren Werken von Vilma von Webenau erschienen und auch der ORF hat sich dem Thema der vergessenen Schülerinnen von Arnold Schönberg angenommen.
Wer nach drei anspruchsvollen Streichquartetten noch aufnahmefähig war, konnte bis spät in die Nacht im Pförtnerhaus verweilen. Unter dem Titel „Nachtmusik – Pforte von morgen“ spielte zunächst das junge Ambedo String Quartet ein weiteres Werk von Vilma von Webenau (das Streichquartett Nr. 1) und Franz Schuberts Es-Dur-Quartett D 87, anschließend konnte man das Ensemble Viola Impact aus der Klasse Klaus Christa kennenlernen. Das Programm war bunt gemischt und enthielt unter anderem Werke von Johannes Brahms, Simon Frick, Abdullah Ibrahim und Komponisten aus Südafrika. Aber hätten sich die jungen Musiker nicht einen publikumsfreundlicheren Konzerttermin verdient?
Abschluss des Pforte-Abonnements 2024 (ACHTUNG – DIE KONZERTE WURDEN UM EINE WOCHE VERSCHOBEN – NEUE TERMINE!)
Do, 21.11 um 19 Uhr und Fr, 22.11 um 20: „Die Rückkehr“ (Werke von J.S. Bach u. a.)
Miriam Feuersinger, Sopran; Matthias Helm, Bariton; Elisabeth Wiesbauer, Barockvioline; Nina Pohn, Barockvioline, Lucas Schurig-Breuß, Barockviola; Kaspar Singer, Barockcello; Angelika Gallez, Traversflöte, Herbert Walser-Breuß, Naturtrompete; Johannes Hämmerle Orgel, Cembalo, Leitung & Impuls um halb
Pförtnerhaus, Feldkirch
https://www.pforte.at/konzerte/konzerte-im-pf%C3%B6rtnerhaus-2024/konzert-n-6-die-r%C3%BCckkehr/