Zehn Jahre Bachkantaten in Vorarlberg
Das zweite Programm des Jubiläumsjahres mit dem Titel „Stimme & Instrument“
Michael Löbl · Mai 2023 · Musik

Wie viele Kantaten Johann Sebastian Bach tatsächlich geschrieben hat, ist nicht eindeutig feststellbar. Einige sind verschollen, andere vermutlich nicht von ihm, sondern zumindest teilweise von Zeitgenossen komponiert. Insgesamt 200 Bachkantaten sind erhalten, zum Großteil Werke analog den Sonntagen im Kirchenjahr, aber auch Kantaten für weltliche Anlässe wie Geburtstage sind erhalten geblieben. Immer wieder wagen sich Interpreten an den Mammutplan einer Gesamtaufführung oder Gesamtaufnahme aller Bach-Kantaten, und mehrmals wurde das bereits in die Tat umgesetzt. Auf dem Gebiet der Aufnahmen haben vor allem die Altmeister Helmuth Rilling, Nikolaus Harnoncourt und John Eliot Gardiner auf diesem Gebiert Großes geleistet, bei den Aufführungen sind Musiker:innen in und aus der Schweiz erstaunlich produktiv.

as auf 20 Jahre ausgelegte Projekt der J.S. Bach-Stiftung St. Gallen sollte in drei Jahren abgeschlossen sein. Eine bereits legendäre Gesamtaufführung gab es zwischen 2004 und 2009 in der Predigerkirche Basel. Sämtliche Kantaten von Johann Sebastian Bach konnte man dort im Laufe von neun Jahren erleben. Unter den zahlreichen Solisten:innen dieses Projektes war auch Miriam Feuersinger.
Als die Aufführungsreihe zu Ende ging, hatte die inzwischen international tätige Sopranistin die Idee, ein ähnliches Projekt in ihrer Heimat Vorarlberg zu veranstalten. Die Reihe „Bachkantaten in Vorarlberg“ war geboren. Neben Miriam Feuersinger von Anfang an dabei waren der Cellist Thomas Platzgummer als Musikalischer Leiter sowie der aus dem Bregenzerwald stammende Armin Bereuter an der Violone, dem barocken Kontrabass. 2023 feiert man nun das zehnjährige Jubiläum. Wie immer mit an Bord, wenn es um Barockmusik in Vorarlberg geht, ist Johannes Hämmerle an den Tasteninstrumenten Orgel und Cembalo. An eine Gesamtaufführung der Bachkantaten ist zwar nicht gedacht, aber an ein Ende des Zyklus‘ ebenso wenig. Mit der evangelischen Kreuzkirche in Bregenz und dem Dom in Feldkirch hat man im Laufe der Jahre die beiden optimalen Aufführungsorte für diese Konzertreihe gefunden und in internationalen Musikerkreisen hat sie sich mittlerweile zu einem beliebten musikalischen Treffpunkt entwickelt. „Eine Insel im Jahreskalender“ ist für Thomas Platzgummer jedes der drei jährlichen Konzertwochenenden. Musiker:innen aus ganz Europa mit dem Schwerpunkt Historische Aufführungspraxis treffen sich in Bregenz, proben, wohnen und essen gemeinsam und spielen zum Abschluss jeweils zwei Konzerte auf höchstem Niveau. Seit sechs Jahren werden die Programme um Musik von Bach-Zeitgenossen erweitert, darunter oft neu Entdecktes oder Unbekanntes.

Stimme & Instrument

Im Mittelpunkt am zweiten Konzertwochenende dieses Jahres unter dem Titel „Stimme & Instrument“ stand die Kantate BWV 51 „Jauchzet Gott in allen Landen“ mit solistischen Aufgaben für das Instrument des Abends, der Barocktrompete. Eröffnet wurde das Programm mir zwei Arien von Georg Friedrich Händel für Sopran und solistische Trompete. Die einfach besetzten Streicher klingen durch die Kirchenakustik fast chorisch und es ist bewundernswert, wie die Trompeterin Ute Hartwich auf einem Instrument ohne Ventile musikalische Phrasen mit großer dynamischer Bandbreite gestalten kann. Dabei interagiert sie stets mit der Gesangsstimme, blüht solistisch auf, wechselt dann blitzschnell ins Piano, wenn es musikalisch gefordert wird.
Dann hatte die Trompete sechs Sätze lang Pause. Es folgte eine Ouvertüre von Johann Ludwig Bach, einem entfernten Verwandten von Johann Sebastian. Für die kompositorische Qualität von Johann Ludwig spricht, dass eine seiner Kantaten lange Zeit für ein Werk Johann Sebastians gehalten wurde, beweisbar durch die noch heute aktive BWV-Nummer 15. Seine Ouvertüre in G-Dur hätte das vermutlich nicht geschafft. Den wenigen schnellen Teilen standen mehrere langatmige Tanzformen gegenüber, darüber hinaus hatte man die in der Partitur notierten beiden Oboen weggelassen und möglicherweise war das der Grund, warum der Ensembleklang in diesem Stück manchmal etwas eindimensional wirkte.

Überlegene musikalische Gestaltung

„Jauchzet Gott in allen Landen“ BWV 51 ist eine der bekanntesten und beliebtesten Bachkantaten. Nicht nur die Sopranistin darf brillieren, auch die beiden Violinen und natürlich die strahlende Trompete im Eröffnungssatz und im abschließenden Alleluja geben diesem Werk seinen speziellen Charakter. Der Reiz dieser Kantate entwickelt sich auch aus dem Gegensatz der brillanten Ecksätze und der innigen Arie „Höchster, mache eine Güte“. Im darauffolgenden Choral „Sei Lob und Preis mit Ehren“ glänzen Regula Keller und Cosimo Stawiarski an den Violinen durch virtuose solistische Aufgaben.   
Miriam Feuersinger besitzt die perfekte Stimme für diese Musik. Ihr Timbre ist schlank, sehr fokussiert, wunderbar rund und absolut ausgeglichen in allen Lagen. Genau in der goldenen Mitte angesiedelt zwischen zu opernhaft und antiseptisch-gerade klingt ihr geschmackvolles Vibrato, das jeden Ton belebt und ihm Charakter verleiht, dabei aber niemals in den Vordergrund tritt. Ihre überlegene musikalisch-stimmliche Gestaltung macht die Echo- und Opus-Preisträgerin zu einer der derzeit gefragtesten Sängerinnen, vor allem für Werke von Johann Sebastian Bach und seinen Zeitgenossen.

Bachkantaten in Vorarlberg 2023 wird im November fortgesetzt. Und anschließend hoffentlich noch viele weitere Jahre.

www.bachkantaten.at
www.miriam-feuersinger.info

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