Wolfgang Muthspiel / Scott Coley / Brian Blade: Tokyo Peter Füssl · Okt 2025 · CD-Tipp
Mit Wolfgang Muthspiel an den Gitarren, Scott Colley am Kontrabass und Drummer Brian Blade haben wir drei Großmeister am Start, deren exzellentes Zusammenspiel auf den Alben “Angular Blues“ (2020) und „Dance of the Elders“ (2023) bereits eindrucksvoll dokumentiert wurde und auf zahlreichen Tourneen in aller Welt wie guter Wein in edlen Fässern nochmals hervorragend gereift ist. Die drei kommunizieren längst auf einem Niveau, wo sich keiner mehr beweisen muss, und die Erfüllung nicht im sich Ergehen in egozentrischen Egotrips, sondern in der wechselseitigen Inspiration und im sich gegenseitig immer noch überraschen Können besteht. Hier herrschen ein ausgeprägter Sinn für Ästhetik, die nie gekünstelt wirkt, eine perfekte Balance zwischen ausgeklügelten Kompositionen und inspirierten Improvisationen, eine außerordentliche Sensibilität und ein sicheres Gespür für feinste Nuancen, die selbst für den ausgebufften Jazz-Fan beim x-ten Anhören noch überraschende Trouvaillen bereithalten.
Muthspiel steuert acht neue Kompositionen bei, umrahmt von zwei Fremdkompositionen, die durchaus auch auf die eindrucksvolle Geschichte von ECM verweisen. So ist der funkensprühende Opener „Lisbon Stomp“ ein doppelter Ausflug in die Vergangenheit, weil er auch schon auf Keith Jarretts Debüt-Album „Life Between The Exit Signs“ (Vortex Records, 1968) einen kleinen Spaziergang des Jahrhundert-Pianisten in die Jazz-Geschichte bedeutete. Im Trio des späteren ECM-Superstars spielten damals zwei Musiker, die ebenfalls wichtig werden sollten für das bedeutsame Münchner Label: Charlie Haden am Kontrabass und Paul Motian an den Drums. Von letzterem stammt die zweite Fremdkomposition auf Muthspiels Album, dessen Parade-Stück „Abacus“, das der legendäre Drummer erstmals 1979 auf dem ECM-Album „Le Voyage“ veröffentlichte und später rund ein Dutzend Mal in unterschiedlichsten Besetzungen eingespielt hat. Allerdings muss auch Wolfgang Muthspiel, der in den 1990-ern fallweise in Paul Motians Electric Bebop Band mitgespielt und den meisterhaften Time-Keeper auch für zwei seiner eigenen Produktionen ins Studio geholt hat, ebenfalls einen besonderen Hang zu dieser vielschichtigen, rhythmisch herausfordernden, handfesten und gleichzeitig frei in Zeit und Raum schwebenden Komposition haben, hat er sie doch letztes Jahr auch schon auf seinem aktuellen Solo-Album „Etudes/Quietudes“ (Clap Your Hands, 2024) veröffentlicht. Die nun vorliegende, in Tokyo (daher stammt der Album-Titel) aufgenommenen und in München unter ECM-Mastermind Manfred Eicher finalisierte Fassung, kann als Parade-Beispiel für die exquisite und feinfühlige Spielweise des Trios gelten – für Brian Blades unkonventionelles, unaufdringliches, aber höchst effektvolles Time-Keeping und für Scott Colleys mit den Gitarrenlinien subtil verzahnte Bassarbeit, die gezupft und mit dem Bogen gestrichen gleichermaßen beindruckend ist. Muthspiel beweist seine grandiose Könnerschaft auf klassischer Akustik- und auf E-Gitarre, lässt fingerfertig die Läufe perlen, zaubert Stimmungen und stellt – im Gegensatz zu manchen seiner Gitarristenkollegen – den feinfühligen Triolog stets über eitle Saiten-Eskapaden. In seinen Eigenkompsitionen, die von starken Melodien, spannenden Harmonien und abwechslungsreichen Rhythmen geprägt sind, spannt er stilistisch einen breiten Bogen. „Pradela“ und „Traversia“ sind klangvolle, lyrische Stimmungsbilder, die zum Wegträumen einladen.
Beim spannungsvollen „Roll“ denkt man sich unwillkürlich „Rock’n‘“ zum Titel dazu – Muthspiel nennt seinen legendären Landsmann Joe Zawinul und dessen Weather Report als Einflüsse, ebenso wie für „Christa’s Dream“, den er auf der Synthesizer-Gitarre träumt. Beim kantig-witzigen „Weill You Wait“ hat der Komponist die Hommage bereits in den Titel integriert, Kurt Weills „Liebeslied“ aus der „Dreigroschenoper“ gehört ja schon länger zum Repertoire dieses Trios. Klarerweise haben wir es hier nicht mit der traditionellen Rollenverteilung eines Solisten und zweier begleitender Rhythmiker zu tun, sondern mit drei gleichberechtigten Musikern. So verwundert es auch nicht, dass Scott Colley nicht nur in „Strumming“ auf dem gestrichenen Kontrabass die Melodie-Arbeit übernimmt, während Muthspiel für einen Folk-artigen Unterbau sorgt. Der Gitarrist erwähnt hier – einigermaßen unerwartet – Bob Dylan und Leonard Cohen als Inspirationsquellen, was man sich auch für das quirlig melodiöse „Flight“ vorstellen kann. Und das von einer Wanderung auf dem Jakobsweg inspirierte, nachdenkliche und harmonisch spannende „Traversia“ habe „eher mit Messiaen als mit Gillespie“ zu tun, erklärt er. Man kann „Tokyo“ also durchaus als eklektisches Meisterwerk betrachten, allerdings als eines, das von der unverwechselbaren Handschrift Wolfgang Muthspiels geprägt ist und in der Realisierung durch ein grandioses Trio seine Vervollkommnung gefunden hat.
(ECM/Universal)
Konzert-Tipp: Vorfreude gilt als die schönste Freude - das Trio ist am 21.2.2026 beim jazzambach Festival in Götzis zu Gast.