Wo Licht, da ist auch Schatten
„Brot und Speer“ von Christian Zillner
Florian Gucher · Dez 2023 · Literatur

„Brot und Speer“ nennt sich der neue Lyrikband von Christian Zillner, der über das Werden und Vergehen sinniert und dem Ungreifbaren eine Stimme verleiht. In Zillners Werk – übrigens der erste Teil einer Trilogie – geht es um die Existenz selbst, doch noch viel mehr um die Stille, Ruhe und Schönheit, die mittels Sprache heraufbeschworen werden soll und leicht wie ein Schmetterling wirkt: „Ich schreibe, wie ein Baum wächst“, zieht Zillner einen Vergleich zu seinem Schreibprozess, der in diesem Buch ganz unmittelbar daherkommt.

Vom eigenen „Verkopftsein“ – in Analogie zum Bild der Klause im Kopf, einer verlassenen Einsiedlerhütte am Berg – ausgehend, setzt der Gedichtband bei den gedanklichen Stimmen an, die sich zurück an die Kindheit und das Heranwachsen erinnern und dann bis zum Tod kreisen. Der im Limbus Verlag erschienene, 96 Seiten umfassende Lyrikband des Autors Christian Zillner ist in zwei Teile, „Brot“ und „Speer“, gegliedert. Diese Zweiteilung hält ein Zwischenscharnier, das sogenannte „Emilieren“, zusammen. Es besteht aus Übersetzungen von Versen Emily Dickinsons, einer amerikanischen Dichterin aus dem 19. Jahrhundert, die trotz moderner Texte, die Entwicklungen wie Brüche mit klassischen Formen oder die Beschreibung des Nicht-zu-Beschreibenden vorwegnehmen, lange unterschätzt wurde. Das Brot in Zillners Werk muss man sich dann wie ein Grundnahrungsmittel und Existenzgarant vorstellen. Die Verse darin sind welche, die man sich „ins Maul stopfen möchte“: Brot, dessen glitzerndes Salz erweicht, liegt genüsslich auf dem Teller parat, Äste häkeln Taschen an ihre Pflaumenbäume und das Licht eines Rundmondes hinterlässt sein Spiegelbild im Glas. Sprachspiele schaukeln sich auf, Wortkombinationen tauschen sich aus und suggerieren neue Bedeutungen wie „Kindergezwitscher“ und „Vogellaut“. Das Ganze hat etwas Spielerisches, Unbeschwertes, die Worte zergehen auf der Zunge. Ganz anders zeigt sich der Gegenpart dazu – der Speer: Hier geht es um das Sterben, um nichts Geringeres als den Tod selbst. Zeitgleich steht aber auch eine wütende Menschheit im Mittelpunkt, die die Säbel aufeinander richtet und zum Kampf bläst: „Das Brot nutzt uns nur eine gewisse Zeit etwas, dann kommt der Speer, der jede:n treffen wird, ja unausweichlich ist“, so der Autor. Das Emilieren bereitet währenddessen schon auf den Tod vor, denn hier geht es um alles: Um den letzten Kampf, um das Abschließen aber auch um ein Auffinden des Trostes und um ein sich Aussöhnen mit der Welt. Der Lyrikband erzählt so die Geschichte des ganzen Lebens.

Dialoge und Kontraste

Formal hat Zillner seine Gedichte so arrangiert, dass sie miteinander zu kommunizieren beginnen: „Alle Gedichte, die auf einer Doppelseite zu finden sind, stehen irgendwie miteinander in Beziehung. Sie führen einen Dialog, ergänzen sich, sind in einem Zwiegespräch verwickelt. Oder aber sie bilden Kontrapunkte, indem sie zwei Seiten desselben Phänomens zeigen“, so der Autor, dessen Gedichte sich erst im längeren Prozess zu einem konzentrierten Gefüge zusammentun: „Ursprünglich sind die Gedichte viel länger, sie werden erst im Zuge der Überarbeitung dichter und präziser.“ Generell lässt sich der Schreibprozess des gebürtigen Vorarlbergers, der nun in Wien lebt und neben seiner Tätigkeit als Literat auch Maler ist, als intuitiv beschreiben: „Alles beginnt mit einem Satz und dann geht es dahin – wie auf einer Reise, von der ich selbst überrascht bin“, so Zillner.

Von Homer bis Büchner

Stark aufgeladen sind die Zeilen mit Elementen der Mythologie. Referenzen lassen sich von Achilles, Polydora und Diomedes, Figuren der Ilias von Homer, bis hin zu Xenophon, dem griechischen Schriftsteller, finden und reichen bis zu religiösen Anspielungen: „Der Mythos ist für mich in der Lyrik die plausiblere Form einer Berührtheit, da er nicht psychologisiert und vieles offen lässt.“ Prinzipiell lässt sich eine Parallele zu Homer ziehen, mitunter in der von Zillner verwendeten Epos-Versform, aber auch in den von ihm heraufbeschworenen Bildern von Burgen, Kirchen, Schlössern, von Strand und Meer sowie der Kosmologie. Daneben strahlt das Werk eine Eleganz und Leichtigkeit aus. Als literarisches Vorbild sickert Büchners Dramenfragment „Leonce und Lena“ durch, ein Lustspiel, das sich am Französischen orientiert und dem die Härte der deutschen Sprache widerstrebt. Zillner ließ sich davon inspirieren: Während der erste Teil des Buches seine Verse der Schönheit der Natur entnimmt, leitet „Speer“ den Verfall der Menschheit aus mythologischen Gleichnissen heraus ab, die doch eine Erhabenheit in sich tragen. Die Leichtigkeit einer unbeholfenen Flussüberquerung, das kindliche Spiel im Sand und ein Kinderlächeln unter träumerischem Sternenhimmel konterkarieren aber bereits im ersten Teil mit Themen, die das stets präsente, hier noch weit entfernte Ende erahnen lassen. Für kurze Zeit tritt der Ernst ins noch lockere Fabulieren mit ein: „Kiesel an der groben Sohle des neuen Schuhs erinnern sie daran. Sie werden auf Erden länger liegen als sie“, gibt es ziemlich zu Beginn bereits einen Vorgeschmack auf den unausweichlichen Tod. Dazwischen tauchen Verse auf, die sich auf das Brot beziehen, das uns am Leben hält. Das Brot ist dann im zweiten Teil verschwunden und macht für den Speer Platz. Stark eingeflochten wird nun das Bild der europäischen Kultur, die sich unter dem Stern des Homerischen Zorns stehend gegenseitig bekriegt. In diesem Sinne birgt Zillners Lyrikband etwas Brandaktuelles in sich. Man könnte gar von „Wutbürgern“ sprechen, auf die Zillner referiert. „Die Geschichte Europas entpuppt sich als eine Geschichte der Gewalt“, so ein Zitat aus dem Buch. Im übertragenen Sinne steht das Kapitel wiederum für den den Lauf der Natur bestimmenden Tod, für das Sterben generell. Die Sprache wird hitziger, aufbrausender. Verwitterte, abgestorbene Natur und zersägte Stämme haben ihr frisches Aussehen abgestreift, in Referenz dazu weisen Sarkophage, Schwerter und zu Staub verfallene Leiber auf das menschliche Ende hin. Am Ende steht der Tod dem Menschen dann direkt gegenüber: Das letzte Wort im Buch ist ein Flüsterton, der mit dem Duft der Rose verstummt und so verschwinden lässt, was mal war.
Zillners Gedichte sind weniger Erklärungen, als vielmehr Bilder und Gleichnisse, die das eigene Denken herausfordern. „Brot und Speer“ zeigt, wie in Zillners Lyrik Schönheit und Schmerz einhergehen. Mag das dichte Geflecht an Assoziationen zunächst eine gewisse Irritation auslösen, macht diese – nach kurzer Atempause – dem Zauber der Ästhetik Platz, ehe sich die Verse einem wieder völlig entziehen. Man ist hin- und hergerissen, wie im Leben selbst. „Brot und Speer“ wird so zum Spiegel unseres eigenen Daseins.

Dieser Artikel ist bereits in der Print-Ausgabe der KULTUR Dezember23/Jänner24 erschienen.

Christan Zillner: Brot und Speer. Limbus Verlag, Innsbruck 2023, 96 Seiten, Hardcover, ISBN 978-3-99039-241-6, € 15

Teilen: Facebook · E-Mail