Who Killed Cock Robin?
„Hold your breath“ - eine Produktion des Opernateliers bei den Bregenzer Festspielen
Ingrid Bertel · Aug 2024 · Musik

Zum Ende der Bregenzer Festspiele entführt Sir David Pountney das Publikum in ein Märchenland. „Hold your breath“, eine Produktion des Opernateliers, feierte eine leise Premiere auf der Werkstattbühne.

Am Ende kein Applaus, sondern Stille. Zu den volksliedhaften Klängen eines traurigen Lieds werden die ZuseherInnen von vier Sängerinnen hinausgescheucht. Und das hat seinen guten Grund: Die Welt, die sie verlassen, ist zerstört, die Erde verbrannt, das Wasser vergiftet, und die Tiere sind tot. Das englische Volkslied „Who Killed Cock Robin?“ steht im Zentrum dieses Abends, den Librettist und Regisseur David Pountney zusammen mit der Komponistin Éna Brennan und dem portugiesischen Künstler Hugo Canoilas geschaffen hat. Wer also hat das Rotkehlchen getötet?

„I, said the Sparrow“

Der Spatz war’s. Der hat Pfeil und Bogen. Und nun kommen die Tiere, um Robin zu begraben. Eine der vielen Legenden über dieses alte Lied behauptet, Robin Hood sei gemeint, doch David Pountney hält sich eng an den Text und bleibt bei den Tieren. Seine Inszenierung steht in der Tradition der „Masque“, eines höfischen Vorläufers der Oper, bei dem Gesang und Tanz, Schauspiel und Maske ebenso wie die einzelnen Elemente der Erzählung nur lose miteinander verbunden sind.
So ist jede und jeder im Publikum dazu gezwungen, sich diese Erzählung selbst zu schaffen. Und dabei in Bewegung zu bleiben. Die Werkstattbühne ist eine riesige Black Box, die technisch alle Raffinessen bietet, was das Publikum bei Gelegenheit des Maskenspiels gleich mit erkunden kann. Auf einem hohen Podest steht die musikalische Leiterin Karen Ni Bhroin und dirigiert in eine Kamera, denn Sänger:innen und Tänzer:innen sind überall im Raum verteilt, agieren zwischen und mit dem Publikum. Auf weiteren Podien sitzen 4 Streicher und vier Bläser. Wie Karen Ni Bhroin dabei eine betörend fein austarierte Klangbalance erzeugt, bleibt ihr Geheimnis. Aber eines, das magisch wirkt, auch wenn die Musik Éna Brennans nicht gerade vor Originalität sprüht, weder in den analog musizierten Parts noch in den Electronics. Aber originell will sie auch nicht sein, sondern zitieren, verweisen – so wie es eben der „Masque“ entspricht. Da gibt es etwa einen Walzer, den das Publikum mit allerlei Gesten mittanzen soll oder ein elektronisches Intro, bei dem es zuerst fake tablets und dann schwarze und rote Karten bekommt. So ist die Welt gleich zweigeteilt, und die Roten und Schwarzen werden von maskierten Sängern auf ihre Plätze verwiesen. Zumindest für ein paar Minuten.

Hold Your Breath!

Aber jetzt heißt es Atem anhalten, denn die riesige, in allen Rottönen changierende Bühnenskulptur des portugiesischen Künstlers Hugo Canoilas setzt sich in Bewegung. Ihre Arme streifen die Zuschauer:innen, während sich unter dem Mantel, dem Körper des Oktopus, ein ekstatischer Tanz entwickelt. Kaum unterscheidbar, wer hier Tänzer:in, wer Sänger:in ist. War das soeben nicht Shira Patchornik, die zierliche israelische Sopranistin, die wir in „Rigoletto“ bewundert haben? Kenntlich bleibt einzig – und das liegt an seinem Kostüm, Scott Hendricks, MC mit choreografischer Kompetenz, ein Bariton, der bereits 66 mal auf der Seebühne zu sehen war und der das Publikum stimmgewaltig und bühnenpräsent dirigiert.
„Hold Your Breath!“ verlangt nach einem Publikum, das über die selten gewordene Qualität verfügt, auf schnelles Urteil zu verzichten, auf die Überwältigungs-Strategien der Oper zu pfeifen und sich statt dessen auf das Spielen, das Träumen, das Schauen einzulassen, wie Kinder ein Märchen für wahr zu halten – und ein Märchen ist immer verknappt und elementar. So elementar wie die unmissverständlich formulierte, geradezu plakative Botschaft dieser „Masque“: Unsere Erde ist gefährdet. Der Oktopus zerfällt, wird fahl und schlaff. Es ist zu spät. Die Sänger:innen und Tänzer:innen tragen Vogelköpfe wie sie zarter und poetischer auch Tone Fink nicht schaffen kann. Ein Trauerlied erklingt. Nein, das hat nichts von der Verve der Klimakleber. Hier wird nicht Farbe gegen ein Bild geschüttet, hier gehen wir Zuschauer:innen davon wie geprügelte Hunde.

www.bregenzerfestspiele.com

 

 

 

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