Wenn ein Un-Ort zum Kunst-Ort wird
Christine Lederers Projekt „Betonsonne“ in Bludenz eingeweiht
Karlheinz Pichler · Sep 2025 · Diverses

Zu einem Kunst-Happening der besonderen Art wurde die Einweihung des Projekts „Betonsonne – Kunst unter der Brücke“ von Christine Lederer am Freitagabend in Bludenz. Zahlreiche Besucher:innen akklamierten heftig die Veranstaltung mit außergewöhnlichen Sound- und Klang-Beiträgen der Ausnahmemusiker Reinold Capelli und Thomas Heel sowie schrägen lyrischen Texten von Judith Batlogg und Christine Lederer, die an Dada und Lautgedicht anknüpften, sowie einer Kurzgeschichte von Lorenz Helfer.

Den fulminanten Auftakt des Events auf dem Parkplatz Hermann-Sander-Straße unter der Brücke, die Bludenz mit Bürs sowie der Autobahn A14 verbindet, bildete eine „Krawall-Sonate“: Als Straßenkehrer verkleidet, trieben Reinold Capelli und Thomas Heel mit Hilfe von lautstarken Laubbläsern haufenweise Aludosen und Plastikflaschen über das Parkgelände und letztlich in einen städtischen Kunststoffcontainer. Die dabei entstandene penetrante Geräuschwolke war weithin hörbar.
Mit einer markerschütternden Hommage an die Alpenstadt – „Z’Bludaz, ooh z’Bludaz“ – leitete dann die Künstlerin Christine Lederer die wechselseitige Abfolge von Text- und Klangstücken ein, die die Einweihungszeremonie begleiteten. Lederer selber forderte etwa in einem Textstück auf: „Kehre in jeder Schublade, in der du denkst!“ Oder rezitierte: „Kurz vor knapp, kurz vor knapp, lauf ich zur Hochform auf – nur dann bleibt keine Zeit, kurz vor knapp!“. Bei Judith Batlogg, die ebenfalls mit skurrilen Kurzgedichten zu überraschen wusste, hieß es etwa in einer Passage: „Sitza, hocka und blöd luaga, jaga, Müs fanga, schnurra!“
Und wohl die wenigstens dürften wissen, dass auch der Maler Lorenz Helfer mitunter Ausritte in den literarische Bereich unternimmt. Allerdings ist es durch die „Vorbelastung“ durch die Eltern Monika Helfer und Michael Köhlmeier auch nicht verwunderlich. Helfer jedenfalls trug zusammen mit Christine Lederer eine von ihm vor rund zwanzig Jahren in Dialogform verfasste Kurzgeschichte vor, die von einem Spaziergang entlang der entgegen der Gehrichtung fließenden Donau in Wien handelte. Die Spaziergänger denken und reden über eine vor ihnen liegenden Brücke, über die Autos, die darüber fahren und deren Insassen und deren Smartphones. Und sie mutmaßen, wie es wäre, die monumentale Wassersperre im Jugendstil, die wohl von Otto Wagner stammt, in einen Frachter oder einen Mississippi-Dampfer zu verwandeln, von dem aus ihnen die Leute zuwinken oder Frauen ihre Brüste zeigen. 
Einer der Höhepunkte des Happenings war zweifelsohne das von Thomas Heel komponierte Stück „Sautod“. Auf vier Alphörnern (jeder spielte zwei gleichzeitig) erzeugten Heel und Capelli einen in den Ohren fast schmerzenden, Quietsch-Soundcluster, der an die Todesschreie der Schweine im Schlachthof erinnerte, der genau an dieser Stelle, wo jetzt die Brücke verläuft, einmal gestanden haben soll. 
Zum Ausklang des Eröffnungsabends gab es dann letztlich noch „
Fierobad Jazz mit Ossi Weber & Special Guests“.

Betonsonne

Wie der Website der Stadt Bludenz zu entnehmen ist,
gab Kulturstadtrat Cenk Dogan anlässlich des Jubiläumsjahres „Bludenz – Ein Jahr Vielfalt 2024“ den Impuls dazu, den öffentlichen Raum in Zentrumsnähe durch Christine Lederer künstlerisch zu bespielen. Bereits im ersten Gespräch habe sich dabei der Gedanke konkretisiert, den Parkplatz in der Hermann-Sander-Straße zum Schauplatz künstlerischer Auseinandersetzung zu machen. Lederer entwickelte über einen Zeitraum von rund zwei Jahren mehrere Entwürfe, wobei als ursprünglicher Favorit ein monumentaler Torbogen angedacht war, der über einer Parkbank thront. Gleichsam als „eine Hommage an das Verweilen, an den Moment des Innehaltens inmitten städtischer Betriebsamkeit“, so Lederer. Doch Platzmangel und Budgetbeschränkungen verhinderten die Realisierung dieses Konzeptes.
Im weiteren Vorgehen rückte Lederers enger Bezug zu Wort und Schrift immer stärker in den Vordergrund. „Der gewählte Ort – ein vermeintlicher Un-Ort unter einer Brücke – ist rau, urban und wird in seiner Alltäglichkeit oft übersehen“, betont die Künstlerin. Gerade hier entstehe die Spannung zwischen dem Sichtbaren und dem Poetischen. Die mächtigen Betonpfeiler wurden für die Künstlerin somit zum idealen Träger schriftlicher Botschaften, die von „Mut, Begegnung, Selbstbehauptung und Heilung“ erzählen sollen. So heißt es hier beispielsweise: „ich halte mich mutig“ oder „eine Träne ist eine Träne ist eine Träne und irgendwann getrocknetes Salz“.
Die Künstlerin verweist auch darauf, dass diese „Kunst-vor-Ort“-Aktion unter einer Brücke gleichsam einen „Un-Ort“ belebe. Mit der Wahl von Brückenpfeilern als Schriftbildträger rücke sie etwas scheinbar Nebensächliches in den Vordergrund. Dabei hätten diese massiven Betonsäulen eine wichtige Funktion und Verantwortung zu tragen, nämlich eben das Gewicht der Brücke und des Verkehrs. Auch Pflegerinnen, Krankenschwestern usw. hätten enorme Lasten zu tragen und wirkten vielfach aber nur im Hintergrund, ohne dass ihr Tun entsprechend wertgeschätzt werde. 
So mutieren diese gewaltigen Säulen zu „Betonsonnen“, die nicht nur für Emotion, Identität und Erinnerung stehen, sondern dazu einladen, „Verletzlichkeit als Stärke zu begreifen und das scheinbar Nebensächliche als Raum des Potentials zu erkennen“, so Christine Lederer.

 

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