Was kümmert uns Rilke
Feldkircher Literaturtage 2025
Annette Raschner · Mai 2025 · Literatur

In einer Zeit, die sich dem Pragmatismus, der Selbstoptimierung und der Gewinnmaximierung verschrieben zu haben scheint: Was sollen da noch Gedichte? Und überhaupt: Was kümmern uns humanistische Errungenschaften, Werte und Traditionen? Was kümmert uns Rilke? – Die Feldkircher Literaturtagen im Theater am Saumarkt widmen sie sich heuer erstmals seit langem wieder einem genuin literarischen Thema: Dem Werk von Rainer Maria Rilke und der damit verbundenen Frage, welche Bedeutung das vermeintlich Belanglose heute hat.

„In unserer Zeit, in der allerorten zunehmend ein gewalttätiges Verhalten zu beobachten ist, droht die Welt der Lyrik, die ohnehin schon immer einen schweren Stand hatte, unterzugehen“, sagt Philipp Schöbi, der die diesjährigen Feldkircher Literaturtage kuratiert. „Ich glaube, wir müssen versuchen, mit dem Weichen dagegenzuhalten.“ 

Biographisches und Lesung

Rainer Maria Rilke, einer der bedeutendsten Dichter der literarischen Moderne, Schöpfer des enigmatischen Gedichtzyklus „Duineser Elegien“ und des herausragenden Romans „Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge“, wurde vor 150 Jahren in Prag geboren. Im Jubiläumsjahr sind zwei vortreffliche neue Biografien erschienen: „Rilke. Dichter der Angst“ von Manfred Koch und „Rainer Maria Rilke oder Das offene Leben“ von Sandra Richter, der Leiterin des Deutschen Literaturarchivs in Marbach, dem mit dem 2022 erworbenen Rilke-Archiv Gernsbach die Übernahme eines der bedeutendsten Autorenarchive des 20. Jahrhunderts gelungen ist. 100 Jahre lang war es im Besitz der Rilke-Nachfahren, nach der Sichtung des ersten Teils hat Sandra Richter nach eigener Aussage unter anderem die Erkenntnis gewonnen, dass Rilke kein Poesie-Magier, sondern ein Arbeiter war. Am Eröffnungsabend der diesjährigen Feldkircher Literaturtage wird sie – erstmals in Vorarlberg – aus ihrer unlängst erschienenen Biografie lesen und im Gespräch mit Philipp Schöbi darlegen, weshalb sie den Titel „Rainer Maria Rilke oder Das offene Leben“ gewählt habe. 
Der ständig verliebte, gar nicht so schüchterne und durchaus geschäftstüchtige Rilke, der sich gerne von reichen Damen finanziell unterstützen, ja aushalten ließ und im Sommer 1921, fünf Jahre vor seinem Tod, im Château de Muzot, einem Schlösschen oberhalb von Siders im Kanton Wallis, eine dauerhafte Wohnstätte fand, hatte Zeit seines Lebens mit Schreibblockaden zu kämpfen. „Manchmal dauerte es Jahre, bis er an etwas weiterschreiben konnte“, erzählt Philipp Schöbi. „Dann ist es wie ein Vulkan aus ihm herausgebrochen.“ Seinen 1912 zu schreiben begonnenen, berühmten Zyklus „Duineser Elegien“ vollendete der Dichter 1922. Dieser stehen im Zentrum eines Workshops, den Christoph König, Professor für Neuere Deutsche Literatur an der Universität Osnabrück und seit 2023 Gesamtherausgeber der neuen historisch-kritischen Ausgabe der Werke Rilkes, am zweiten Veranstaltungstag abhalten wird. Der vormittägliche Workshop „Zwischen Zauberei und Realitätssinn“ lädt zum gemeinsamen Lesen der Gedichte ein, die immer wieder neu, immer wieder anders interpretiert wurden und von denen Philipp Schöbi sagt, dass sie nicht nur für uns alle, sondern teilweise auch für Rilke selbst ein Rätsel gewesen seien. Am Abend wird Christoph König, der Vorarlberger Wurzeln hat, in die „Faszination des Unverstandenen“ einführen. Rebecca Hammermüller, Ensemblemitglied am Vorarlberger Landestheater, wird Rilke rezitieren, insbesondere Auszüge seiner „Fünf Sonette für Grete Gulbransson“. Die 1882 als Margarethe Jehly in Bludenz geborene Schriftstellerin hat auf den großen Dichter offenbar erheblichen Eindruck gemacht. Nach einer Begegnung 1913 mit Rilke erhält sie eines Tages einen eingeschriebenen Brief mit den ihr gewidmeten Sonetten und der Hoffnung Rilkes, dass es ihm damit gelinge, einen Nebenbuhler auszuschalten. Ein Jahr danach hat er ihr noch ein weiteres Gedicht gewidmet. Grete Gulbransson hat 222 Tagebuchbände mit über 90.000 Manuskriptseiten hinterlassen, in denen sie auch von der tiefen Verbundenheit erzählt, die sie beim Treffen mit Rilke gespürt habe. 

Lyriker diskutieren über Lyrik

Den Abschlussabend der Feldkircher Literaturtage mit der bereits traditionellen Podiumsdiskussion werden dann vier Lyriker:innen gestalten: Siljarosa Schletterer, Sarah Kuratle, Timo Brandt und Mathias Müller. Der durchaus provokativ gemeinte Titel lautet: „Zur Bedeutung des Belanglosen“. Moderiert wird der Abend von Christoph König, für musikalische Interventionen zu Rilke wird Herbert Walser-Breuß sorgen. 
„Ich wollte unbedingt für den Abschluss Autorinnen und Autoren einladen, die selbst Gedichte schreiben“, sagt Kurator Philipp Schöbi. „Sie werden nicht nur diskutieren, sondern auch jeweils einen lyrischen Text von Rilke vortragen, der ihnen besonders am Herzen liegt.“

Dieser Artikel ist bereits in der Print-Ausgabe der KULTUR Mai 2025 erschienen. Hier geht es zum E-Paper.

Sandra Richter: „Rainer Maria Rilke oder Das offene Leben. Eine Biographie“. Insel Verlag, Berlin 2025, 478 Seiten, gebunden, ISBN-10: 3458644822, € 28
Manfred Koch: „Rilke. Dichter der Angst. Eine Biographie“. C.H.Beck Verlag, München 2025, 560 Seiten, Hardcover, ISBN 978-3-406-82183-7, € 34

Feldkircher Literaturtage: „Was kümmert uns Rilke“
22. – 24. Mai
Theater am Saumarkt, Feldkirch
www.saumarkt.at

 

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