Was hätte Bergöntzle wohl dazu gesagt?
Der irische Orgelkünstler Mark Casey mischte mit seinem Debüt in Bludesch die Szene auf.
Fritz Jurmann ·
Sep 2024 · Konzert
In Fachkreisen von Kirchenmusikern des Landes erzählt man sich derzeit Wunderdinge über einen neuen Stern am heimischen Organisten-Himmel. Aufgegangen ist dieser Komet in der irischen Stadt Cork, wo der heutige Dr. Mark Casey geboren wurde. Nach intensiven Studien in Orgel, Dirigieren, Komposition und Musikwissenschaft ist er heute als Domorganist und Dirigent in seiner Heimatstadt und in London eine hoch angesehene Persönlichkeit der sakralen Musikszene.
Durch einen Zufall hat Casey vor einem Jahr unser Land zu seiner neuen Bleibe erkoren – vor allem auch deshalb, weil ihm die Vielfalt und der Reichtum unserer Orgellandschaft so sehr imponierten. „Mit einer Vielfalt und einer hochstehenden Qualität der Instrumente, welche im angelsächsischen Raum unbekannt sind“, wie er selber meinte. Bruno Oberhammer als Gründer und Kurator der Bludescher Orgelkonzerte spielt in dieser Geschichte eine entscheidende Rolle. Denn als international geschätzter Konzertorganist lernte er im Rahmen seiner dritten Großbritannien-Irland-Tournee bei einem Konzert in Cork auch diesen Mark Casey kennen, der ihm dabei assistierte. Als Casey einige Jahre später auf der Heimfahrt von Wien nach London in Bregenz Aufenthalt nahm und dabei von einem Konzert Oberhammers in Bludesch erfuhr, wollte er dieses natürlich hören, der Kontakt wurde intensiver und Casey spontan Neo-Vorarlberger, der schon bei verschiedenen Pfarreien Fuß gefasst hat.
Der Zufall führte Regie
Und so war es nur noch eine Frage der Zeit, wann auch er von Oberhammer in die Bludescher Reihe eingeladen werden würde. Am vergangenen Sonntag nun war es so weit, im dritten Konzert der heurigen 54. Ausgabe dieser Konzertreihe in der Pfarrkirche Bludesch, wo Casey an der dortigen wertvollen Bergöntzle-Orgel von 1804 aus der berühmten Elsässer Silbermannschule großformatig den Wahrheitsbeweis für sein Können antrat.
Er hat, in elegantes britisches Tuch gekleidet, in seiner Einführung für die zahlreichen interessierten Orgelfreunde auch gleich eine entwaffnend einfache Erklärung zur Hand, warum er auf der nach französischen Vorbildern errichteten Orgel ausgerechnet ein Programm ausschließlich von englischen Komponisten spielt: „Diese Orgel ist ganz ähnlich konzipiert wie unsere englischen, vielfarbig im Klang, mit wenig Pedal.“ Sein typisch britischer Humor blitzt auf, wenn er auf die Zeit des Protestantismus zu sprechen kommt, „unseren ersten Brexit“, als „alles verboten war, was Spaß machte“.
Tücken der Spielanlage
Casey kommt aber auch mit den technischen Tücken in der Spielanlage des historischen Instruments gut zurande, die schon manchem Gastorganisten ihre liebe Not bereitet haben. Und schließlich ist es ja auch Musik seiner engeren Heimat, die Casey da mit aller Hingabe zelebriert. Er gibt dabei aber der Bergöntzle-Orgel auf sehr persönliche Art auch seine eigene Handschrift, ein besonderes Klangdesign, das sich von anderen deutlich unterscheidet.
Als eine Art Grundgerüst im über einstündigen Programm bewähren sich so genannte „Voluntarys“, mehrsätzige kleine Spielstücke in verschiedenen Tanzsätzen von John Stanley oder Samuel Wesley. Sie bieten dem Organisten Gelegenheit, den Farbreichtum, die Schönheit und Eleganz des Registerangebotes einzeln oder fein miteinander kombiniert zu demonstrieren, die Sätze damit untereinander auch zu kontrastieren und für perlende Abwechslung zu sorgen. Ein besonderer Kontrapunkt ergibt sich aus einem solchen Voluntary von Henry Purcell über den 100. Psalm („Jubilate Domino“), ein aufjauchzendes Werk, dem ein schnarrend schwarzes Posaunenregister als Cantus firmus im Pedal das Fundament gibt.
Festliche Orgelkonzerte
Zwei standfeste Pfeiler in Form komplex gebauter Orgelkonzerte rahmen das Programm festlich ein. Es sind dies ein weniger bekanntes Werk in C-Dur von John Stanley und das populäre Konzert in g-Moll op. 4/1 von Georg Friedrich Händel, den in Halle an der Saale geborenen Deutschen, den die Musikwissenschaft längst als Engländer sanktioniert hat. Der Organist kann sich dabei vor allem manualiter mit scharf herausstechenden Flöten und Aliquoten solistisch profilieren. Der begleitende Orchesterpart ist in diesem Fall reduziert einem im Originalklang und historisch informierter Spielweise erfahrenen Streichquartett anvertraut, das an der Stella Musikhochschule Feldkirch von Editha Fetz erfolgreich geleitet wird. Durch ihre Erkrankung war eine Umbesetzung der beiden Violinen notwendig, mit der als Konzertmeisterin des Bach Consort Wien tätigen Agnes Stradner und der aus Chemnitz stammenden Geigerin Lisa Herzog-Kuhnert. Die weiteren Partien waren wie vorgesehen mit dem Vorarlberger Bratschisten Lukas Breuss-Zeisler und der Cellistin Ulrike vom Hagen besetzt.
Während das Stanley-Konzert schon von seiner Konzeption her eine eher bescheidene Ausrichtung besitzt und die Streicher unterbelichtet bleiben, trumpft das Händel-Konzert mit der Orgel und den Streichern als gleichwertigen Dialogpartnern auf, die sich die Themen gekonnt zuspielen und zu sehr ausgewogenen und klanglich fesselnden Ergebnissen kommen. Mark Casey vermeidet es dabei tunlichst, als unbestrittener Tasten-Virtuose unbedingt neue Geschwindigkeitsrekorde an Brillanz aufstellen zu wollen. Bruno Oberhammer hat ihn, der auch Psychologie studierte, vorab als „Musik-Denker“ bezeichnet, und genau so gewichtet er auch gerade bei Händel seinen Part – klug durchdacht, gekonnt artikuliert, feinnervig ausgespielt.
Streicher im Originalklang
Angesichts der notwendigen personellen Umbesetzung gelingt dem Streichquartett im einzigen ihm zugedachten solistischen Programmbeitrag auch eine durchaus überzeugende Interpretation einer neunsätzigen Theatermusik zu „The Double Dealer“ von William Congreve, die Henry Purcell als überragende britische Musikerpersönlichkeit geschaffen hat. Das sind spritzige kleine Tanzsätze, mit viel Temperament, Herzblut und Augenzwinkern vorgetragen, die gerade in der klaren authentischen Spielweise auf alten Instrumenten ihre Wirkung bei den Zuhörern nicht verfehlen. Allen Mitwirkenden zusammen gilt am Schluss der herzliche Beifall des Publikums für einen Abend köstlich belebender britischer Barockmusik. Was hätte der Elsässer Joseph Bergöntzle wohl zu dieser „kulturellen Aneignung“ gesagt?
im Radio: Montag, 7.10., 21 Uhr, Radio Vorarlberg
letztes Konzert der Saison in der Pfarrkirche Bludesch: Sonntag, 27.10., 17 Uhr – Choralschola der Abtei Mehrerau, Leitung P. Amandus Osthues; Bruno Oberhammer, Orgel