Vorarlbergs letzte Hinrichtung
Harald Walsers Buch zum Fall des Doppelmörders Egon Ender
Severin Holzknecht · Feb 2024 · Literatur

Harald Walser widmet sich in seiner neuesten Forschung einem Gewaltverbrechen, das Altach und dessen umliegende Gemeinden kurz nach Ende des Zweiten Weltkrieges in Schockzustand versetzte und die letzte Hinrichtung auf Vorarlberger Boden zur Folge hatte. Es handelt sich dabei um den am 29. September 1946 begangenen brutalen Doppelmord an den Eheleuten Leonhard und Elisabeth Giesinger durch deren Nachbarn, den zu diesem Zeitpunkt 21-jährigen Egon Ender. Ein Fall, der bei alteingesessenen Altacherinnen und Altachern noch heute für Gesprächsstoff sorgt.

Wer war Egon Ender?

Harald Walser schildert Ender als einen eher unauffälligen und keineswegs besonders bösartigen jungen Mann mit der Neigung zur Prahlerei und Prasserei.
Egon Ender wurde als Sohn des Stickers Stefan Ender geboren, dem die Weltwirtschafts- und Stickerei-Krise 1929 finanziell den Boden unter den Füßen entzieht, woraufhin er gemeinsam mit seiner Ehefrau nach Frankreich auswandert. Ihre Kinder schieben die beiden in das Altacher Armenhaus ab. Dort bleiben Egon und seine Geschwister für mehrere Jahre, bis die Eltern unverrichteter Dinge aus Frankreich zurückkehren und sich mit Kind und Kegel in Göfis niederlassen. Dort gerät Stefan Ender endgültig auf die schiefe Bahn und wegen Hehlerei zunehmend in Verruf. Egon Enders Schicksal scheint sich derweil zum Guten zu wenden: Er wird Kostkind beim Dachdecker Johann Weber und dessen Frau und erfährt wohl erstmals in seinem Leben so etwas wie Geborgenheit.
Im Zuge des „Anschlusses“ Österreichs an das Deutsche Reich im März 1938 landet Egon im Rahmen der Kinderlandverschickung im westfälischen Münster, wo er als Pflegekind des kinderlosen Ehepaares Hersing unterkommt. Otto Hersing, ein U-Boot-Kapitän und Kriegsheld des Ersten Weltkrieges, und dessen Frau wecken in Egon den Geschmack an den schönen (und teuren) Dingen des Lebens. Eine Adoption steht im Raum, scheitert jedoch aus nicht ganz geklärten Gründen – der Vorwurf mehrerer Eigentumsdelikte steht im Raum. In Münster macht Ender zudem seine ersten sexuellen Erfahrungen mit dem Dienstmädchen der Hersings.
Im Mai 1940 kehrt der mittlerweile 15-Jährige nach Vorarlberg zu Familie Weber zurück und hält sich mit Gelegenheitsarbeiten über Wasser. In dieser Zeit offenbart Ender erstmals eine auffällige Kaltblütigkeit. Bei Waldarbeiten trennt er sich mit einem Beil aus Versehen einen Zehen zur Gänze, einen weiteren teils ab, zeigt jedoch kein Schmerzempfinden, sondern bedauert lediglich die nicht mehr zu rettenden Schuhe. Erst abends und nach gutem Zureden lässt er sich die Wunde verarzten. Dieser Unfall verhindert wohl die Einberufung Enders in die Wehrmacht. Das Kriegsende erlebt er in einer Baracke des Reichsarbeitsdienstes. Ender zeigt sich fasziniert von den Kriegsgeschichten seines älteren Bruders Alfons, der als Scharfschütze an der Westfront im Einsatz gewesen war. Alfons soll einen schlechten Einfluss auf seinen kleinen Bruder ausgeübt haben. Gemeinsam mit seinem älteren Bruder bricht Egon Ender Anfang 1946 erstmals in Leonhard Giesingers Firma ein, wo die beiden Stoffe entwenden, die anschließend durch Vater Stefan zu Geld gemacht werden.
Schlechten Umgang erlebt Egon jedoch nicht nur bei Vater und Bruder. Er freundet sich mit der aus Niederösterreich nach Vorarlberg geflohenen Familie Rössler an, bei der er als Kostgänger ein- und ausgeht. Er entwickelt eine Obsession für eine Bekannte der Familie Rössler, Leopoldine Krautny, die er durch Angebereien und großzügige Geschenke beeindrucken und für sich gewinnen will. Das hierfür notwendige Geld besorgt sich der mittlerweile als Mechaniker-Lehrling tätige Ender vor allem durch kleinere Diebstähle und Einbrüche. Er gerät in einen Teufelskreis aus nicht zu bedienenden Schulden, überdimensionierten Ansprüchen und der Notwendigkeit, eigene Prahlereien zu untermauern. Dies führt letzten Endes dazu, dass Ender mit der Planung eines Raubmordes beginnt.
Das geeignete Opfer ist schnell gefunden: Der wohlhabende Fabrikant Leonhard Giesinger wird von Ender auf einem Waldweg und nach längerer Rangelei, im Zuge derer Ender am Oberschenkel verletzt wird, mit einem gestohlenen Fleischermesser ermordet. Daraufhin begibt sich Ender zum Haus der Giesingers, wo er die im vierten Monat schwangere Elisabeth Giesinger erwürgt bzw. im Schlaf mit einem Hieb gegen die Schläfe erschlägt – Enders Angaben variieren hier sehr stark. Anschließend entwendet er Bargeld und Hausrat im Wert von nicht ganz 5.300 Schilling und zündet das Haus an.
Seinen Plan hatte Ender offensichtlich nicht allzu gut durchdacht. Er trägt etwa bereits am Tag nach der Tat einen Mantel Leonhard Giesingers in aller Öffentlichkeit. Als er sich die Oberschenkelwunde, die er mit einer recht unglaubwürdigen Geschichte erklärt, verarzten lässt und sich krank meldet, erregt dies Misstrauen. Er wird verhaftet, gesteht und wird zum Tode durch den Würgegalgen verurteilt. Egon Ender wird am 16. September 1947 in Feldkirch als letzter Mensch auf Vorarlberger Boden nach einem ordentlichen Verfahren hingerichtet.

Sinn und Sinnlosigkeit der Todesstrafe

Harald Walser zeichnet in seinem neuesten Werk auf überaus fesselnde Art und Weise den Lebensweg Egon Enders nach, erklärt akribisch den Tatablauf und beschreibt die juristischen Zwänge des auf das Verbrechen folgenden Prozesses. Walser gelingt es zudem, die Tat in den größeren Kontext der damaligen Zeit zu setzen – etwa die weit fortgeschrittene Verrohung von Gesellschaft und Justiz durch Krieg und Nationalsozialismus –, weswegen die Arbeit auch in einem über den lokalhistorischen Rahmen hinausgehenden Kontext für die breitere Öffentlichkeit von Interesse ist. „True Crime“ im besten Sinne des Wortes.
Walsers Arbeit wird abgerundet durch einen Essay des ehemaligen Landesgerichtspräsidenten Alfons Dür, in dem dieser über die Geschichte, aber auch Sinn und Sinnlosigkeit der Todesstrafe sinniert. Dür schildert in erwartungsgemäß fachkompetenter Art und Weise die gesetzlichen Zwänge, denen die Richter und Schöffen 1947 unterlagen. Zwänge, die zwangsläufig die Verhängung der Todesstrafe für Ender erforderten. Dennoch beschworen die Richter die übergeordneten Instanzen Gnade vor Recht ergehen zu lassen und Enders Strafe auf lebenslangen Kerker herabzusetzen. Vergebens, die österreichische Justiz ließ in dieser Zeit nur selten Gnade walten. Den Zweck der Abschreckung, mit dem drakonische Strafen seit jeher gerechtfertigt werden, erfüllte die strenge Gesetzesauslegung jedoch keineswegs. Die Kriminalitätsrate war in Österreich in den ersten Nachkriegsjahren so hoch wie selten zuvor. Die dutzenden vollstreckten Todesurteile änderten daran nichts. Ein Faktum, das Dür wie folgt kommentiert: „Jedes Rechtssystem, das die Autonomie und Würde des Einzelnen achtet, muss auch der Barmherzigkeit, dem Mitleid und der Güte Raum geben.“ Ein Gedanke, dem nichts mehr hinzuzufügen ist.

Dieser Artikel ist bereits in der Print-Ausgabe der KULTUR Februar 2024 erschienen.

Harald Walser: Vorarlbergs letzte Hinrichtung. Zum Fall des Doppelmörders Egon Ender. edition V, Bregenz 2024, 176 Seiten, Hardcover, ISBN 978-3-903240-56-8, € 32

Buchpräsentation/Lesung:
Fr 2.2., 19.30 Uhr, Theater am Saumarkt, Feldkirch
Do 22.2., 18.30 Uhr, Galerie9und20, Bregenz

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