Von Gefundenem, Metakunst, Beichtstühlen und Brusalien
Über vier neue Kunstbücher
Karlheinz Pichler · Apr 2025 · Literatur

Kunstbücher sind zumeist etwas Besonderes. Sie werden in der Regel auf hochwertiges, mitunter haptisches Papier gedruckt, verfügen über exquisite Bindungen und aufwendige Gestaltungen. Im Prinzip handelt es sich bei solchen Printprodukten um eine Kombination aus ästhetischem-visuellem Genuss, kulturellem Wert und emotionaler Bedeutung, was sie besonders attraktiv und bibliophil macht.

Günter Brus

Zu den auffälligsten Neuerscheinungen am hiesigen Kunstbuchmarkt zählt die Publikation „Günter Brus – Aquarelle / Watercolors“. Das zweisprachige Buch (Deutsch / Englisch) ist gleichsam als Nachklang zu der letztjährigen Ausstellung des zu den Hauptvertretern des Wiener Aktionismus zählenden Künstlers im Kunsthaus Bregenz (KUB) entstanden. Es überrascht bereits beim Umschlag, denn auf die Innenseite des Covers ist eine acht Zentimeter hohe und 20 Zentimeter breite Broschüre geklebt, die sämtliche ausgestellten Werke und Ausstellungsansichten im KUB dokumentiert. Ein Katalog im Katalog sozusagen. Die Ausstellung war übrigens die letzte, die Brus aktiv mitgestaltet hat. Sieben Tage vor der Eröffnung, am 10. Februar 2024, ist der Künstler überraschend in Graz gestorben. Die Schau rückte die letzte Bildserie des Künstlers, die zwischen 2020 und 2023 während der Corona-Lockdowns entstand, in den Mittelpunkt: teils sehr farbenprächtige, mitunter auch sehr düstere Aquarelle, in denen sich Brus vor allem mit dem existentiellen Dasein auseinandersetzt. Häufig sind es surreale und mitunter dystopisch anmutende Szenen, die sich um Tod, Angst und Einsamkeit drehen. Aber auch spielerische, schräge und sehr rätselhafte Darstellungen zählen dazu. Im Buch sind die insgesamt 146 ausgestellt gewesenen Aquarelle auf hochwertigem Munken-Print-White-Papier ganzseitig und farbecht abgebildet. Zu 67 Arbeiten davon gibt es im rückwärtigen Teil des Buches ausführliche, subjektive Bildbeschreibungen von KUB-Chef Thomas D. Trummer. Vom Grafiker Fabian Bremer einfühlsam gestaltet, gewährt das Printwerk intime Einblicke in die letzte Schaffensphase des bedeutenden österreichischen Künstlers.

Günter Brus: Aquarelle / Watercolors. Hrsg. v. Thomas D. Trummer, Kunsthaus Bregenz; mit Texten von Thomas D. Trummer; Gestaltung: Fabian Bremer, Verlag der Buchhandlung Walther und Franz König, Cologne 2025, 200 Seiten, Hardcover mit Prägung, Schweizer Broschur, ISBN 978-3-7533-0637-7, Preis € 42 

Nikolaus Walter 

Der Feldkircher Fotograf Nikolaus Walter, der vor allem mit schwarz-weißen Langzeitstudien überregional bekannt geworden ist, hat nicht nur über Jahrzehnte hinweg Fotografien von Platanen, Schlafzimmern, Betten, Straßenkünstler:innen oder bestimmten Orten zusammengetragen, sondern im Zuge seiner Reisen quer durch Europa auch immer wieder Beichtstühle fotografiert. Eine breite Auswahl davon ist noch bis 26. April im Bildungshaus Batschuns zu sehen. Parallel zu dieser Ausstellung ist unter dem vielsagenden Titel „Über den Versuch, das Sündhafte mithilfe eines Möbelstückes aus der Welt zu schaffen“ auch ein kleines, aber feines, von Laurenz Feinig gestaltetes Büchlein erschienen. Darin sind auf haptischem Papier 28 Beichtstuhlansichten wiedergegeben, die darlegen, wie unterschiedlich solche „Möbelstücke“ sein können. Das Spektrum zieht sich vom rustikalen portugiesischen Beichtstuhl, dessen Bauweise an die Schiffsbautechnik erinnert, bis zum schlichten, schnörkelfreien Beichtstuhl nördlicher Gefilde. Überraschend für Walter-Kenner dabei: Bei den Abbildungen handelt es sich durchgängig um Farbfotografien. Ergänzt wird das 64 Seiten umfassende bibliophile Büchlein von einem lesenswerten Essay des Kulturhistorikers Bernhard Kathan, von dessen Beitrag sich auch der Titel des Buches ableitet. In Kathans humoriger „Kulturgeschichte“ dieses heute großteils obsolet gewordenen Möbelstückes heißt es zum Beispiel: „So verschieden Beichtstühle auf den ersten Blick auch sein mögen, immer ist klar, wer sitzt und wer kniet, wer bekennt und wer freispricht.“ Oder: „Mittlerweile erweist sich der Beichtstuhl zunehmend als Auslaufmodell. […] Oft dienen Beichtstühle nur noch dazu, Staubsauger, Besen, Kübel, Heiligenfiguren oder andere Gegenstände zu verwahren.“

Nikolaus Walter: Über den Versuch, das Sündhafte mithilfe eines Möbelstückes aus der Welt zu schaffen. Hrsg. v. Bildungshaus Batschuns, 64 Seiten, broschiert im Schutzumschlag , € 17
Erhältlich im Bildungshaus Batschuns (www.bildungshaus-batschuns.at) oder über niwalt@aon.at

Hasso Gehrmann

Im vorarlberg museum in Bregenz läuft noch bis 17. August eine Sonderausstellung, die sich mit der komplexen Vorstellungswelt des 1924 im deutschen Weißenfels geborenen und 2008 in Bregenz verstorbenen Künstlers, Designers und Philosophen Hasso Gehrmann auseinandersetzt. Gehrmann war einer der seltenen Universalisten, bei dem sich Kunst, Philosophie, Design, Wissenschaft und Theorie zu einem komplexen, ineinander verzahnten Gesamtbild vereinten. Mit seinen abstrakten Zeichentafeln war Hasso Gehrmann in den 1950er Jahren im Pariser Salon des Réalités Nouvelles, in der Kunsthalle Mannheim und der Società Dante Alighieri in Rom vertreten. Kunst sollte sich nach Gehrmanns Auffassung über das Tafelbild hinaus in den gesamten Wohn- und Lebensbereich erstrecken. So war er in weiterer Nachfolge von Peter Behrens ab 1957 als Produktdesigner für die AEG Frankfurt tätig, um ab 1960 für die Elektra Bregenz ein flexibles Wohnkonzept zu entwerfen, zu dem auch die frei im Raum stehende erste vollautomatische Küche „Elektra Technovision“ (ETV) gehört. Parallel zu seiner gestalterischen Arbeit entwickelte der einstige Schüler von Karl Jaspers auf Basis seiner Entdeckung der „Subjektiven Geometrie“ ein kosmologisches Modell namens „Metakunst“. Kürzlich ist zum Schaffen Gehrmanns im Verlag für moderne Kunst eine von Andreas Müller gestaltete feine Publikation erschienen, in der das komplexe Werk des Universalisten anhand von zahlreichen Bildern, Entwurfsskizzen und Essays ausführlich erörtert und diskutiert wird. 

Hasso Gehrmann: Vom Tafelbild zur Metakunst. Hrsg. v. Lucas Gehrmann, Michael Kasper u. Ute Pfanner, Verlag für moderne Kunst, Wien 2025, 164 Seiten, Hardcover, ISBN 978-3-99153-166-1, € 29,90

Ferdinand Ruef

Der 1966 in Bregenz geborene Künstler Ferdinand Ruef, der in den Bereichen Keramik, Zeichnung, Sprache, Konzeptkunst und Kunstbuch tätig ist, hat kürzlich mit „lucky“ und „gebraucht“ zwei kleine, bibliophile Werke herausgegeben, mit denen er ein Zeichen wider das Vergessen und das Verlorengehen setzen will. Beide Büchlein haben einen Umfang von jeweils 50 Seiten, sind aber aufgrund des kartonierten Papiers und der Leporellobindung sehr haptisch und ca. zwei Zentimeter dick. Das eine Künstlerbuch trägt den Titel „lucky“ und ist dem Bregenzer Zeichner und Radierer Eugen Leitner (1939–2003) gewidmet, den alle „Lucky“ gerufen haben und dessen Werk längst der Vergessenheit anheimgefallen ist. Ruef stieß bei einem Altwarenhändler auf die mobile Staffelei Leitners und kaufte sie zur Erinnerung. Auch eine Mappe mit Radierungen von Landschaften, Städten und Menschen fand er dort, sichtete sie und nahm einige in die Publikation auf. Mit einem berührenden Text erweist Ruef dem Künstler, der in seiner Nachbarschaft wohnte, auch eine sprachliche Referenz. 
Im zweiten Büchlein mit dem Titel „gebraucht“ und dem Untertitel „unbekannt“ trug Ferdinand Ruef Werke von unbekannten Kunstschaffenden zusammen und setzte ihnen sozusagen ein kleines Denkmal. Es sind Skizzenbücher und Zeichnungen, die er in Antiquariaten oder auf Flohmärkten gefunden hat. Das Buch ist somit eine „Dokumentation seiner Schatzgräberei“.

Ferdinand Ruef: „lucky“ und „gebraucht“ – die beiden Publikationen sind zu jeweils 50 Euro im vorarlberg museum oder über die Homepage des Künstlers (www.fedhe.eu) zu beziehen. 

Dieser Artikel ist bereits in der Print-Ausgabe der KULTUR April 2025 erschienen.

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