Virtuos, magisch, expressiv – Garbarek & Co. in Höchstform
Jan Garbarek Group sorgt für fulminantes Finale des Trans4JAZZ-Festivals in Ravensburg
Peter Füssl · Nov 2024 · Musik

Jazztime Ravensburg-Mastermind Thomas Fuchs zog schon vor dem Konzert ein begeistertes Resümee zum Trans4JAZZ-Festival 2024: die zehn Konzerte seien gut besucht, wenn nicht ausverkauft gewesen, die Stimmung hervorragend. Der bunte Mix aus gerade ganz besonders angesagten Jungstars (etwa Trompeter Theo Croker) und ganz und gar nicht verstaubten Legenden (Yellowjackets) funktionierte also auch heuer wieder bestens. Auch das Konzert mit der Jan Garbarek Group im praktisch ausverkauften Neo-Rokoko-Zuckerguss-Konzerthaus erwies sich keineswegs als nostalgisches Jazz-Veteranentreffen, sondern brachte 120 mit abwechslungsreicher Musik vollgepackte Minuten, die das begeisterte Publikum am Schluss mit Standing Ovations honorierte.

Wortkarg, aber spielfreudig

Mit „Afric Pepperbird“, seinem Debüt-Album bei Manfred Eichers längst weltweit höchst renommierten Münchener ECM-Label, begann 1970 die steile Weltkarriere des damals 23-jährigen Garbarek, der als Sohn eines polnischen Vaters und einer norwegischen Mutter in Oslo aufgewachsen war und sich das Spiel auf Saxophonen und Flöten autodidaktisch beigebracht hatte. Zusammen mit frühen Weggefährten wie Terje Rypdal, Arild Andersen oder Jon Christensen machte er jenes musikalische Phänomen populär, das heute als „Nordic Jazz“ in ganz Skandinavien bunte Blüten treibt und einen wesentlichen Einfluss auf die Entwicklung einer eigenständigen europäischen Jazz-Szene ausübte. Rasch avancierte er mit seinem mitreißenden Stilmix aus amerikanischem Jazz (Keith Jarrett, Don Cherry, Ralph Towner), nordischer Tradition und unterschiedlichsten Weltmusik-Einflüssen zum vielgebuchten Publikumsliebling, wobei seine Popularität durch die mit dem Hilliard Ensemble in der Propstei St. Gerold ab 1994 aufgenommenen drei „Officium“-Alben mit ihren gregorianischen Gesängen – auch über die Jazz-Szene hinaus – zusätzlich befeuert wurde. Es gab Zeiten, in denen er zumindest hier im Bodenseeraum überpräsent war, was das Interesse naturgemäß etwas abflauen ließ. Auch seine damaligen Auftritte waren schon durch extreme Wortkargheit und überbordende Spielfreude geprägt, und so war es nun auch in Ravensburg. Er richtete kein einziges Wort ans Publikum, überzeugte dafür aber musikalisch auch mit 77 Jahren noch voll und ganz.

Virtuoser Freundeskreis mit bekanntem Erfolgsrezept

Der aus Bombay stammende und in Hamburg lebende Schlagzeuger und Perkussionist Trilok Gurtu und der vor allem im Fusion-Bereich (Volker Kriegels Spectrum, Eberhard Webers Colours) bekannt gewordene Pianist und Keyboarder Rainer Brüninghaus zählen seit mehr als drei Jahrzehnten zu den engsten Mitstreiten Jan Garbareks. Auch der in Lissabon lebende brasilianische Bassist Yuri Daniel ist schon seit 2007 dabei – er ersetzte damals den langjährigen Bassisten Eberhard Weber, der kurz vor einem Konzert mit der Jan Garbarek Group in der Berliner Philharmonie einen Schlaganfall erlitt und seitdem halbseitig gelähmt nicht mehr spielen kann.

Wir haben es hier also mit einem bestens aufeinander eingespielten Quartett zu tun, das aber niemals wirkte, als könnte es irgendwie in Routine erstarrt sein. Ganz im Gegenteil! Verständlicherweise hält man am erfolgreichen Gesamtkonzept fest: Garbarek liefert starke, leicht ins Ohr gehende Melodien auf dem Tenorsaxophon und auf dem gebogenen Sopransaxophon, die manchmal von einer volksliedhaften Leichtigkeit sind, sich aber auch in unter die Haut gehenden, expressiven Attacken entladen können. Der stets stoisch wirkende Rainer Brüninghaus steuert auf dem Flügel, vorwiegend aber auf dem Roland RD-700GX interessante Harmonien bei, die weit einfacher klingen, als sie zu generieren sind. Yuri Daniel ist ein exzellenter E-Bassist, der seinen Tieftöner sowohl singen lassen und somit auch melodische Aufgaben übernehmen kann, ihn aber auch funky zu slappen versteht. Und last but not least der quicklebendige Trilok Gurtu – eine rhythmische Urgewalt als zentraler Impulsgeber, der auf Drumset, Tablas, Cajón und einem ganzen Arsenal an Perkussionsinstrumenten die unglaublichsten Rhythmen zaubert. Stilistisch setzt man sich keinerlei Grenzen – viel Nordisches wird mit orientalisch Anmutendem kombiniert, ein „Slavic Fandango“ begeistert ebenso wie Fusion-Artiges oder Meditatives, viel Tänzerisches wird durch perfekt gesetzte Breaks und manchmal auch durch etwas sperrigere Sounds aufgebrochen.   

Begeisternde Soli hochdosiert und konzentriert

Nun lebt dieses Programm – wie der Jazz überhaupt – natürlich immer auch von den Soli, in denen sich alle Beteiligten als erstklassige Improvisatoren erwiesen. Darüber hinaus erhielt aber jeder der Protagonisten auch noch – ganz allein auf der Bühne – seine exklusiven zehn Minuten, in denen er sein Können hochdosiert und konzentriert präsentieren konnte. Den Anfang machte Yuri Daniel, der sein virtuoses Bassspiel mit viel Electronic und geschickt inszenierten Loops zu einem mehrstimmen Tieftöner-Orchester erweiterte. Rainer Brüninghaus kostete die Klanggewalt des großen Flügels in seinem Solo voll aus, verband in seinem kammermusikalisch anmutenden Versuchslabor Lyrisches mit donnernd Exzessivem, klanglich Experimentelles mit Liedhaftem und inkludierte durchaus humorvoll abstrakten Blues, Soul- und Ragtime-Artiges, das er mit extremen Clustern garnierte. Einer der zahlreichen Höhepunkte des Abends!  

Trilok Gurtu spielte eigentlich ein zweistündiges, höchst einfallsreiches und vielgestaltiges Dauersolo. Ob an den Tablas, auf der Kistentrommel Cajón oder am klassischen Drum-Set sitzend – hier ging kraftvoll und sensibel zugleich die Post ab! Auch mit seinen zungenbrecherischen, atemberaubend schnellen Konnakol-Rhythmen setzte er immer wieder interessante Akzente. Bei seinem langen Solo entzündete er polyrhythmische Feuerwerke, ließ eine imaginäre Sumpflandschaft mit quakenden Fröschen, kreischenden Wasservögeln und zirpenden Grillen entstehen und verblüffte mit ungewöhnlichen Sounds, die etwa dadurch entstanden, dass er Rasseln oder vibrierende Gongs in einen mit Wasser gefüllten Metalleimer tauchte. Ein Alchemist, der alles in Rhythmus verwandelt! Den Abschluss bildete ein kurzer Krishna-Mantra, auf das ein überlaut gesprochenes „Amen“ folgte, womit Trilok Gurtu beim Publikum einen heftigen Lachanfall provozierte.   

Finale auf der Seljefløyte

Es brauchte schon etwas ganz Besonderes, um nach der gebündelten Wucht des Gurtu-Solos wieder ins normale Konzertgeschehen zurückzuführen. Am besten etwas ganz Zartes, was Jan Garbarek mit der Seljefløte, einer mittlerweile meist in ihrer Kunststoff-Variante verbreiteten Weidenrindenflöte ohne Fingerlöcher, zur Hand hatte. Gurtu setzt mit sparsamer Vocal-Percussion einen Grundrhythmus, leitete das Publikum zum Mitklatschen an, und Garbarek setzte sein gefühlvolles Flötensolo darüber. Welch magischer Ausklang! Als Zugabe präsentierte sich dann nochmals die ganze Band beim „Pygme Lullaby“ in voller Aktion – eine schöne Ballade mit expressiv jubilierendem Sopransax. Die Jan Garbarek Group hat erwartungsgemäß ihre musikalische Welt nicht neu erfunden, aber es war spannend und sehr unterhaltsam, sie nach so vielen Jahren wieder einmal in diese entführen zu lassen.

 „Future Dialogues“ mit Eli Preiss (A), Savvy (D) und Reuben James (GB)
Ein Nachspiel zum Festival: drei Shows mit Hip-Hop, Soul & Jazz an einem Abend
Fr, 22.11.2024, 20 Uhr
Club Kantine Ravensburg
www.jazztime-ravensburg.de

Teilen: Facebook · E-Mail