Überwältigende Eindrücke einer Stadt
In seinem neuen Faustini-Roman bringt Wolfgang Hermann seine Figur nach Wien und in die Vergangenheit
Sieglinde Wöhrer ·
Apr 2025 · Literatur
Vor fast 20 Jahren hat der aus Bregenz stammende Autor Wolfgang Hermann seine Figur „Herr Faustini“ präsentiert – einen etwas schüchternen älteren Mann, der mit seinem Kater in Hörbranz lebt und jeden Augenblick seines Lebens ernsthaft und ausgiebig zelebriert. Nach den vier weiteren Geschichten „Herr Faustini und der Mann im Hund“, „Die Augenblicke des Herrn Faustini“, „Herr Faustini bekommt Besuch“ und „Herr Faustini bleibt zu Hause“ ist nun ein weiterer Teil der Buchreihe erschienen.
Hermann lebt nach längeren Auslandsaufenthalten wieder in seiner früheren Studentenstadt Wien, dorthin führt er auch seinen Herrn Faustini, dessen Jugenderinnerungen plötzlich wieder aufflammen, während er sich durch die Straßen der Stadt bewegt. Starke Eindrücke dieser Vergangenheit verweben sich auf wundersame Weise mit der Gegenwart der Figur, die laufend kleine Überraschungen bereithält. Nicht unbeteiligt daran ist die Stadt selbst, denn in Wien fühlt sich Faustini wie in eine andere Zeit versetzt. „Was Herr Faustini in den düsteren kleinen Seitengassen ahnte, das war mehr als ein einer Toten entrissenes Grammofon. Es war der Atem der vergessenen, von denen, die hier einst gelebt, gefühlt, gehofft und geatmet hatten, nicht aufgebrauchten Zeit, deren nicht ganz ausgelöschte Gegenwart Herr Faustini spürte.“
Besondere Momente mit Details
Die Geschichte dreht sich um den Alltag dieses Mannes, der aus ganz vielen Zufällen besteht, weil die Figur sich vom Leben treiben lässt. Mit ihr taucht Hermann ein in das gewöhnliche Leben von ganz unaufgeregten Personen, die er lebendig und detailreich beschreibt und die Situation dadurch nahbar macht. Fast spielerisch einfach verschafft der 1961 geborene Autor einen Zugang zum Wesen dieser Person und der Atmosphäre von Situationen. So ist in wenigen Sätzen oft schon alles gesagt. „Herr Faustini setzte sich auf die Bank mit dem Rücken zur Wand und war einfach nur da.“
Besonders eingenommen wird Herr Faustini diesmal – wie der Titel schon andeutet – von Menschen mit Glatzen; ein Umstand, der ihn an der perfekten Welt zweifeln lässt, denn „damals, als Herr Faustini jung war, hatten junge Männer noch Haare auf dem Kopf gehabt.“ Doch als er sich später im Bahnhofscafé mit einem glatzköpfigen Mann anfreundet, kann er seine Vorurteile doch schnell überwinden. Die beiden reisen nach Wien, um eine Frau wiederzufinden und Herr Faustini trifft tatsächlich eine Frau, wenn auch ganz anders als erwartet.
Beruhigende Erzählweise
Kontrastreich schreibt Hermann über das Glück in den kleinen Momenten und streut philosophische und geistreiche Sätze, die seinen Charakteren über bedrückende, schwierige Kindheiten hinweghelfen. Mit leicht ironischem Unterton werden Situationen völlig zusammenhanglos aneinandergereiht und banale Szenen verschnörkelt in die Länge gezogen, bis Herr Faustini gedanklich wieder abdriftet und in die Vergangenheit zurückfällt, wo Passagen aus der Jugend viel über das jüngere Selbst und die Familienverhältnisse der Figur verraten, wenn man sie nicht schon aus den früheren Büchern der Reihe kennt. „Für Herrn Faustini war jeder Schritt durch die Stadt besonders, denn er ging auf den Spuren von damals, als er in Klaus’ VW-Bus genächtigt hatte.“ Das Schöne ist, dass man beim Lesen gar nicht darauf wartet, bis etwas passiert, weil man sich einmal hineingefunden, ganz gut an diese beruhigende Erzählweise gewöhnt.
Das Buch lebt von diesem Charakter, der in seinem entspannten Leben Zeit hat für die kleinen Dinge, die um ihn herum passieren, und seiner fantasievollen Gedankenwelt. Er beobachtet seine Mitmenschen ganz genau und es gelingt ihm, aus alltäglichen Situationen besondere Momente herauszufiltern und sich auch noch darüber bewusst zu werden. Herr Faustini ist aber auch ein Mann, der sich schnell aus der Ruhe bringen lässt, sich gedanklich im Kreis dreht und natürlich alles glaubt, was er von „weisen Männern“ im Fernsehen hört. Aus Mangel an Ereignissen wird alles zum Ereignis und jeder Ort wird mit Erinnerungen verknüpft, in denen immer auch ein bisschen Sehnsucht mitschwingt.
Dieser Artikel ist bereits in der Print-Ausgabe der KULTUR April 25 erschienen.
Wolfgang Hermann: Herr Faustini und die Glatze der Welt. Milena Verlag, Wien 2025, 104 Seiten, Hardcover, ISBN 978-3903460386, € 20