Über kurz oder lang
Vorarlberger Kulturpreis wird 2023 in der Kategorie „Kurzgeschichte“ vergeben
Ariane Grabher · Nov 2023 · Literatur

Seit 2015 schreiben Casino Bregenz und Dornbirner Sparkasse den Vorarlberger Kulturpreis aus, um junges Kunst- und Kulturschaffen in unterschiedlichen, jährlich wechselnden Bereichen zu fördern. Projektpartner für das Juryverfahren und die Bewerbung sind das Land Vorarlberg (die Auswahl der Nominierten erfolgt über die Kunstkommissionen des Landes) und der ORF Vorarlberg. Der also bereits zum 9. Mal ausgeschriebene, mit insgesamt 15.000 Euro dotierte Preis (zusätzlich zum Hauptpreis von 10.000 Euro werden zwei Anerkennungspreise zu je 2.500 Euro verliehen) wird heuer unter den Literat:innen vergeben, und zwar in der Kategorie „Kurzgeschichte“.

Nominiert durch die Kunstkommission Literatur sind mit Linda Achberger, Katharina Klein, Valeria Anna Lampert, Max Lang, Nils Nussbaumer und Carlos Peter Reinelt sechs aufstrebende Autor:innen mit sehr unterschiedlichen Schaffens- und Lebensentwürfen, die jedoch alle in irgendeiner Weise der spezifischen Erzählform Kurzgeschichte verpflichtet sind. Die Nominierten präsentieren sich bzw. ihre Kurzgeschichten bei der Vorauswahl am Dienstag, den 7. November 2023 im ORF Landesfunkhaus in Dornbirn, wo es heißt: Lesen oder lesen lassen, denn die Nominierten entscheiden, ob sie ihren Text (mindestens drei Manuskriptseiten, maximal 15 Minuten) selber lesen oder jemand anderem übergeben. Nach der Lesung befindet eine externe Fachjury über die Vergabe des Preises. Die Jury ist mit Nicole Dietrich (Kulturjournalistin bei ORF Radio Ö1, moderiert u. a. die Literatursendung „Ex libris“), Veronika Schuchter (Literaturkritikerin für Feuilleton und Radio, Lektorin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Germanistik der Universität Innsbruck und am Innsbrucker Zeitungsarchiv IZA) und Anya Schutzenbach (Verlegerin, langjährige Mitarbeiterin bei Suhrkamp und Insel Verlag, seit 2020 Aufbau und Leitung des Literaturhauses Wyborada in St. Gallen) international und hochkarätig besetzt. Der Öffentlichkeit bekannt gegeben werden die Preisträger:innen dann bei einem Galaabend mit feierlicher Preisverleihung am 27. November 2023 im Casino Bregenz. Zwischen dem 7. und 27. November sind alle sechs Kurzgeschichten, erweitert um Porträts der Autor:innen, auch im Kulturmagazin auf Radio Vorarlberg zu hören. Soviel zum Prozedere. Was aber macht nun eigentlich das quasi „Instant-Format“ Kurzgeschichte aus, das auf knappem Erzählraum trotzdem die Qualität von Literatur transportiert? Wie lang ist kurz genug und wie sehen die nominierten Autor:innen das?

Fassbar und multimedial

Am von ihr gern benutzten Format Kurzgeschichte reizt Linda Achberger (Jahrgang 1992), die Prosa und Lyrik schreibt, aber auch Theaterstücke und Hörspiele verfasst, das Fassbare. Ihr Theater-Kurzdrama „Wir brauchen doch keine Bienen, um uns zu bestäuben“ wurde am Theater Kosmos in Bregenz 2016 uraufgeführt und in der Kategorie „Hörspiel“ war sie 2020 unter den Nominierten für den Vorarlberger Kulturpreis. Eine gute Kurzgeschichte – so die bereits mehrfach ausgezeichnete (u. a. mit dem Sonderpreis „Junge Autoren unter 25“ des Schwäbischen Literaturpreises und dem Vorarlberger Literaturstipendium), in Leipzig lebende und schreibende Literatin, die am dortigen, renommierten Deutschen Literaturinstitut studiert– vergleicht sie mit einer Umarmung, einem Kuss, einer kurzen und intensiven Berührung. Inspirieren lässt sie sich beim Schreiben von Musik, von Schubert, Chopin und Schönberg. Die zuweilen dabei aufkommende Einsamkeit durchbricht sie in der Zusammenarbeit mit Kunstschaffenden anderer Sparten, um neue Bilder und Wahrnehmungen in ihr eigenes Tun zu bringen.
Auch Katharina „Kathi“ Klein (Jahrgang 1996) schielt gut und gern über den Tellerrand und ist eine absolute Grenzgängerin zwischen den Disziplinen. Sie mag Kontraste und Assoziationen zwischen dem Nebeneinander von eigentlich fremden Dingen, erweitert Wort und Schrift gleichwertig um andere künstlerische Sprachen und nennt die große französische Filmemacherin, Fotografin und Installationskünstlerin Agnès Varda als Vorbild. Katharina Klein hat Philosophie in Wien und Potsdam studiert sowie Sprachkunst an der Angewandten in Wien und zuletzt an der Accademia di Belli Arti di Carrara. Dort ist gerade ihr Wörter-Künstler:innenbuch „Parla Parla“ erschienen, als ein „umgekehrtes Wörterbuch“, das Übersetzbarkeit und Sprachkritik hinterfragt und als Buch, das man nicht „mitnimmt, wenn man in ein fremdes Land fährt, es ist eins, das man mitnimmt, wenn man von dort nach Hause geht“. Eine weitere Passion der Autorin, die 2020 beim Vorarlberger Kulturpreis Kategorie „Hörspiel“ mit einem Anerkennungspreis punkten konnte, ist das Theater, dem sie zwischen Bregenz und Berlin in verschiedenen Funktionen, u. a. als Regie-Assistentin, verbunden ist.

Psychotherapie und Drama

Mit ihrem Doppelstudium der Psychologie sowie Publizistik und Kommunikationswissenschaften schöpft Valeria Anna Lampert (Jahrgang 1991) aus verschiedensten Erfahrungen, auch wenn sie zwischen der Psychotherapie und dem Schreiben durchaus Parallelen sieht. Geschrieben hat die in Wien lebende Autorin nach eigenem Bekunden eigentlich immer schon, zunächst Reisetagebücher und einen Blog, zu einer Zeit als das Bloggen noch gar nicht so populär war. Seit dem Besuch der Leondinger Akademie für Literatur hat sie das Schreiben als Handwerk begriffen und liebt das Überraschungsmoment dabei, wenn da auf einmal „dieser eine gute, wahre Satz“ ist. Prägnanz und viel sagen, ohne viel zu schreiben, zeichnet für sie eine Kurzgeschichte aus; Inspiration sind ihr Menschen mit ihren Eigenheiten, Zwischenmenschliches, ein Satz im Vorbeigehen oder ein ganz banales Alltagsding. Maximilian „Max“ Lang (Jahrgang 1986) ist bislang vor allem als Dramatiker (mehrfach ausgezeichneter, u. a. auch beim Autorenwettbewerb der Nibelungen-Festspiele Worms 2017) in Erscheinung getreten, hat Lyrik nur in Zeitschriften veröffentlicht, aber mit „Als ich die Augen schloss, wachte ich auf“ im vergangenen Jahr auch seinen ersten Gedichtband nachgelegt. Übers Lesen früh und erfolgreich zum Schreiben gekommen, hat er mit „Olga“ seine erste Kurzgeschichte bereits 2003 publiziert. Kurzgeschichten bezeichnet der in Wien lebende Autor als gute Übung, weil man auf knappem Raum die Motive zusammenführen muss, und als reine Komposition, einem Gedicht nicht unähnlich. Immer wieder schreibt Max Lang auch Texte für bildende Künstler:innen, zuletzt vor allem in intensivem Austausch und in der Herausgabe von Büchern wie „Arche.Tone“ und „Sero.Tone“ mit dem bekannten Vorarlberger Zeichner, Maler, Objektkünstler und Filmemacher Tone Fink.

Kleine Welten und Tragödien

Nils Nussbaumer (Jahrgang 1991), der seit 2019 Dozent für kreatives Schreiben, Presseclub, Recherche und journalistische Schreibwerkstätten an der Westfälischen Hochschule Gelsenkirchen ist, lebt und arbeitet in Bottrop und Langenegg. Während er an seinem Romandebüt schreibt, outet er sich nicht nur als großer Freund von Kurzformen der Literatur, sondern veröffentlicht in seinem Blog auch Kürzestgeschichten. Der Titel des Blogs „Kleine Welten“ ist der Tatsache geschuldet, dass Geschichten, die vielleicht nur etwas länger als ein Absatz sind, die Fähigkeit haben, noch lange in einem nachzuhallen und ganze Welten eröffnen können. 2019 und 2021 mit einem Literatur-Arbeitsstipendium des Landes Vorarlberg ausgezeichnet, hat sich Nils Nussbaumer zuletzt verstärkt mit seiner Vorarlberger Heimat auseinandergesetzt. Seine Texte zeichnen sich durch eine klare, bildhafte Sprache und feine, detailreiche Situationsschilderungen aus, die eine ausgeprägte Beobachtungsgabe verraten.
Als lustigen Menschen, der andere Menschen gern zum Lachen bringt und irgendwann angefangen hat, über traurige Dinge zu schreiben, bezeichnet sich Carlos Peter Reinelt (Jahrgang 1994). Mit dem Kurzroman „Willkommen und Abschied“ hat er 2016 das literarische Parkett betreten und wurde für seinen Erstling – basierend auf der Tragödie von Parndorf im Jahr 2015, bei der 71 Flüchtlinge in einem Schlepper-LKW erstickt waren – gleich mit dem Förderungspreis der Rauriser Literaturtage ausgezeichnet. Seit 2019 schreibt Reinelt, der mehrere Recherchereisen nach Japan unternommen, insgesamt zwei Jahre in Tokio gelebt und die Landessprache erlernt hat, an seinem Roman „Sagamiko“. Thema ist die Tötung von 19 Menschen mit Behinderung in einem japanischen Wohnheim durch einen ehemaligen Pfleger von 2016. Das Verbrechen, das in Japan nicht vollständig aufgearbeitet und in Europa seinerzeit kaum wahrgenommen wurde, hat ihn als ehemaligen Zivildiener der Lebenshilfe sehr berührt. Dass es mit seinem Roman nur langsam vorangeht, stört ihn nicht. Seine Liebe zu Japan lebt er derzeit im Forschen und Übersetzen von unbekannter japanischer Literatur aus und ab 2024 als Assistenzprofessor an der Yamaguchi Universität. In Sachen Kurzgeschichten bewundert er den mit höchsten Literaturpreisen ausgezeichneten japanischen Autor Murakami, konstatiert aber nüchtern, dass Kurzgeschichten eine Angelegenheit für Schreibende mit Talent, aber wenig Muße seien.

Dieser Artikel ist bereits in der Print-Ausgabe der KULTUR November 2023 erschienen.

Kulturpreis Vorarlberg: Vorauswahl
7.11., 18 Uhr
ORF Landesfunkhaus, Dornbirn 
www.kulturpreisvorarlberg.at

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