Try to fly – mehr als Flugversuche
„Toxic. Britney über Spears“ von Daniela Egger feierte Premiere in der Box am Landestheater
Manuela Cibulka ·
Dez 2024 · Theater
Manchmal passiert es, dass man eine Box öffnet und entdeckt, dass genau das Richtige drinsteckt – etwas, worauf man sich gefreut hat, nicht zu viel, nicht zu wenig, nicht zu schwer, nicht zu leicht, gut durchdacht von der/dem Schenkenden und deshalb eine Freude sowohl für diese:n als auch für die/den Beschenkte:n: So geschehen gestern beim Öffnen der Box des Landestheaters für die Premiere von „Toxic. Britney über Spears“.
Sieben Podeste in unterschiedlicher Höhe, alle gerade groß genug, um hinter Glas einen Menschen aufzufangen oder auch einzusperren, hinter Schnüren eine Pop-Ikone zu verstecken, einem Tänzer als Gerüst für dessen Performance zu dienen oder lediglich zur Präsentation silberner Sneaker herzuhalten – sieben Podeste, die in den nächsten eineinhalb Stunden die ideale Bühne für Maria Lisa Huber als Britney Spears und Nurettin Kalfa als alles andere – vom Vater, dem Manger, der großen Lieben Justin Timberlake sowie dem größten Fehler ihres Lebens Kevin Federlein, vom Paparazzi und Interviewpartner bis hin zum Security-Beauftragten – bieten werden. Agnes Kitzler ist es in ihrer Inszenierung mit der Bühne und den Kostümen Marina Deronjas‘ perfekt gelungen, die Balance zwischen Minimalismus und ausreichend Abwechslung zu halten. Jede Ecke wird bespielt, alle verwendeten Requisiten machen Sinn und die Symbolik scheint nie überladen oder aufgesetzt.
Kraft und Mut
Gleich zu Beginn wird klar, dass das Publikum geballte Energie erwartet. Den Speer schwingend, mit blonder Perücke bestückt, erscheint die Prinzessin des Pop und beginnt ihre Geschichte zu erzählen. Und Maria Lisa Huber macht das mit unglaublicher Leidenschaft, mit Mut und Herzblut, und das Publikum ist schnell auf ihrer Seite. Nurettin Kalfan hat es anfangs nicht ganz leicht neben ihr seine Rollen, angelegt als kurze Unterbrechungen, ebenso impulsiv auf die Bühne zu bringen. Immer mehr überzeugt aber sein zum Teil subtiler Humor in der Darbietung und nicht nur die wechselnde Kleidung, sondern auch seine nuancierten Veränderungen in Bewegung und Tonfall lassen die Rollen sympathisch oder auch unsympathisch wirken, verleihen jeder Figur einen gewissen Charakter und werden wichtiges Beiwerk in dem Großteils als Monolog geführten Ablauf.
Erzählt wird von Anbeginn, von der Geburt eines Mädchens in Montreal, dessen größter Erfolg entweder jener als Star-Cheerleader oder noch besser als Frau eines berühmten Basketballspielers hätte sein können und von Eltern, die mehr von ihr erwarteten und deren Druck sie zu Höchstleistungen bringt, denn nur „wer Erwartungen erfüllt, existiert“. Ein dauerhaft instabiles Umfeld, das sie in die Hände Falscher treibt, Verlust, Abtreibung, Trauer, Angstzustände, Panik, Verzweiflung und nie jemand, der ehrlich zu ihr ist und es gut mit ihr meint. Ob diese klare Trennung zwischen Gut und Böse stimmt, tut währende der Aufführung nichts zu Sache. Sowohl die Einspielungen der Hits als auch die gesungenen Arrangements sind so gewählt, dass Fragen wie diese gar nicht aufkommen. Wenn am künstlerischen Höhepunkt angelangt von Britney am Klavier begleitet „Everytime I try to fly“ gesungen wird und das Bloß- und Zur-Schau-Gestellt-Werden in der kleinen Geste des Ablegens von rosa Haarspangen angedeutet wird, ist das ebenso überzeugend wie die unterschiedlichen Interpretationen des titelgebenden Songs „Toxic“ – a capella, mit Streicherbegleitung, á la Heavy Metal: alles funktioniert.
Ihr Ringen um die Kinder, die Unglaublichkeiten einer 13 Jahre andauernden Vormundschaft, das Bereichern ihres Umfeldes und die Ausweglosigkeit – der klare rote Faden und das Deutlich-Machen paternalistischer Auswüchse im Text von Daniela Egger (Dramaturgie: Juliane Schotte) erlauben das Nachvollziehen all dieser Begebenheit auch jenen im Publikum, für die Britney Spears bislang nicht viel mehr als das Bild der blonden Sängerin war. Dass Britney aber auch mit braunen Haaren funktioniert, beweist Maria Lisa Huber im Laufe des Abends. Das Ablegen der Perücke steht für jene, damals in den Medien breitgetreten Kahlkopf-Rasur. Der absolute Tiefpunkt eines Menschen, dessen anschließender Kampf um neue Selbstermächtigung von der Schauspielerin mit großer Stärke aufgezeigt wird: textsicher, stimmsicher, tanzsicher und siegessicher.
Um nicht alles zu verraten lediglich noch ein kleines Versprechen an alle: Auch ein sehr sehenswerter Tiger tritt auf und abgetreten von der Bühne wird bei diesem Stück einmal völlig anders. Ein Versprechen von Seiten der Intendantin Stephanie Gräve: Man versuche, Zusatzvorstellungen anzubieten, da alle geplanten Aufführungen bereits ausverkauft seien.
geplante Zusatzvorstellung im Blick behalten unter:
https://landestheater.org/spielplan/detail/toxic/
weitere, bereits ausverkaufte Aufführungen am
21.12.24 sowie 3./5./10./12.1.25 jeweils 19.30 Uhr
Theater am Kornmarkt (BOX), Bregenz