„Nur nachts“ von Sibylle Berg – eine Koproduktion von walktanztheater.com und Theater am Saumarkt Peter Niedermair · Nov 2022 · Theater

„Nur nachts“ konstruiert mit Sprache Wirklichkeit, bringt über die Sprache Dinge zur Welt, und schafft sie wieder ab; „Nur nachts“ inszeniert Geister, erschafft ein Inventar fiktiver Personen, imaginiert über das sprachliche Benennen und Bewörtern zum Beispiel Kinder, Orte und Sehnsüchte, wie man sie sich wünscht, oder weil man die Wirklichkeit umkehrt, und sich fragt, woher man denn die Geister nimmt, oder woher Sibylle Berg das Unerschrockene nimmt, Gedanken in die Welt zu setzen.

An diesem Premierenabend des gestrigen 5. Novembers 2022 wächst im Kellergewölbe des Theaters am Saumarkt ein Berg’scher Kosmos, der lustvoll lachend abperlt wie Tropfen dieses Cremant de la Bourgogne. Sibylle Berg räumt Sprache her, switcht sie auf die Bühne und räumt sie wieder weg, sie regt an, sie regt auf, sie gebärdet sich völlig unerschrocken – Spaß muss her, das ist ihr Credo, und Verlangen, und woher nimmt sie die Geister, die Petra und Peter zu allem hin eh noch selbst aus sich heraus gebären müssen, auf dem dramaturgischen Grundriss des Stücks, wenn man sich so etwas wie einen Bauplan vorstellen möchte, dann ist das Hexeneinmaleins von „Nur nachts“ die Reduktion. Das habe ich mit der Regisseurin des Stückes, Brigitte Walk, besprochen. Ja, Reduktion und das in mehrfacher Hinsicht. Daraus, weil sie es eigentlich gut meint und es nichts zu biegen und zu beugen gibt, weil eh schon alles in Glück gebadet und geduscht darauf hört, wenn Paul, Paul Winter an der Gitarre, die Schlager zupft und schlägt.

Am Anfang ist die Sprache

Neben Paul Winter, der die von Sibylle Berg getexteten Schlager singt, überzeugen im Schauspiel von der ersten bis zur letzten Silbe Helga Pedross und Andreas Schwankl. ‚Die Geister‘ im Stück werden von den beiden Schauspieler:innen mit Projektionen und raschen Rollenwechseln sowie Rollenzuschreibungen mitgespielt. Die Videos hat Sarah Mistura gedreht. Diese ergänzen und erweitern das Spektrum der Perspektivenwechsel auf der Bühne. Das Stück kehrt an die Anfänge zurück, zur Sprache, wird selbst Sprache, wird Theater. „Nur nachts“ entsteht aus einem Jubiläum des Theaters am Saumarkt, diesen schier unglaublichen 50 Jahren. Der Saumarkt entstand, weil Kunst eine Grundinfrastruktur braucht, und weil man sich nicht vom Teufel über Nacht ein Theater bauen lassen kann, oder eine Brücke, wie der Bürgermeister von Beaugency, jener kleinen Ortschaft an der Loire, in der Geschichte von James Joyce, die er seinem Enkel Stephen in einem Brief nach Dublin schreibt.

Die Geister, die ich rief

In dieser inszenatorischen Verfahrensweise braucht es natürlich mehr als nur zwei Geister, die das wichtigste sind, weil die Geister, die ich rief, in mir sind, wie lange Schatten, wie wenn Leute versuchen, etwas Neues zu machen, dann sind sie auch naiv, und das Glück passiert ihnen einfach, sie gebären ihre eigenen Ängste und begraben sie auch wieder, sukzessive; das Glück fällt ihnen zu, aus der Not heraus sind sie mutiger, nicht opulent, doch man kann alles sein, in der Imagination … man kann alles machen, das ist neben vielem anderen wesentlich auch ein Stück weit das Faszinierende an Sibylle Berg. Die Alleine-Seligkeit haben die Protagonist:innen von „Nur nachts“ bereits erlebt, sie wollen zusammen leben, glücklich sein, jenes Glück leben und erleben, das an ihren Kostümen so fantastisch glänzt, die Organza Seide, feines Zeug nämlich, das ihnen diese gewisse Eleganz gibt. Damit schaffen Petra und Peter, die auch Ralf und Ronny heißen könnten, was schon etwas irgendwie sehr Deutsches an sich hat, eine Komödie, in the end, etwas Komödiantisches, eine Wirklichkeit, die Sprache auslöst und diese Sprache aus ihnen heraussprudelt, und sie damit Wirklichkeit kreieren.

Glück gegen den Schein des Alltags

Petra und Peter sind gepflegter Durchschnitt, Mitte 40, womit man nicht einfach so noch einmal neu anfangen kann. Das taugt nicht mehr so unbedingt für die große Liebe, außer … doch sie sind nicht mehr die Jüngsten, ihrer beider Midlife-Krisen, das Gefühl, trotz guter Einkommen nicht wirklich ausgekommen und gescheitert zu sein, zieht Peter und Petra nahezu magisch an. Sie wollen heiraten, zusammenziehen, ein neues Leben beginnen. Wie das halt so ist. Die beiden Antiheld:innen beschwören die üblichen Versagensängste, eigentlich die ganz normalen Horrorszenarien des Paaralltags, sie spinnen sich ihre Visionen von Altersarmut und Verlassenwerden. Den (Schein-)Sicherheiten des Alltags und dessen Tristesse treu und mit sich allein zu bleiben, das wollen sie versuchen. Doch die Gespenster der Single-Vergangenheit lassen sich nicht so leicht abschütteln. Zwei Geister suchen die beiden heim, um ihren Heiratsplan zu hintertreiben. Auf demoskopischen Fährten: Laut dem Soziologen Ulrich Beck, Uni München, nimmt die Zahl der als Single lebenden Erwachsenen in Deutschland ständig zu; statista.de belegt aktuell für das Jahr 2022 in der deutschsprachigen Bevölkerung rund 4,93 Millionen Personen, die sich selbst zur Gruppe der überzeugten Singles zählen würden.
Die Inszenierung gefällt sehr, es braucht viele „Vorhänge“. Die schauspielerische Leistung, inklusive jene des Musikers Paul Winter, ist großartig, ein wahres Vergnügen, von Anfang bis Ende. Gehen Sie hin, wenn Sie einen gehaltvoll unterhaltsamen Abend verbringen wollen, die Bar im Theater am Saumarkt ist auch ganz angenehm. … Enjoy the theatre …

walktanztheater.com: „Nur nachts" von Sibylle Berg
weitere Termine
: 7./8.11. sowie 28./29.11. jeweils 19.30 Uhr
Theater am Saumarkt, Feldkirch

https://saumarkt.at/sm/Theater

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