The GOAT was in Town
Nach Italien, Prag und Salzburg führte die musikalische Reise des Münchener Kammerorchesters am Dienstagabend ins Kulturhaus Dornbirn
Michael Löbl ·
Jän 2025 · Musik
Who ist „The GOAT“? Nein, keine Ziege, GOAT bedeutet „Greatest of all Time“ und sorgt für immerwährende hitzige Debatten, vor allem im Sport. Ist nun LeBron James oder doch Michael Jordan der größte aller Basketballer, ganz ähnlich ist es im Tennis, wo Fans von Novak Djokovic, Roger Federer und Rafael Nadal darum streiten, wem denn diese inoffizielle Trophäe gebührt. Bei der Oboe gibt es nur zwei Anwärter auf den Titel GOAT, und einen der beiden konnte man am Dienstagabend im Rahmen der Reihe „Dornbirn Klassik“ bewundern.
Die Namen der beiden Herren sind Heinz Holliger und François Leleux. Der Schweizer Heinz Holliger hat die Oboe vor mehr als fünfzig Jahren auf ein vollkommen neues Level katapultiert. Als grandioser Solist, als Interpret unzähliger für ihn geschriebener neuer Werke, als Entdecker vergessener Literatur vom Barock bis in die Gegenwart aber auch als Komponist war und ist er Inspiration und Vorbild für alle jungen Oboist:innen. Der Franzose François Leleux war sicherlich ebenfalls von diesem Hype beeinflusst, als er im zarten Alter von sechs Jahren begann, Oboe zu lernen. Bei ihm scheint es, als wäre das Instrument als Körperteil mitgewachsen, so organisch und mühelos wirkt sein Spiel. Niemand außer ihm hat es geschafft, eine derartige Leichtigkeit und Flexibilität mit einem runden, dunklen und großen Ton zu verbinden. Bei François Leleux gibt es weder Atemprobleme noch sonstige technische Schwierigkeiten, nichts scheint unmöglich, er „spielt“ Oboe im besten Sinne des Wortes. Und er ist ein Entertainer. Bereits beim ersten Schritt auf die Bühne hat er das Publikum überzeugt, mit den ersten Tönen, die er seiner Oboe entlockt, dominiert er einen ganzen Konzertsaal.
Ein Meister der Körpersprache
François Leleux spielt fast schon übermusikalisch, jede kleinste Note oder Floskel bekommt eine Bedeutung, die stets auch körpersprachlich vermittelt wird. Die zahlreichen verschiedenen Stimmungen im 1955 geschriebenen Oboenkonzert des Tschechen Bohuslav Martinů, sind wie geschaffen, um Leleux‘ musikalische und instrumentale Trümpfe auszuspielen. Er hat dieses Werk vor 23 Jahren bereits einmal hierzulande aufgeführt, im Rahmen der Bregenzer Festspiele 2002 mit dem Symphonieorchester Vorarlberg.
Das Münchener Kammerorchester unter Enrico Onofri war ein brillanter Partner, allerdings stellenweise viel zu laut. Wenn die Bläserriege und der Flügel, dessen Deckel auf die Position „Solokonzert“ eingestellt war, in den Ecksätzen richtig loslegten, war von den virtuosen Umspielungen, die Martinu seinem Solisten anvertraut hat, nicht mehr viel zu hören. Hier hätte Enrico Onofri als Dirigent viel öfter eingreifen müssen, um die Balance zwischen Solist und Orchester auszugleichen. Das Publikum war jedenfalls hin und weg und wurde mit einer fulminanten Zugabe belohnt, der bekannten Arie der Königin der Nacht aus W.A. Mozarts „Zauberflöte“.
Ein Markenzeichen der Reihe „Dornbirn Klassik“ sind die Konzerteinführungen im kleinen Saal des Kulturhauses. Viele Jahre war das die Domäne von Bettina Barnay, bis der ORF und Landesintendant Markus Klement feststellten, dass diese Tätigkeit mit ihrem damaligen Job in der Kulturabteilung des Landesstudios nicht vereinbar ist. In der Folge genossen die zahlreichen Interessenten die durchaus auch unkonventionellen musikalischen Zugänge des Schriftstellers Robert Schneider. 2025 ist wiederum dessen Ära zu Ende gegangen und Bettina Barnay, inzwischen längst nicht mehr für den ORF tätig, kann diese Aufgabe nun wieder übernehmen.
Hochkomplexes Eröffnungsstück
Von 2006 bis 2016 war Alexander Liebreich Chefdirigent des Münchener Kammerorchesters und unter seiner Leitung war das Ensemble auch mehrfach in Dornbirn zu Gast. Derzeit arbeitet das Orchester mit drei Dirigenten intensiv zusammen, einer von ihnen ist der Italiener Enrico Onofri, der auch das Konzert am Dienstagabend leitete. Als Gründungsmitglied und langjähriger Konzertmeister des Barockensembles „Il Giardino Armonico“ zählt er zu den Pionieren der historischen Aufführungspraxis. Mittlerweile ist er seit vielen Jahren als Dirigent international tätig, auch bei großen Symphonieorchestern mit einem Repertoire vom Barock bis zur Gegenwart.
Eröffnet wurde das Konzert mit dem „Notturno für Streichorchester“ von Luciano Berio. Der italienische Komponist war einer der bedeutendsten Vertreter der musikalischen Avantgarde des vorigen Jahrhunderts in einer Reihe mit Pierre Boulez, Mauricio Kagel oder Karlheinz Stockhausen. Sein „Notturno“ hat er ursprünglich für Streichquartett geschrieben und es später für Streichorchester umgearbeitet. Gewidmet ist es dem großen Schweizer Musikmäzen Paul Sacher. Es handelt sich um ein fast halbstündiges, hochkomplexes Werk, das man unbedingt öfter als nur einmal hören müsste, um sämtliche Details und Feinheiten zu erfassen. Es war sensationell, mit welcher selbstverständlichen Lockerheit das Münchener Kammerorchester unter Enrico Onofri die schwierige Partitur mit allen ihren feingliedrigen Details umsetzte. Das Ergebnis klang überzeugend, organisch, wenn auch etwas zu lang, oft verharrt die Musik lange in bestimmten Klangmustern ohne wirkliche Bewegung. Ob Berios‘ „Notturno“ wirklich ein optimales Eröffnungsstück für das Dornbirner Abo-Publikum war, sei dahingestellt.
Verwirrende Programmabfolge
Nach der Pause dann die „Haffner-Serenade“ von Wolfgang Amadeus Mozart, allerdings in einer speziellen Version, die vom gängigen Ablauf dieser bekannten, großen Serenade entscheidend abwich. Mozart hatte sich immer wieder an einzelnen Sätzen seiner Serenaden bedient, um sie zu Solokonzerten oder Symphonien umzuarbeiten. Auch aus der achtsätzigen „Haffner-Serenade“ KV 250 hat der Komponist eine solche Symphonie extrahiert. Die Sätze zwei bis vier mit ihren virtuosen Violinsoli wurden gestrichen, Vater Leopold hat noch eine Paukenstimme hinzugefügt und fertig war eine neue, fünfsätzige Symphonie. Und genau die hat das Münchener Kammerorchester am Dienstagabend in Dornbirn gespielt. Aber Achtung, Verwechslungsgefahr! Es handelt sich keineswegs um die bekannte „Haffner-Symphonie“ KV 385. Das ist eine ganz andere Geschichte.
Dem ersten Satz wurde – analog zur Uraufführung im Rahmen von Hochzeitsfeierlichkeiten der prominenten Salzburger Familie Haffner – der Marsch KV 249 vorangestellt. Da diese nun sechssätzige Fassung des Münchener Kammerorchesters mit Marsch, gleichzeitig aber um drei Sätze gekürzt, so überhaupt nicht deckungsgleich war mit der Abfolge im gedruckten Abendprogramm, konnte man zumindest bei einigen Besuchern eine gewisse Ratlosigkeit feststellen.
Historisch informierte Spielweise
Der Großteil des Publikums machte sich über derartige musikwissenschaftliche Spitzfindigkeiten selbstverständlich keine Gedanken und genoss Mozarts Musik in der erfrischenden, historisch informierten Interpretation des Münchener Kammerorchesters unter Enrico Onofri. Die Tempi waren vorwärtsdrängend, der Charakter der einzelnen Sätze gut voneinander abgegrenzt, die zahlreichen Akzente und dynamischen Gegensätze ergaben einen kurzweiligen Mozart mit viel klanglicher Abwechslung. Sowohl Streicher:innen als auch Bläser:innen des Münchener Kammerorchesters sind hervorragend besetzt, die Blechbläser:innen spielen je nach Repertoire auf konventionellem oder historischem Instrumentarium. Hier gab es mehrfach Probleme mit der Balance, die dominanten Naturtrompeten, Naturhörner und historischen Pauken machten speziell in der Akustik des Kulturhauses den Streichern immer wieder das Leben schwer.
Vor fast genau einem Jahr fand im Rahmen von „Dornbirn Klassik“ ein verblüffend ähnliches Konzert statt. Ort: Ebenfalls das Kulturhaus Dornbirn. Auf dem Programm: Ebenfalls eine große Mozart-Serenade. Dirigent: Ebenfalls einer der Gründer von „Il Giardino Armonico“, der Flötist Giovanni Antonini. Und das Kammerorchester Basel spielte ebenfalls auf historischen Hörnern, Trompeten und Pauken. Konventionelles und historisches Instrumentarium zu kombinieren ist kein Trend mehr, diese Mischung ist – speziell für die Musik der Wiener Klassik – mittlerweile zum Standard geworden.
https://www.dornbirn.at/leben-in-dornbirn/leben/kultur/dornbirn-klassik-2024-25