„TERRARIUM – Eine Meditation über das Ende der Welt“
Theater Mutante mit neuer Theaterproduktion
Peter Niedermair · Sep 2023 · Theater

Der in vier Wochen entstandene, feingliedrig gestrickte Text geht unter die Haut. Mit den „Experten des Alltags“, Srour Hassan, Margit Müller-Schwab, die die zwei Nebenschauplätze besetzen, ist gemeinsam mit den beiden Hauptakteuren Andreas Jähnert und Chris Laine eine relativ umfangreiche und thematisch weitläufige Story über Demenz und das Leben an den Rändern der Gesellschaft entstanden.

Die Schauspielgruppe um die Regisseurin Bernadette Heidegger hat individuelle und auch kollektive Erfahrungen eingefangen und erzählt sie von den Rändern her. Im zum Stück hinführenden Vortext heißt es: „Finis terrae ist bis heute eine letzte Station am Ende des Jakobsweges, jener langen Pilgerreise, die sich im Mittelalter, aber auch heute wieder großer Beliebtheit erfreut, an dessen Ende man, so will es die Tradition, seine Schuhe verbrennt. Das Kap Finisterre, 60 km von Santiago de Compostela entfernt, an der Costa da Morte in Galicien, galt im Mittelalter vor der Entdeckung Amerikas durch Christoph Kolumbus als das Ende der Welt, noch bevor die Erkenntnis der Kugelform ihr eine Art Unendlichkeit verlieh.“ Diesem Ende soll das Stück wie dem Ort „symbolische Bedeutung auch für das dividuelle Ende des Lebens verleihen. Der Rand des eigenen Lebens, kurz vor dem unbekannten Danach. Oder auch das Ende einer langen Reise, bevor man, wie es heißt, ‚aus den Schuhen kippt‘. So soll der Ort auch als Ausgangspunkt für eine Recherche- und Erzählreise stehen, die sich rund um das Thema Lebensende und Altern dreht.“

Stringente Umsetzung eines überzeugenden Textes

In der Phase der Recherche zu diesem Thema wurden Interviews sowohl mit älteren Menschen, die in Alten- bzw. Pflegeheimen wohnen, als auch mit noch selbständig lebenden älteren Menschen geführt, textlich erweitert auch durch Interviews mit Pflegepersonal und pflegenden Angehörigen. Die Fragen um den Alltag und die Probleme des Älterwerdens sind genauso Thema wie auch Fragen der inneren Wahrnehmung des Alterungsprozesses, der auftauchenden Fragen und Ängste ebenso wie die Erfahrungen mit einer sich rasant verändernden Welt. Ergänzt mit eigenen Erlebnissen und Geschichten des Performance-Kollektivs ergibt sich daraus der Erzählpool für „TERRARIUM – Eine Mediation über das Ende der Welt“. In diesem Pool gibt es den überzeugend agierenden Musiker Chris Laine und die beiden großartigen Alltagsexpert:innen Margit Müller-Schwab und Srour Hassan, mit denen Andreas Jähnert sich mal erzählend, mal reflektierend aber auch musikalisch durch einen Abend in Richtung „finis terrae“ assoziiert. Das relativ kleine Team hat die vom Außen her vermittelten Gedankengänge auf dieser Reise erfolgreich interpretiert auf die Bühne gestellt. Durch die schlüssige, rhythmisch beeindruckende Inszenierung und die sehr stringente Umsetzung durch die vier Schauspieler:innen funktioniert die Reise. Das Stück überzeugt, besonders auch in den verschiedenen aufeinander abgestimmten Schauplätzen und Verästelungen.
Die Regisseurin Bernadette Heidegger besaß das Vertrauen, mit der Gruppe gemeinsam die Fragen zu öffnen und auszuprobieren und die Essenz zu entdecken. Sie experimentiert und entscheidet, einen Weg zu gehen und sich dabei dennoch nicht in eine Abhängigkeit zu begeben. Darin spiegelt sich eine Reflexion, die auch eine Symbolik zutage fördert, frei nach der Art: man kann es nicht allen recht machen. Im Selbstverständnis des Theater Mutante geht es um das Festigen von Brücken zwischen Text, Musik, Gesang, Schauspiel, Tanz, Zirkus, Film. Damit will man die Kunstgenres aus ihrer Isolation holen. Im Entdecken von Gemeinsamem und im Durchmischen sollen Ordnungen verändert, Ansichten hinterfragt und Haltungen ins Schwanken geraten. Das Theater Mutante schafft Räume für Begegnungen und Gespräche.

Kunst als Türöffner

„TERRARIUM - Eine Meditation über das Ende der Welt“ ist ein weiteres aktuelles Beispiel, wie Kunst und Kultur als „Türöffner“ für den angestrebten Einstellungswandel im Hinblick auf Demenz funktioniert.
Andreas Jähnert und Sascha Jähnert gründeten das Theater Mutante im Jahr 2020. Das Engagement der Brüder hat in kurzer Zeit viele Künstlerinnen und Künstler motiviert, sich auf die jährlichen experimentellen Produktionen einzulassen. Ebenso ist inzwischen ein aufmerksames Publikum neugierig geworden, der „Kreis der Mutanten“, wie es Andreas Jähnert reflektiert, wächst unkontrolliert …

Theater Mutante: „TERRARIUM – Eine Meditation über das Ende der Welt“ von Bernadette Heidegger, Andreas Jähnert

weitere Aufführungen
: 8./10./14./15./16.9., jeweils 20 Uhr
Festhalle (Alte Turnhalle), Lochau

Podiumsgespräch: 16.9., 21 Uhr, im Anschluss an die Aufführung

www.theatermutante.com

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