Glutvoll Getanztes zum neuen Feminismus – Mercedes Dassy beeindruckt mit der österreichischen Erstaufführung ihrer schonungslosen Solo-Performance „I-CLIT“ beim tanz ist Festival am Spielboden Peter Füssl · Jun 2022 · Tanz

Man konnte es schon erahnen, wenn man die 31-jährige belgische Tänzerin Mercedes Dassy am tanz ist Festival-Eröffnungsabend als Energiebündel in „Forces“ der belgischen Compagnie Mannès/Turine/Lemaître erlebt hatte: Ihre eigene Produktion „I-CLIT“ – zum Festival-Motto „A new wave of feminism“ passend – wird keine trockene, verkopfte, bitterernste, getanzte Lehrstunde zu zeitgenössischen Feminismus-Theorien, sondern eine körpernah intensive Auseinandersetzung mit der Thematik, eine Performance aus Fleisch und Blut und themengemäß – auch viel Haut.

Selbstbestimmten Frauenfiguren der Pop-Kultur

„I-CLIT“ ist die geschickt arrangierte Abfolge tableauhafter Szenen voller eindrucksvoller Bilder, die mal wild und ungestüm, dann wieder nachdenklich leise dem Zusammenhang zwischen neuem Feminismus und Konsumkultur nachspüren – und dabei keine neunmalklugen Antworten anbieten, sondern eher interessante Fragestellungen aufwerfen. Dazu werden bildhafte, teils mit chartstauglichen Songs unterlegte Sequenzen angeboten, die eindeutig auf selbstbewusste und selbstbestimmte Frauenfiguren der Pop-Kultur verweisen – ältere Semester erinnern sich vielleicht an die Madonna der 1990er Jahre mit ihren von Jean Paul Gaultier kreierten Korsetts und Kegel-BHs, jüngere an die Aufsehen erregenden Shows von Beyoncé oder Rihanna, an Miley Cyrus‘ nackten Ritt auf der Abrissbirne, und ganz aktuell in der Gegenwart angekommen, denkt man an die sich lustvoll auf der Motorhaube räkelnde, allerdings etwas blutverschmierte Charlie XCX oder an Rosalía, die ihren Lover wissen lässt, dass sie ihn demnächst reiten werde wie ihr Motorrad. Wir haben es hier keineswegs mit hilflosen, instrumentalisierten Lustobjekten zu tun, vielmehr mit höchst erfolgreichen Künstlerinnen und Geschäftsmodellen, wenn man so will Marketing-Strategien, die kreativ und unter lustvollem Körpereinsatz nach dem Willen der Frauen realisiert werden – weit entfernt von einer Opferrolle.   

Feminismus und Turbo-Kapitalismus

Aber passen zeitgenössischer Feminismus und Turbo-Kapitalismus wirklich zusammen? Wo liegen die Überschneidungsmengen, wo die fragilen Grenzen? Ist das nicht eine permanente Gratwanderung, hinter der sich nur etwas besser getarnte Unterdrückungsmechanismen verstecken? Mercedes Dassy kann und will das nicht eindeutig beantworten, aber man und frau können sich manches zusammenreimen. In der Eröffnungsszene etwa überrascht die Absolventin der renommierten S.E.A.D. (Salzburg Experimental Academy of Dance) im sportlich-eleganten Hip-Hop-Outfit, also in kurzer Hose und Hoodie, mit den passenden Breakdance-Moves und Roboting. Später wird es dann eine Sequenz geben, wo sie mit dem Rücken zum Publikum am Boden knieend auf höchst eindrucksvolle Weise ihre gesamte Rückenmuskulatur aktivieren muss, um sich von den sie total einschnürenden Goldketten zu befreien, die man unschwer als Accessoires der nicht selten höchst frauenverachtend textenden Macho-Rapper kennt. Im grandiosen Finale wird Dassy dann nochmals auf dieses Genre zurückkommen – aber dazu dann am Schluss dieses Artikels, wo es hingehört. 

... und die neuen (a)sozialen Medien

Auch der Zusammenhang zwischen feministischem hypersexualisiertem Selbstverständnis und Ultravernetzung in den neuen (a)sozialen Medien – schließlich will man ja "ultra-connected" sein – wird in einem eindrucksvollen Bild thematisiert. Dassy entledigt sich ihres sportlichen Outfits und sitzt sehr leger gewandet mit Richtung Publikum gerichteten, extrem breit gespreizten Beinen am Boden, zwischen denen, ihr Geschlechtsteil abschirmend, ein Computerbildschirm positioniert ist, der permanent eine kaum wahrzunehmende Bilderfolge auswirft – einzig der #metoo-Hashtag bleibt haften. 

Starke Bilder – emotionales Wechselbad

Solche starken Bilder unter extremem Körpereinsatz zu kreieren, gelingt Mercedes Dassy immer wieder. Wenn sie sich als Sängerin lasziv am Boden räkelt, oder wenn sie sich, das Gesicht mit einer kunstvollen Maske bedeckt, auf Knien über den Boden bewegt und ihren langen Zopf, der immer wieder einer eigenen Choreographie zu folgen scheint, wie eine Geißel energisch-kraftvoll, aufmüpfig-aggressiv auf den Boden klatschen lässt. Oder wenn sie sich den über Tonband eingespielten, pedantischen Bewegungs- und Atemanweisungen einer männlichen Stimme unterwerfen soll, was sie mit dem Verlassen des Saales quittiert.
Es ist ein emotionales Wechselbad, in das Dassy – und mit ihr das Publikum – eintaucht. Verletzlichkeit, Selbstbewusstsein, Verzweiflung, Übermut, Ironie, alles findet Platz. Sie führt imaginäre Streitgespräche, aggressive Schreiausbrüche ins Mikrofon wandeln sich in ein inbrünstig geschmettertes „I Will Always Love You“, das Whitney Houston alle Ehre machen würde. Plötzlich wechselt der Pop- und Hip-Hop-Soundtrack zu den barocken Streicherklängen des Marin Marais, zu denen Dassy wieder in kurzer Sporthose, aber oben ohne klassisch gezierte und stilisierte Bewegungen vollführt. 

Twerking bis zum Exzess und darüber hinaus ...

Neben der Musik waren die ganze Aufführung hindurch vereinzelte Wassertropfen zu hören, die sich zunehmend zu rauschend fließendem Wasser verdichten – so bahnt sich auch schon akustisch ein grandioses Finale an. Mercedes Dassy lockert Beine und Hinterteil – hier muss es Muskeln geben, die Normalsterblichen gar nicht bewusst sind – und verblüfft die Zuschauer:innen mit sich absurd steigerndem Twerking, wie man es in den letzten Jahren aus vielen, vor allem auch Hip-Hop-infizierten Musikvideos kennt. So nennt man die in einer tiefen, Hocke-artigen Haltung ausgeführten, ruckartig kreisenden und stoßenden Hüft- und Beckenbewegungen, die das Gesäß zum Zucken und Schwingen bringen. Eine sexuell höchst aufgeladene und provozierende Angelegenheit, die Mercedes Dassy schonungslos in unterschiedlichsten, immer übertriebener wirkenden Positionen vollführt: in Reithaltung, im extremen Spagat, an die Wand gelehnt und schließlich im Kopfstand – was das sexuell Verführerische irgendwie endgültig ins Absurde kippen lässt. Ja, in unserer hyper-sexualisierten Zeit wird viel mit Codes gespielt und auch manipuliert, und die vermeintlichen Objekte sexueller (männlicher) Begierde können sich jederzeit als selbstbestimmte und selbstbewusste Subjekte herausstellen, die das Heft des Handelns in die Hand nehmen. Wer sich kurz mal in der voyeuristischen Männer-Pose ausruhen wollte, wurde jedenfalls buchstäblich und aufs Schönste verarscht. Und „I-CLIT“ war vor allem auch wieder einmal der – hier mit großem Körpereinsatz getanzte – Beweis, dass sich gerade ernsthafte Themen mit einer Prise Humor wirkungsvoller transportieren lassen.
Im anschließenden Künstlerinnen-Gespräch mit tanz ist-Mastermind Günter Marinelli erzählte die sympathische Mercedes Dassy, dass 2015 am Anfang des Erarbeitungsprozesses unzählige Improvisationen gestanden seien, nicht unbedingt die großen theoretischen Überlegungen zum Feminismus. Dieser sei durch die Pop-Kultur in den letzten Jahren mit enormer Power aufgeladen worden. Sie selber ist das beste Beispiel dafür.

Das tanz ist Festival geht am 17. und 18. Juni  mit Louise Lecavalier ins Finale: Die kanadische Tanz-Ikone agierte viele Jahre als Frontfrau der legendären Compagnie La La La Human Steps und wurde durch ihre Kollaborationen mit David Bowie und Frank Zappa auch jenseits der Tanz-Szene zum Star.
www.tanzist.at
www.spielboden.at

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