tanz ist Festival: Naishi Wang – Kommunikation und Emotion tänzerisch hinterfragt Peter Füssl · Jun 2023 · Tanz

Mit der Duo-Produktion „Face to Face“ von Naishi Wang ging der Kanada-Schwerpunkt beim diesjährigen tanz ist Festival am gut besuchten Dornbirner Spielboden in die zweite Woche. Der aus China stammende Choreograph und Tänzer hinterfragt in diesem konzeptuell angelegten Tanzstück die zeitgemäßen Formen der Kommunikation und deren Zusammenhang mit Emotion und Authentizität. Roberto Soria musste Wangs üblichen Duett-Partner Lukas Malkowski kurzfristig ersetzen und meisterte diese Herausforderung souverän.

Exzellentes Tanz-Duo

Gelungene Kommunikation und Nicht-Kommunikation (gibt es die überhaupt?), Kommunikationsverweigerung, Ambivalenz oder kommunikative Missverständnisse mit Mitteln von Mimik, Gestik und Körpersprache tänzerisch darzustellen, dabei auch noch die damit verbundenen Fragen zu Emotion und Authentizität aufzuwerfen – aus diesen Themenkreisen ließe sich eine ganz schön komplexe und schwer verdauliche Tanzproduktion generieren. „Face to Face“ bietet aber 55 Minuten Spannung, tiefgründige Auseinandersetzung und Humor.

Das ist zuallererst den beiden Tänzern zu verdanken. Naishi Wang wurde in China geboren, ist dort an der Jilin Kunsthochschule in seiner Heimatstadt Changchun in diversen Kampfkunststilen und Volkstanz ausgebildet worden, und kam erst nach seinem Umzug nach Kanada im Jahr 2004 am Toronto Dance Theatre mit zeitgenössischem Tanz in Berührung. Seit 2015 arbeitet er als freier Tänzer und Choreograph an abendfüllenden Produktionen. Roberto Soria kommt ebenfalls aus demselben Stall, dem Toronto Dance Theatre, wo er aktuell Ensemblemitglied ist. Er hatte nur 14 Tage Zeit, den nicht ganz einfachen Part zu lernen, wie er im an die Aufführung anschließenden Künstlergespräch erzählte. Umso bemerkenswerter ist seine großartige Leistung.

Annäherung und Entfernung, synchrone und asynchrone Bewegungen, Blickkontakt und Vermeiden desselben (etwa in dem man die Arme vor das Gesicht hält), sich aneinander reiben, Berührung und bewusste Distanz suchen, umarmen und loslassen, Kontaktaufnahme und Finger, die in die falsche Richtung weisen, Harmonie und Disharmonie, sich anlächeln und ignorieren. In Duett-Form werden – oftmals im Zeitlupentempo – eine Vielzahl an möglichen Kommunikationsformen abgeklopft. Bis hin zum totalen Erstarren, aber bedeutet das auch schon das Ende der Kommunikation? Kann Kommunikation überhaupt beendet werden, oder ist Nichtkommunikation einfach eine andere Form von Kommunikation? Im Hintergrund dazu laufen meist sehr dezent elektronische Klänge – einmal mehr, einmal weniger rhythmisiert.

Die Akteure geben Laute von sich, machen Body-Percussion, beginnen zu singen. Immer rhythmischer, immer lauter. Das markiert die witzigste Phase des Abends. Roberto Soria schmettert ein Lied. Sie beginnen zu wippen, ausgelassen zu tanzen, zeigen mit den Fingern aufeinander.  Das Ganze steigert sich zu grotesker Mimik, der Emojis als Vorbild dienen, und zu exaltierten Bewegungen. Sie wirken wie Betrunkene, denen die Gliedmaßen nicht mehr richtig gehorchen, scheinen im Stehen zu schlafen, den Kopf jeweils auf die Schulter des Gegenübers hingelegt. Arme und Beine wandeln sich plötzlich in Gummi um, Muskeln und Sehnen versagen ihre Dienste. Man bewegt sich im Stehen, im Sitzen und in der Horizontalen aufeinander zu und voneinander weg. Man spiegelt sich und verliert sich in Disparatem. All das ist natürlich von den entsprechenden Emotionen begleitet.

Minimalistische, aber sehr effektive Bühnenelemente

Naishi Wang arbeitet auch multimedial mit Film und Fotografie. Gleich am Anfang wird auf eine gegenüber der Zuschauertribüne hinter der Bühne liegende, weiße Rückwand ein Video projiziert, auf dem sich die leere Tribüne des Spielbodens widerspiegelt – einzig zwei Stühle sind von den beiden Tänzern besetzt, die über die Bühne hinweg ins Publikum zu schauen scheinen. Sie sind real, aber nur im Film. Die Kommunikationsrichtung wird umgedreht – und doch auch wieder nicht. Ein faszinierendes Spiel, das sich in einer Variante wiederholt. In einer späteren Szene verlässt Naishi Wang die Bühne, ist aber in Lebensgröße tanzend auf der Videowand zu sehen. Roberto Soria versucht, seine Bewegungen aufzunehmen, sich ihm anzugleichen, in Kontakt zu treten – aber eben nicht mit der realen Person, sondern mit deren gefilmtem Abbild.

Auf der Bühne stehen nur zwei pultartige weiße Elemente, die aus jeweils zwei übereinandergestapelten Tischen bestehen. Auch deren Flächen dienen als Projektionsebenen, unter anderem für die Zurschaustellung einer ganzen Reihe unterschiedlichster Grimassen, in denen sich die beiden Tänzer die heute so im Schwange befindlichen Emojis als Vorbilder genommen haben. Die realen und die digitalen Kommunikationsebenen überlagern sich in „Face to Face“ häufig auf sehr reizvolle Weise.

Zärtliche Geste am Ende

Die Tänzer stehen mehrere Meter voneinander entfernt, zeigen mit den Händen, aber in falsche Richtungen. Endlich gehen sie doch aufeinander zu, die Arme nähern sich und die Hände kriegen sich schließlich zu fassen. Auf das ausgiebige Shakehands folgt ein eigenartiges Begrüßungsritual. Aber auch das ist nicht von Dauer, sondern geht in ein Bild über, in dem die beiden Körper sich drehen und verrenken und schließlich – sich in konvulsivischen Zuckungen windend – am Boden zu liegen kommen. Die Körper scheinen sich zu verselbständigen, und doch kriechen die Akteure zitternd aufeinander zu und umarmen sich schließlich. Eine zärtliche Geste am Ende eines wirklich starken Stückes, das für Tänzer und Publikum auf spannende Weise Unmengen an Herausforderungen bietet.

tanz ist Finale am Fr, 16.6./Sa, 17.6.2023
Großer Saal, 20.30 Uhr: Mélanie Demers – „Icône Pop“
Galerie Krafthaus, ca. 21.15 Uhr: Be Heintzman Hope – „Switch (meditations on crying)“, Filmversion
www.tanzist.at

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