Takase/Erdmanns witzig-virtuoses Spiel zwischen Jazz-Geschichte und Avantgarde
Die grandiosen musikalischen Erkundungen des renommierten Duos begeisterten in der Villa Falkenhorst in Thüringen
Peter Füssl ·
Apr 2025 · Musik
Die aus Japan stammende und seit 1987 in Berlin lebende Pianistin und Komponistin Aki Takase fasziniert schon seit Langem wegen ihrer außerordentlichen Fähigkeit, die zeitgemäße Erkundung der Jazz-Historie mit ihrer avantgardistischen Experimentierlust zu verbinden. Und das nicht sonderlich gedankenschwer, sondern wohltuend humorvoll. Dafür hat die topfitte 77-Jährige in dem um eine Generation jüngeren, aus Wolfsburg stammenden und im französischen Reims lebenden Saxophonisten Daniel Erdmann, der in den 1990-ern auch mal ihr Student an der Hochschule für Musik Hanns Eisler Berlin war, den idealen Partner gefunden.
Vorliebe für Duo-Produktionen und zentrale Jazz-Legenden
Rund 60, zum Teil mit renommierten Preisen ausgezeichnete Alben dokumentieren die schillernde, schon seit mehr als vier Jahrzehnten andauernde Karriere Aki Takases. Dabei machen exzellente Duo-Projekte mit Maria João, David Murray, Han Bennink, Louis Sclavis, Rudi Mahall, Silke Eberhard, Lauren Newton oder ihrem Mann Alex von Schlippenbach – um nur einige herausragende zu nennen – einen wesentlichen Teil von Aki Takases facettenreichem Schaffen aus. Eine wesentliche Inspirationsquelle für ihren sowohl Elemente der Jazz-Historie als auch die Errungenschaften der Avantgarde integrierenden Piano-Stil ist die Konzentration auf zentrale und wegweisende Jazz-Lichtgestalten wie etwa W. C. Handy, Fats Waller, Jelly Roll Morton, Eric Dolphy, Thelonious Monk oder Ornette Coleman, denen sie mitunter ganze Projekte widmete. So auch Duke Ellington, mit dem sie sich schon 1990 im Duo mit dem Saxophonisten Gunther Klatt auf dem Album „Ballads of Duke Ellington“ und 2013 auf dem Solo-Album „My Ellington“ ausführlich auseinandersetzte, ehe sie schließlich 2024 gemeinsam mit Daniel Erdmann das Duo-Album „Ellington“ veröffentlichte.
Duke Ellington, Juan Tizol, Charles Mingus ...
Die Beschäftigung mit dem „Duke“ ist also so etwas wie ein Dauerbrenner im musikalischen Leben von Aki Takase, und es ist wohl ihrer Experimentierlust und ihrem abenteuerlichen Gestaltungswillen zu verdanken, dass niemals auch nur ein Gedanken an so etwas wie „Routine“ aufkommt. Im Gegenteil, man will sich wechselseitig überraschen. Das passt auch perfekt zum übrigen Oeuvre von Daniel Erdmann, der selber etwa mit dem erfolgreichen Impro-Trio „Das Kapital“ (mit Gitarrist Hasse Poulsen und Drummer Edward Perraud) seit mehr als 20 Jahren und mit Daniel Erdmann’s Velvet Revolution (mit Geiger Théo Ceccaldi und Vibraphonist Jim Hart) schon seit zehn Jahren immer wieder zu neuen kreativen Höhepunkten findet – unter anderem bei den Bezau Beatz 2023 und 2024.
Den 1936 vom puertoricanischen Ellington Orchestra-Posaunisten Juan Tizol komponierten und von Erdmann arrangierten Evergreen „Caravan“ kombinierte das Duo mit der Erdmann-Komposition „An jeder Kreuzung liegt eine Erinnerung begraben“, die seinem Fahrlehrer gewidmet sei, wie er erzählte. Die ultrarasant gespielte, mit wilden Akkorden unterlegte „Caravan“-Melodie wurde abrupt heruntergebremst und ging nach einer Phase wilder improvisatorischer Bocksprünge mit Clustern und röhrendem Sax in eine an Nightclub-Stimmung erinnernde Bluesform über, ehe die bekannte Melodie zum Finale führte. Auch die 1962 von Ellington komponierte „African Flower“ zerpflückt Takase in ihrem Arrangement nach allen Regeln der Kunst und lotet sie rhythmisch und harmonisch in alle Richtungen aus, ohne sie ihrer schönen melodischen Komponenten zu berauben. Takase und Erdmann nahmen sich zwischendurch immer wieder Zeit, um die Titel anzukündigen und sorgten mit Charme und Witz für beste Unterhaltung. Das Pärchen würde sich auch auf einer Comedy-Bühne nicht schlecht machen. Plötzlich hatten beide riesige Sonnenbrillen auf der Nase, um „I’m Beginning to See a Strange Light“ zu spielen, zu dem sich Erdmann von Ellingtons ungemein populären Song „I’m Beginning to See The Light“ aus dem Jahr 1944 inspirieren ließ. Nach einem gemächlichen Start nahm das Stück kurz fast schon Vaudville-Charakter an, ehe das Tempo wieder stark anzog und Piano und Tenorsax in einen quirligen, sich zu höchster Intensität steigernden Dialog traten, was schließlich wieder zu einem geruhsamen Outro führte.
Die melancholische Ballade„Duke Ellington’s Sound of Love“, 1974 von Charles Mingus als wundervolle Hommage an seinen ehemaligen Chef geschrieben, interpretierten Takase und Erdmann gemeinsam auf der Klavierbank sitzend – ein Bild für Götter, mit kräftigen Pianoakkorden und einem zum Dahinschmelzen schönen Tenorsax als Soundtrack. Das swingende Kleinod „I Let a Song Go Out of My Heart“, ein Number-One-Hit des Ellington Orchestras in Jahr 1938, brachte das Duo nach witzigen Piano-Sopransax-Verschränkungen gesungengerweise zu Ende.
... und jeder Menge Eigenkompositionen
Sind alle bisher erwähnten Titel auf dem zweiten Album des Duos namens „Ellington“ zu finden, so spielten sie auch zwei Songs von ihrem ersten gemeinsamen Duo-Album „Isn’t It Romantic?“. Die nach einem Gedicht von Tim Burton benannte Erdmann-Komposition „Voodoo Girl“ brillierte mit einer Menge an Ideen, die bei anderen für ein ganzes Album reichen würde – zumal sich Aki Takase voll ins Zeug legte und die mit Swing-Momenten aufgepeppte, flotte Unisono-Melodie lustvoll zerlegte und höchst impulsiv bis an den Rande der Kenntlichkeit abstrahierte, ehe das Ganze dramatisch an Fahrt aufnahm, wobei die Diskrepanz zwischen Erdmanns warmem Tenorsax-Ton und Takases wilder, freier, durchaus kantig klingender Coolness besonders reizvoll war.
Nicht weniger abwechslungsreich verlief Aki Takases der mexikanischen Malerin Frida Kahlo gewidmete Komposition „Festa Magdalena“, die mehrfach ihren Charakter wechselte und zwischen elegischen Momenten und suchenden Soundexkursionen oszillierte – wobei Erdmanns auf dem Sopran-Sax intonierte Melodie wie ein ländliches Traditional klang.
Aki Takase und Daniel Erdmann hatten auch brandneues Material für ein im Entstehen begriffenes drittes Album im Gepäck. Erdmann wollte die Noten vom Laptop ablesen und meinte schließlich, er habe seine Brille vergessen und müsse auf volles Risiko spielen. Da die Stücke bislang unveröffentlicht seien und niemand im Publikum wisse, wie sie gespielt werden sollten, sei das Ganze aber wohl nicht sooo problematisch. Seine „18 Phasen eines Liebeslebens“ gestalteten sich jedenfalls höchst abwechslungsreich zwischen extremem Stop-and-Go, Luftstromgeräuschen und explosiven Breaks. Der Mensch habe nur zwei Augen, der Wind hingegen habe viele, erklärte Aki Takase einleitend zu ihrer Komposition „Eyes of Wind“, das den vielen Augen entsprechend durch eine Vielzahl an melodischen, harmonischen und rhythmischen Ideen – vom wilden Sturm bis zur sanften Brise – charakterisiert war.
„Anita Keckeis – 20 Jahre Spitzenbegegnungen“
Ermöglicht wurden dieses Top-Konzert durch die persönliche Freundschaft zwischen Aki Takase und Anita Keckeis, deren Ausstellung „20 Jahre Spitzenbegegnungen“ noch bis 13. April jeweils am Sonntag von 15 bis 18 Uhr, sowie während der Veranstaltungen in der Villa Falkenhorst in Thüringen zu sehen ist. Zu den „Spitzenbegegnungen“ zählen die renommierte Fotografin Karin Székessy, die Strickdesignerin Lilli Mendelssohn, der Keramikkünstler Frank Schillo, der Fotograf Christian Söhnel – und eben auch Aki Takase. Solche Spitzen-Konzerte als akustisches Glanzlicht darf man sich durchaus auf für andere Ausstellungen im Lande überlegen.