Sissoko Segal Parisien Peirani: Les Égarés Peter Füssl · Apr 2023 · CD-Tipp

Akkordeonist Vincent Peirani und Sopransaxophonist Emile Parisien zählen zur Crème de la Crème der zeitgenössischen französischen Jazz-Szene und zu den Top-Künstlern des Münchner ACT-Labels, wo sie in den vergangenen zehn Jahren im Duo („Belle Époque“, 2014; „Abrazo“, 2020) und in unterschiedlichsten Ensembles zahlreiche exzellente Alben veröffentlicht haben. Gemeinsam ist ihnen neben ihrem virtuosen Können auch ihre musikalische Neugierde, die sie jenseits aller musikalischen Genre-Grenzen genussvoll ausleben.

Auf dieselbe Weise lässt sich auch das zweite Musikerpaar, der aus Mali stammende Kora-Großmeister Ballaké Sissoko und der französische Cellist Vincent Ségal charakterisieren, deren Wege sich ebenfalls nicht nur für Duo-Projekte („Chamber Music“, 2009; „Musique de Nuit“, 2015) immer wieder kreuzen. 2019 traf dann dieser exquisite Vierer im Rahmen des renommierten Musikfestivals „Les Nuits de Fourvière“ in Lyon erstmals aufeinander, wo sich beim gemeinsamen Jammen spontan ein höchst zufriedenstellendes Gruppen-Feeling einstellte, wie Peirani erzählt: „Keiner von uns hat etwas ‚vorgeführt‘, sodass die Musik viel kommuniziert, ohne dass man sie je ‚erzählen‘ muss. Keiner von uns besaß die Wahrheit vorher: Wir haben sie nur gemeinsam gefunden.“ Diese Lust am gemeinsamen, kreativen Musizieren war auch prägend für die Studioaufnahmen, zu denen alle Beteiligten ihre Kompositionsideen mitbrachten, die dann in einer akustischen Live-Umgebung vom Quartett weiterentwickelt und in eine endgültige Form gebracht wurden. Tief in der Tradition der westafrikanischen Mandika verwurzelt sind die beiden von Ballaké Sissoko beigesteuerten Stücke „Ta Nyé“ und „Banja“, wobei letzteres viel Raum für ein expressives Sax-Solo bietet. „Dou“ aus Emile Parisiens Feder lässt wiederum Sissokos Stegharfe eine Mischung aus fernöstlicher und afrikanischer Stimmung zaubern. Vincent Peiranis „Izao“ mäandert gut acht Minuten lang melodienstark durch diverse vorderasiatische Soundlandschaften, während sein „Nomad’s Sky“ mit durchaus spannungsgeladener Atmosphäre gefangen nimmt. Vincent Segals Cello übernimmt öfters die Funktion eines akustischen Basses, etwa auch in seinem tranceartigen, nach einem altägyptischen Vizekönig betitelten „Amenhotep“. Ebenfalls aus seiner Feder stammen das Titelstück „La Chanson des Égarés“ – keineswegs ein Klagelied Verlorener, sondern ein zügig vorangaloppierender Stimmungsmacher – und „Time Bum“, das er schon einmal mit seinem Electronic-Projekt Bumcello veröffentlichte. Zwei Fremdkompositionen fügen sich nahtlos in den musikalischen Reigen ein: der tänzelnde Ohrwurm „Esperanza“ des französischen Akkordeonisten Marc Perrone und Joe Zawinuls energiegeladen dahindonnernder „Orient Express“. Vier großartige Individualisten, die sich uneitel aufs musikalische Kommunizieren konzentrieren und wechselseitig ins Rampenlicht rücken – was will man mehr?

(ACT)

 

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