Simin Tander: The Wind Peter Füssl · Apr 2025 · CD-Tipp
„I am the wind“ singt die aus Köln stammende Ausnahme-Vokalistin Simin Tander einmal auf ihrem neuen Album, was man als Hinweis darauf verstehen darf, dass sie wie der ewig wehende Wind die unterschiedlichsten Traditionen, Kulturen und Epochen miteinander verbinden will. Wie gut sie das kann, hat sie bereits mit ihren hervorragenden Alben „Where Water Travels Home“ (2o14) und „Unfading“ (2020), sowie mit dem im Trio mit Pianist Tord Gustavsen und Drummer Jarle Vespestad aufgenommenen, mit dem Preis der deutschen Schallplattenkritik ausgezeichneten ECM-Album „What Was Said“ (2016) bewiesen.
Nun ist die 43-Jährige bei Bugge Wesseltofts experimentierfreudigem Osloer Label Jazzland Recordings gelandet, und das mit einer außergewöhnlichen Band, bestehend aus dem aus Stockholm stammenden und in der Schweiz lebenden Björn Meyer am sechssaitigen E-Bass, dem eidgenössischen Drummer Samuel Rohrer und der indischen, in Oslo stationierten Geigerin Harpreet Bansal, die tief in der Raga-Tradition verwurzelt ist und sich von Jazz und zeitgenössischer Klassik inspirieren lässt. Der Opener „Meena“ beginnt mit einem extrem tiefen Bassbrummen, über das Bansal auf ihrer aus dem Jahr 1690 stammenden Giovanni Battista Rogeri-Geige eine orientalisch angehauchte, melancholische Melodielinie legt, die Rohrer mit wuchtigen Trommelschlägen untermauert. Das erste von zwölf wundervollen Klanggemälden, das durch Simin Tanders ausdrucksstarke Stimme seine kraftvolle Wirkung und Vollendung findet. Die Tochter eines frühverstorbenen afghanischen Journalisten und einer deutschen Lehrerin singt hier im 17. Jahrhundert verfasste Lyrics auf Paschtu – also in jener Sprache, die sie erst als Erwachsene erlernte, um ihren Roots nachzuforschen. Aus derselben Region stammt auch das elektrisierend arrangierte, traditionelle Liebeslied „Janana Sta Yama“ und das meditative, auf einem Gedicht des zeitgenössischen Paschtu-Lyrikers Hamza Baba basierende „Jongarra“. Die rhythmisch gefühlvoll untermauerte, wundervolle Kombination aus Geige und Stimme macht aber auch Songs aus ganz anderen Traditionen zum Erlebnis.
Das sehr populäre, 1900 von Russo/Di Capua/Mazzucchi verfasste neapolitanische Liebeslied „I te vurria vasà“ wird von Rohrers Electronics eingestimmt (später wird er sich auch anlässlich einer Reminiszenz an dieses Stück als ausgesprochen einfallsreicher Soundtüftler erweisen) und präsentiert in einem sehr reduzierten Arrangement Tanders Stimme in einem spannenden Reibungsverhältnis zu Bansals Violine auf einem emotionalen Höhepunkt. Gleichermaßen zu eigen macht sie sich aber auch das spanische Traditional aus dem 16. Jahrhundert „Ay Linda Amiga“, oder das als quicklebendige Spoken-Word-Performance inszenierte Gedicht „Nursling of the Sky“ des englischen Romantikers Percy Bysshe Shelley. Ein wahres, Bass-fundiertes Groove-Monster ist „Side Caught“ mit Lyrics von Brooke Sharkey, und von ihrer Zusammenarbeit mit Tord Gustavsen her kennt Tander das in ihrer Version extrem unter die Haut gehende, norwegische Traditional „Jesus, Gjør Meg Stille“. Unter Simin Tanders Eigenkompositionen finden sich das den Schwebezustand zwischen Traum und Wachsein höchst intensiv und in elektronisch generierter Mehrstimmigkeit auslotende „Woken Dream“, und das reizvoll verlangsamte und so eine ungewohnte dramatische Wirkung erzielende „The Wind Within Her“. Wenn man dann beim 12. Stück angelangt ist, dem „Outro – The Wind“, hat man eine außergewöhnlich erlebnisreiche, musikalische Reise hinter sich, die nur eines zulässt: umgehend die Repeat-Taste zu drücken. (Jazzland Recordings)
Konzerttipps: 8.4. Auferstehungskirche München
Dieser Artikel ist bereits in der Print-Ausgabe der KULTUR April 2025 erschienen. Hier geht es zum E-Paper.