Schneeberger & Bakancic Quartett: „Avanti Avanti“ Peter Füssl · Sep 2023 · CD-Tipp

Avanti, avanti! – wie sollte man sich der im Album-eröffnenden Titelsong inkludierten Aufforderung, sich unverzügliche ins musikalische Vergnügen zu stürzen, widersetzen? Selbst wenn man es aus einem unerfindlichen Grund wollte, ist dieser Musik-Mix viel zu mitreißend musiziert, er findet den Weg gleichermaßen leicht in die Gehörgänge wie in die Zehenspitzen und lässt folglich das Stimmungsbarometer in Sekundenschnelle in die Höhe schnellen. Also ergeben wir uns doch lieber gleich ganz freiwillig dem umwerfenden Charme, der lässigen Eleganz und der wohltuenden Leichtigkeit dieser zehn je zur Hälfte von den beiden Bandleadern, dem Gitarristen Diknu Schneeberger und dem Akkordeonisten Christian Bakanic, komponierten Songs.

Der einer Sinti-Familie entstammende Saitenzauberer erhielt schon als 16-Jähriger den Hans-Koller-Preis als „Talent des Jahres“ und hat sich als mittlerweile 33-Jähriger längst in die erste Liga der Gipsy-Jazz-Artisten gespielt. Sein „Abundancia“ – spanisch für „Überfluss“ – beschert uns ebendiesen in einer stimmungsvollen Kombination aus Flamenco und Tango. Der gemeinsam mit seinem ehemaligen Gitarrenlehrer Martin Spitzer geschriebene „Swing de Vienne“ ist eine gutgelaunte Gipsy-Jazz-Nummer im Geiste Django Reinharts und hätte einen wundervollen Soundtrack für einen der „Monsieur Hulot“-Filme Jacques Tatis abgegeben. Schneeberger lässt uns aber auch ein wenig ins Familienleben blicken: Das Funk-infizierte „Herz entflammt“ schildert seine Gefühle bei der Geburt seines Sohnes, seine Tochter hat er zur herzerwärmenden Melodie von „Yuna“ im Rumba-Rhythmus in den Schlaf gesungen. Dafür hätte sich auch „Lotusblatt“ sicher ganz hervorragend geeignet, das sechs Minuten lang musikalisch hochgradige Entspannung bietet. Nie lässt der Gitarrist seine beeindruckende Fingerfertigkeit zur virtuosen Selbstbeweihräucherung verkommen, stets wirkt sein Spiel beseelt – im besten Sinne des Wortes. Diese Haltung verbindet Schneeberger wohl auch ganz besonders mit dem zehn Jahre älteren Christian Bakanic, der auf dem Akkordeon und der Steirischen Harmonika hierzulande und darüber hinaus in Sachen Jazz, Neue Volksmusik und World-Music einen exzellenten Ruf genießt. Er lebt schon lange in Graz, stammt aber aus dem Südburgenland und blickt dort mit uns von einem Hügel auf die Pannonische Tiefebene nach Ungarn, was ihn zum an Stimmungen reichen Klanggemälde „Pannonia“ inspiriert hat. Ebenso wie beim bereits erwähnten Titelstück „Avanti, avanti“ wird man auch bei „Vatra“ von der ansteckenden Rasanz mitgerissen. Der träumerisch-verspielte „Valse pour Louise“ ist seiner Tochter gewidmet, und „River Tales“ ist eine schimmernde Mischung aus österreichischer Volksmusik und französischer Musette, wie sie wohl nur Bakanic mit dieser Leichtigkeit herzaubern kann. Schneeberger und Bakanic scheinen sich mit exzellenten Soli wechselseitig anzuspornen und harmonieren als musikalische Brüder im Geiste, perfekt unterstützt von Rhythmusgitarrist Julian Wohlmuth und dem aus Vorarlberg stammenden und in Wien lebenden Kontrabassisten Martin Heinzle – beide spielen auch schon seit drei Jahren im Diknu Schneeberger Trio. Diese Musik verzichtet auf schroffe Ecken und Kanten, auf verblüffende Wendungen, experimentelle Herausforderungen und intellektuelle Anforderungen. Sie ist „nur“ getragen von wunderschönen Melodien, herzerwärmenden Stimmungen und Harmonien, die ihren Namen verdienen. In Zeiten wie diesen ein wundervolles Hilfsmittel zu eskapistischen Zwecken!

(Preiser Records)

Dieser Artikel ist bereits in der Print-Ausgabe der KULTUR September 2023 erschienen.

 

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