Schlossmediale Werdenberg – wenn Klänge unter die Haut kriechen
Bei der Schlossmediale Werdenberg hat eine neue Ära begonnen. Das haben die Eröffnungstage deutlich gemacht. Der künstlerische Leiter Pascal Viglino setzt auf Interdisziplinarität – sowohl bezüglich der Musikstile als auch mit dem Einbau der bildenden Kunst. Musik ist bei ihm nicht nur eine Komposition von Tönen, sondern eine Kreation von bisher nie gehörten Klängen. Sie werden im wahrsten Sinne „ausgepackt“ – so auch das Motto des diesjährigen Festivals, das noch bis Samstag, den 28. Juni dauert.
Im Mittelpunkt von Pascal Viglinos Programm stehen Boxen mit Inhalten – dabei ist auch mal ein Zimmer eine Box, die ein Geheimnis birgt. Das Programm „A Box in a Box in a Box“ dauert nur 15 Minuten und ist doch prototypisch für diese Schlossmediale. Die erste Box ist ein geheimes Zimmer im Schloss, in diesem warten weitere Boxen. Dafür hat der Tischler Adam Stewart das gesamte Schloss verschachtelt als Miniatur nachgebaut. Die Perkussionistin Anja Füsti packte es vor einem Publikum von jeweils fünf Personen aus. Oft war in einer Box dann noch eine Box und in dieser ein unbekannter Inhalt, mit dem sich Klänge erzeugen ließen. Das kann ein Schlüssel sein, oder ein winziger Messingkrug, aber auch Steine gehören dazu – alles wurde hörbar gemacht. Es ist die achtsame Stille, aus der die Klänge geboren werden und sich den aufmerksamen Ohren des Publikums-offenbarten. Am Schluss öffnete die Künstlerin das Fenster und schon kam eine Flut von Geräuschen und Farben in den Raum und ließ noch einmal an die wundersame Stille von eben denken.
Von überall her klingt es im Städtchen
Pascal Viglino genügt das Schloss als Spielstätte aber nicht, er hat das ganze Städtchen Werdenberg miteinbezogen und lud am Tag danach zu einem „Klangbummel“ ein. Das Publikum durfte ins Innere der alten Häuser kriechen, kletterte über winzige Holztreppen, stieg in Keller ein und fand überall musikalische Schätze. In einer verborgenen Gartenlaube direkt am See saß Mirjam Fässler mit ihrer Barock-Gitarre und sang Schubert-Lieder, unter anderem aus „Fischers Liebesglück“ und der „Winterreise“. Ihr weicher Mezzosopran passte sich der romantischen Umgebung an und schuf so einen poetischen Ort der Idylle. Sanft war auch der Besuch in einem Garten am Hang, in dem der Österreicher Klaus Falschlunger auf seiner Sitar spielte und zu meditativen Minuten einlud. Das Publikum durfte aber auch aktiv tätig werden, so lud Fish im Museum Schlangenhaus dazu ein, seinen Namen auf Chinesisch auf ein Stück rotes Papier zu schreiben, das dann als Souvenir mitgenommen werden durfte. In einem kleinen Raum eines privaten Wohnhauses saß Alexandre Babel und entlockte seiner Klangtrommel ungewohnte Töne, die den niedrigen Raum belebten und zu vergrößern schienen. „Be water. Beware my friend“ schrieben Chung Shing Au und Carmen Lee mit einem Wischmopp auf die Straße im Städtle Werdenberg und schickte das Publikum damit auf eine frisch gemähte Wiese. Dort warteten die beiden mit einem großen Stück Plastik, das mithilfe von tatkräftigen Händen gehalten, mit Wasser gefüllt und in Bewegung gebracht wurde.
Kunst macht Politik sichtbar
Ein weiteres Highlight war die Performance „GPO Box No 211". Dabei wurde das Publikum im Rittersaal des Schlosses mit Papierknäueln empfangen, auf denen die Korrespondenz zweier Freunde zu lesen war. Der eine schrieb aus der Haft, der andere aus Freiheit. Darin hieß es zum Beispiel: „In deinem letzten Brief schriebst du, dass du den Mond seit dreieinhalb Jahren nicht gesehen hast. Ich habe nachgeschaut – an deinem Entlassungstag ist Vollmond. Vielleicht kannst du später einmal nach Amsterdam kommen?“ Grundlage der Performance von Chun Shing Au und Carmen Lee ist die Einstellung, dass zwar ein Körper eingesperrt werden kann, nicht aber ein Geist. Und so setzte sich der Künstler ein weißes Gebäude auf den Kopf, in und aus dem es leuchtete – zog ein riesiges Blatt Papier vom Stapel, schlang es um seinen Körper und ließ es so zu einem königlichen Gewand werden. Das alles ohne einen Ton – nur das Papier sprach, es knisterte und knirschte und jammerte, als es über den Holzboden gezogen wurde – es waren Klänge, die den Inhalt der Performance vertieften und für viele Publikumsohren in dieser Form bisher ungehört gewesen waren.
Ein Programm mit Überraschungen
Pascal Viglino meinte es gut und packte daher vieles in sein erstes Programm, um allen Interessierten etwas zu bieten. So lässt er am Dienstag, den 24. Juni um 19.30 Helena Winkelman und Wu Wie mit Violine und Sheng durch das Schloss ziehen – die beiden erhielten von ihm eine Carte Blanche. Dazu heißt es: „Ein freier Dialog zwischen Barockmusik und zeitgenössischer Kreation, zwischen Improvisation und fernöstlichen Klängen. Zwischen Überraschung und Offenbarung – eine Carte Blanche für Alle.“ Neu ist auch die Zusammenarbeit mit der Musikschule Werdenberg und der Primarschule Buchserbach, die jeweils am Freitag und am Samstag die Performance „In C“ aufführen werden, das Kultwerk des 89-jährigen Terry Riley. Die 35 Teilnehmenden aus allen Altersgruppen möchten das Schloss mit ihrer Energie zu einem bebenden Geschenkpaket verwandeln, bevor das Kinimode Quintet und seine Jazz-Folk-Fusion die diesjährige Schlossmediale wieder einpackt.
Festival Schlossmediale 2025
bis Sa, 28.6. in Werdenberg
https://schlossmediale.ch