Savina Yannatou / Primavera en Salonico / Lamia Bedioui: Watersong Peter Füssl · Mai 2025 · CD-Tipp

Die gleichermaßen vielseitige wie experimentierfreudige griechische Sängerin und Komponistin von Theater-, Film- und Tanztheater-Musik Savina Yannatou bewegt sich seit mehr als vier Jahrzehnten mit großem Erfolg im Spannungsfeld von Weltmusik, freier Improvisation, Zeitgenössischem und Alter Musik. Ihr Oeuvre umfasst rund 40 Alben, zu deren Glanzlichtern die nunmehr fünf seit 2003 erschienenen ECM-Produktionen mit dem kongenialen Instrumental-Ensemble Primavera en Salonico zählen.

Dessen künstlerischer Leiter Kostas Vomvolos, der auch Exzellentes auf dem Akkordeon und der zitherähnlichen, arabischen Qanun beisteuert, führt gemeinsam mit Harris Lambrakis (Rohrflöte Nay), Yannis Alexandris (Oud), Kyriakos Gouventas (Violine), Michalis Siganidis (Kontrabass) und Dine Doneff (Perkussion) ausgesprochen farbenreiche Arrangements von Traditionals aus unterschiedlichsten Regionen und Epochen zusammen. Dabei bleibt die eindrucksvolle Vielfalt erhalten und trotzdem wirkt alles wie aus einem Guss. Hier geht es nicht um Gesangsbegleitung, vielmehr potenzieren sich Stimmen und Instrumentales wechselseitig in ihrer Wirkung, verstärken die jeweiligen Emotionen und schaffen Atmosphäre. Die aus Tunesien stammende und schon lange in Griechenland lebende Sängerin Lamia Bedioui veredelt wie schon beim 2003-er Album „Terra Nostra“ einige Stücke mit ihrer ausdrucksstarken Stimme. Der rote Faden durch alle Stücke ist das Wasser mit all seinen segensreichen und zerstörerischen Qualitäten. Den Opener, das griechische Traditional „The Song of Klidonas“, gestalten Qanun, Nay, Violine und Yannatous betörend schöne Stimme zur sehnsuchtsvollen Ballade. Ebenso ausdrucksstark erscheint Bedioui im ägyptischen Traditional „Naanaa Algenina (Garden Mint)“ in der Rolle der sich nach ihrem Liebhaber sehnenden, aber schmählich verratenen Geliebten – erst solo, dann mit Yannatou im Duett. Ein Nay-Solo schafft die Verbindung zum nordmazedonischen „Ivana“, das von einem zwielichtigen Verführer handelt, der durch einen wilden, frei improvisierten Ausbruch aller Beteiligten treffend charakterisiert wird. Im aus dem Spanien des 16. Jahrhunderts stammenden Klagelied „A los baños del amor (At the Baths of Love)“ leiht Yannatou einer verlassenen Geliebten ihre klare und unter die Haut gehende Stimme, während sie im beschwingten thrakischen Traditional "Perperouna“ den Regengott gütig stimmen will, damit das Korn sprießen möge – was schließlich ganz schön orgiastische Züge annimmt.


 

 


Engelhaft wirkt Yannatous Stimme hingegen im kalabrischen „Con qué la lavaré? (With What Shall I Wash It?)“, wohingegen Lamia Bedioui im süditalienischen „Sia maledetta l’aqua (Cursed be the Water)“ durchaus kraftvoll das Wasser verflucht, das ihren Topf zerschlagen hat. Das auf einem tausend Jahre alten Gedicht des arabischen Prinzen Abu Firas al-Hamdani basierende „Mawal (To the Mourning Dove, I Said)“ beginnt mit einer gesprochenen Passage und endet – von dramatischen Trommelklängen unterlegt – als höchst expressiver Gesang. Beschwingte, tänzerische Klänge bietet das kleinasiatische Traditional „The Immortal Water“, ehe Yannatou das geographische Spektrum um gänzlich andere Gefilde erweitert. Zuerst in Shakepeares England, aus dessen Drama „Der Sturm“ sie das von Robert Johnson im 17. Jahrhundert komponierte Lied „Full Fathom Five“ des Luftgeistes Ariel ziemlich frei interpretiert. Dabei inszeniert sie gespenstisch die am Meeresgrund vollzogene magische Verwandlung von Tod in Schönheit zu den von Dine Doneff mit einem Bogen auf dem Waterphone gezauberten Obertönen. Das nicht weniger geisterhaft wirkende „An Ròn (The Seal)“ lädt zu einem kleinen Abstecher nach Irland ein, während sich das korsische „O onda (O Wave)“ als düsterer Klagegesang über die Unberechenbarkeit des Meeres erweist. Zum Abschluss dieser abwechslungsreichen imaginären Reise wird das bekannte afroamerikanische Spiritual „Wade in the Water“ mit dem ägyptischen Traditional „Allah Musau (Gott des Moses)“ gekoppelt, und die Stimmen der beiden Sängerinnen treffen nochmals wirkungsvoll aufeinander – auf Abrabisch, Griechisch und Englisch singend, bluesig, scattend, archaisch, sich mit virtuoser Hilfe von Primavera en Salonico zum dramatischen Höhepunkt emporschraubend. Besser lassen sich die respektvolle Pflege der musikalischen Tradition und deren zeitgemäße, durchaus experimentierfreudige Erneuerung nicht realisieren!

(ECM/Universal)

Dieser Artikel ist bereits in der Print-Ausgabe der „KULTUR" Juni 2025 erschienen. Hier geht es zum E-Paper.

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