Reizvolle Aussichten und neue Herausforderungen
Direktor Andreas Rudigier verlässt das vorarlberg museum
Raffaela Rudigier · Mai 2023 · Aktuell

„Wir sind Tirol“ heißt die Sommerausstellung des vorarlberg museums, und das hat der nun scheidende Direktor des vorarlberg museums, Andreas Rudigier, wohl wortwörtlich genommen, denn er verlässt das Museum überraschenderweise nach 12 Jahren und arbeitet bereits ab 1. Dezember dieses Jahres in Innsbruck. Dort übernimmt er einen der Top-Jobs im Kulturbetrieb West-Österreichs: die Geschäftsführung der Tiroler Landesmuseen (TLM) mit den fünf Standorten Ferdinandeum, Zeughaus, Tiroler Volkskunstmuseum mit Hofkirche und Tirol Panorama mit Kaiserjägermuseum.

Rudigier verlässt das vorarlberg museum vor Ablauf seines Vertrags, der noch bis 2026 laufen würde. In Vorarlberg hat sich der 58-jährige Kunsthistoriker und Jurist längst einen guten Namen durch seine innovative und offene Museumsarbeit gemacht. Dementsprechend schade finden viele seinen Abgang. Bei seiner neuen Tätigkeit in Innsbruck erwarten ihn museale Großaufgaben, wie die KULTUR im Gespräch mit Andreas Rudigier erörtert.

Kultur: Wie kommt es zu Ihrem, für viele überraschenden Schritt, das vorarlberg museum vorzeitig zu verlassen?
Andreas Rudigier: Das hat mehrere Gründe. An allererster Stelle steht sicherlich die Aufgabe in Innsbruck, die eine große reizvolle Herausforderung darstellt. Die Tiroler Landesmuseen besitzen eine der größten österreichischen Museumssammlungen, die Kunstgeschichte ist stark, ebenso die Volkskunde, herausragend ist auch die Musiksammlung, die Forschungen zur Naturkunde sind international beachtet, im Ferdinandeum befindet sich eine außergewöhnlich umfangreiche und öffentlich zugängliche Bibliothek, letztere beiden Bereiche werden übrigens von vorarlbergstämmigen Kollegen geleitet. Besonders interessant ist für mich die Nähe zur Universität, stehe ich doch schon seit 23 Jahren in vielen Projekten mit unterschiedlichsten Universitäten in Kooperation, aber räumlich war ich in meinem Beruf noch nie so nahe, wie das in Innsbruck sein wird. Was in Vorarlberg vielleicht nicht so viele mitbekommen haben, ist die Vergabe eines Exzellenzclusters an ein geisteswissenschaftliches Forschungsprojekt durch das Wissenschaftsministerium (Titel: „Kulturelles Erbe und historische Transformationsprozesse in globaler Perspektive“, Dotierung: 16 Millionen Euro, Laufzeit: 5 Jahre), das von einem unserer wichtigsten Partner und Freunde, Robert Rollinger vom Institut der Alten Geschichte und Altorientalistik in Innsbruck, im Kollektiv mit der Akademie der Wissenschaften und der Universität in Wien geleitet wird. Rollinger ist seit Jahren ein guter Partner des vorarlberg museums und der Montafoner Museen und wird künftig gerne mit den Tiroler Landesmuseen zusammenarbeiten. Eine weitere reizvolle Aussicht sind die seit zwei Jahren vorliegenden Ausbaupläne des Ferdinandeums. Sie stammen von Marte.Marte Architekten, ausgerechnet jenen Vorarlberger Architekten, die für den außergewöhnlichen Entwurf eines neuen Montafoner Heimatmuseums verantwortlich zeichneten, der 2011 in einer Volksbefragung in Schruns abgelehnt wurde. Der Kreis schließt sich für mich hier ähnlich wie bei der Tatsache, dass ich meine Dissertation bei Gert Ammann, Direktor des Ferdinandeums bis 2005, über einen Tiroler Barockbildhauer mit starken Vorarlbergbezügen verfasst habe.

Schockierte Kolleg:innen

Kultur: Haben Ihre Mitarbeiter:innen und Vorgesetzen von Ihren Plänen gewusst oder trifft das nun alle völlig unerwartet und bricht jetzt dementsprechend rege Betriebsamkeit aus – bis Dezember bleibt ja nicht mehr viel Zeit für die Ausschreibung ihres alten Postens samt Auswahlverfahren, Übergangs- und Einarbeitungszeit für eine Nachfolge?
Andreas Rudigier: Nein, ich war froh darüber, dass niemand darüber Bescheid wusste. Erstens konnte ich mir ja nicht sicher sein, die Stelle in Innsbruck zu bekommen und zweitens hätte ein transparenter Umgang damit für unnötige Unruhen gesorgt, vor allem wenn man bedenkt, dass der Prozess sehr lange gedauert hat, war doch die Bewerbungsfrist bereits am 15. Februar abgelaufen.
Ich möchte an dieser Stelle deutlich festhalten, dass mein Arbeitsplatz im vorarlberg museum nicht im Geringsten Anlass bot, das Weite zu suchen. Aber klar war und ist auch, dass mein Vertrag nur bis Anfang 2026 gelaufen wäre und natürlich aus heutiger Sicht keine Sicherheit bezüglich einer möglichen Vertragsverlängerung besteht. Die Unsicherheit ist insofern begründet, als dass in den vergangenen Jahren österreichweit keine einzige meiner Kolleginnen beziehungsweise kein einziger meiner Kollegen in Führungspositionen eine Verlängerung „in die Pension" erhalten haben. Ich darf hier an das Tiroler Landesmuseum, an die Kunsthalle in Niederösterreich, an das Joanneum in Graz oder an das Museum für Angewandte Kunst in Wien wie auch an das Kunsthistorische Museum erinnern, wo Sabine Haag ja nur deshalb wieder zum Zug kam, weil der neu bestimmte Direktor dann am Ende doch nicht wollte. Im Unterschied zu vielen anderen Kolleginnen und Kollegen habe ich auch keinen Beamtenstatus und damit auch kein Rückkehrrecht auf irgendeine Stelle. Sie wissen, dass ich eine junge Familie habe, und da kann es mir nicht egal sein, wie es um meine beruflichen Möglichkeiten steht.
Auch wenn meine Haltung diesbezüglich klar war, gebe ich zu, dass meine Kolleginnen und Kollegen in doch mehreren Fällen sehr schockiert waren, aber, ich denke, es gab nach meiner Erklärung dann rasch auch großes Verständnis. Die Suche nach einer neuen Leitung wird sicher rasch angegangen, eine hektische Betriebsamkeit ist dennoch nicht notwendig, steht doch das Programm für 2024 nicht nur fest, sondern befindet sich auch schon in Vorbereitung.

Rückblick auf 12 Jahre vorarlberg museum

Kultur: Sie waren 12 Jahre lang Direktor am vorarlberg museum. Worauf blicken Sie in dieser Zeit zurück?
Andreas Rudigier: Es gibt viele Dinge, die mir in den Sinn kommen, aber am meisten freut mich, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des vorarlberg museums in der deutschsprachigen Museumswelt sehr geschätzt werden, ganz einfach weil die Adresse vorarlberg museum einen guten Ruf hat. Ich kann mich gut an die ersten Gespräche 2011 erinnern, als genau der Umstand, das Landesmuseum würde nicht ernstgenommen, den Kolleginnen und Kollegen am meisten Sorge bereitete. Die Sache hat sich grundlegend geändert. Das Konzept des vorarlberg museums erhielt eine Special Commendation beim Europäischen Museumspreis 2015 in Glasgow (als das Amsterdamer Rijksmuseum den Hauptpreis bekam) und wurde 2016 mit dem Österreichischen Museumspreis ausgezeichnet. Die vielen Vortragseinladungen an das Team des vorarlberg museums in Österreich und überhaupt in der deutschsprachigen Museumswelt sprechen ein deutliches Urteil. Erfreulich ist, dass wir das Niveau auch über die Pandemie hinweg aufrechterhalten konnten, wie der Besucherinnenrekord von 2022 unter Beweis stellt.
Eine besondere Leistung des Teams des vorarlberg museums war die Neueröffnung 2013, bei der wir in Rekordzeit von etwa eineinhalb Jahren vier komplett neue Ausstellungen konzipieren mussten, die in der österreichischen Museumscommunity einen neuen Maßstab setzten. Das Nachrichtenmagazin „Profil“ erklärte die Ausstellungen des vorarlberg museums 2013 vor allen anderen Kunsthäusern (die üblicherweise gewinnen) zu den Ausstellungen des Jahres. Und in der Fachwelt erfuhr gerade die archäologische Ausstellung höchste Ehren und das Vorarlberg-Format „Making-of“ wurde zu einer der meist diskutierten Ausstellung im weiteren Umkreis.
Besonders stark war auch der Umstand, wie das vorarlberg museum die Pandemie meisterte, ein Elchtest für die Strategie und die Haltungen des Museums und meinerseits. Auch hier wurden wir immer wieder als Vorbild genannt. Hinter all dem steht und steckt ein großartiges Team, das beste, das man sich in der Museumswelt vorstellen kann und das ich jedenfalls sehr vermissen werde.

Intensives vergangenes Jahr

Kultur: Besonders das letzte Jahr hat es auch am vorarlberg museum aufgrund der knappen finanziellen Situation durch die lediglich geringe Erhöhung des Kulturbudgets in sich gehabt. Ausstellungen wurden verschoben oder abgesagt und der Gürtel musste insgesamt enger geschnallt werden. War das vergangene Jahr mit am herausforderndsten in ihrer Zeit an diesem Haus?
Andreas Rudigier: An erster Stelle steht zweifellos die Eröffnung des Museums 2013, manche Kolleg:innen sprachen von einem Himmelfahrtskommando und Landeshauptmann Markus Wallner meinte damals, ich hätte die Aufgabe übernommen, ein Flugzeug zu reparieren, das leider schon fliegt! Wir sind gut gelandet. Aber keine Frage, die Zeiten ändern sich und das Tempo ist rasant geworden, Pandemie, Krieg, Energiekrise, Inflation, Parallelgesellschaften, fehlende Räume, neue Arbeitsplatzdefinitionen, Vielfalt und Diversität, Digitalisierung, Künstliche Intelligenz und über allem der Klimawandel … da kann einem schon schnell man schwindelig werden. Wir können aber nicht alles der Politik hinwerfen und sagen, löst das für uns! Ich bin der festen Überzeugung, dass wir über unglaubliche Potenziale im Team verfügen, wir müssen – und damit meine ich nicht nur die Leitung, sondern auch die Kolleginnen und Kollegen selbst – und wir können da selbst viel schaffen. Inzwischen sind wir auf einem guten Weg, das Museum der nächsten Jahre wird wohl anders aussehen, als wir uns die letzten Jahre das gedacht haben. Eine lohnenswerte Aufgabe für jede Nachfolge.

Generalverdacht Compliance Verletzungen

Kultur: „Rückblickend kann ich sagen, dass von der Politik manchmal zu viel erwartet wird“, sagten Sie kürzlich in einem Interview in den „VN“. Was meinen Sie damit konkret?
Andreas Rudigier: Ja, da verweise ich auf das vorher Gesagte. Die Politik ist Teil der Gesellschaft, das könnten auch Sie oder ich sein. Mit anderen Worten, wir wären nicht besser aber sicher auch nicht schlechter. Also lautet der Schluss: Wir müssen die Dinge selbst in die Hand nehmen und nicht darauf warten, bis das jemand anderes für uns tut. Schwierig ist in diesem Zusammenhang, dass wir immer wieder im Generalverdacht von Compliance-Verletzungen stehen, wenn ich da so einzelnen unserer Aufsichtsorganen zuhöre. Dabei sind die Kolleginnen und Kollegen im Museum ein Vorbild an Haltung, die in Sachen Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Effizienz nicht zu übertreffen ist und auf welche die Landesverantwortlichen stolz sein dürfen.
Kultur: Welche Herausforderungen galt es in Ihrer Zeit als Direktor darüber hinaus zu bewältigen?
Andreas Rudigier: Die Leitung eines Hauses dieser Größenordnung bringt viele zwischenmenschliche Moderationen mit sich. Das ist nicht immer lustig. Aber wenn ich ehrlich bin, kann ich nicht viel aufzählen, was unüberwindbare Hürden darstellte, am Ende ist immer die größte Herausforderung, die vorhandenen Ressourcen mit den Möglichkeiten in Einklang zu bringen und nicht zu viel zu wollen. Letzteres konnte mir schon dann und wann passieren. Vor allem jenen Kolleg:innen, die hier das eine oder andere Mal über ihre Grenzen gingen, bin ich zu besonderem Dank verpflichtet.

Freudvolle Herausforderungen

Kultur: Als Leiter der Tiroler Landesmuseen übernehmen Sie einen der Top-Jobs im Kulturbetrieb West-Österreichs. Worauf freuen Sie sich dabei besonders?
Andreas Rudigier: Da gibt es vieles. Karl Berger, interimistischer Direktor der Tiroler Landesmuseen sprach von einer „Welle der Begeisterung“ im Team, als meine Bestellung bekanntgegeben wurde und auch das Land meldet mir erfreulicherweise sehr positive Rückmeldungen. Das ist schön und das steigert die Freude jedenfalls. Die Probleme im Ferdinandeum sind vielfältig und ermöglichen das Andenken grundsätzlicher Dinge, die ich für ein Museum im 21. Jahrhundert als notwendig erachte. Profil- und Markenbildung sind wichtige Ziele. Dazu gehört auch der Neubau beim Ferdinandeum, die Neukonzeption des Zeughauses (das bislang völlig unter Wert geschlagen wird) und Überlegungen zum Tirol Panorama, das ja ein grandioses Objekt ist, aber mit einer sehr kritisch betrachteten Ausstellung ergänzt ist. Inzwischen werden den Landesmuseen ständig neue Häuser zugeschanzt, wobei die Strukturen nicht klar sind. Zunächst das Kaiserjägermuseum, dann die Taxis-Galerie und zuletzt auch eine kleine naturkundliche Schau beim Alpenzoo und nun höre ich von der Römerstadt Aguntum (Osttirol) sowie ganz aktuell auch vom Freilichtmuseum in Kramsach, die Teil der Landesmuseen werden sollen. Die Breite an Themen gefällt mir persönlich sehr, aber es braucht da gute Lösungen, damit die Menschen in den Museen noch wissen, wo und für wen sie ihren Dienst tun.
Eine starke Geschichte ist auch der Gesamttiroler Anspruch der Tiroler Landesmuseen, der meinem steten Wunsch grenzüberschreitend arbeiten zu wollen, sehr entgegenkommt. Südtirol und Trentino waren im alten Ferdinandeum mitgedacht und politisch spielt diese Europaregion weiterhin eine wichtige Rolle. Da freue ich mich darauf, auch wenn ich nicht sicher bin, ob ich in fünf Jahren auch italienisch sprechen kann.

Tirol vs. Vorarlberg

Kultur: Worin werden in Zukunft die größten Unterschiede zu Ihrer jetzigen Tätigkeit bestehen?
Andreas Rudigier: Da habe ich schon einiges angesprochen. Auch wenn Sie jetzt vielleicht überrascht sind, aber ein sehr großer Unterschied liegt sicherlich in den im Vergleich zum vorarlberg museum nicht so weit entwickelten Rahmenbedingungen, die einem Betrieb des Jahres 2023 entsprechen sollten. Wenn ich Ihnen sage, dass im Ferdinandeum kein Homeoffice möglich war und ist, dann zeigt das schon die Schwierigkeiten. Die technischen Probleme im Ferdinandeum sind hinlänglich bekannt, drei Ausstellungsräume musste wegen der irreparablen Klimaanlage gesperrt werden. Wo uns die Tiroler um Welten voraus sind, ist die Einrichtung des 2018 eröffneten Sammlungs- und Forschungszentrums in Hall, wo die über 1 Million Objekte der Landessammlung unter besten Bedingungen unter einem Dach mit all den zuständigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern untergebracht sind. Da haben wir schon neidvoll hingeblickt und dieses Modell könnte, redimensioniert auf die Vorarlberger Größenordnung, Vorbild für das vorarlberg museum sein.
Kultur: Während Sie am vorarlberg museum keine budgetäre Hoheit über den von Ihnen geleiten Betrieb hatten (da die landeseigenen Häuser vorarlberg museum, Landestheater und Kunsthaus der Kulturhäuser Betriebsgesellschaft unterstellt sind), wird das in Tirol anders sein. Dort können Sie selbst entscheiden, wen Sie einstellen und wofür Geld ausgegeben oder wo gespart wird. Macht nicht zuletzt dieser Umstand ihre neue Aufgabe auch attraktiver?
Andreas Rudigier: Das wird sich zeigen. Die Tiroler Landesmuseen werden zwar wie das vorarlberg museum von einer Gesellschaft geführt, aber Unterschiede gibt es doch. Schon beim vorarlberg museum könnte man die Diskussion einer eigenen Gesellschaft führen (als die Kulturhäuser 1997 gegründet wurden, war das Museum eine sehr kleine Einheit), aber in Innsbruck wird die Sache durch die vielen Zugänge an Häusern und Sammlungen noch komplizierter. Vielleicht braucht es in Zukunft auch in Tirol eine kaufmännische Leitung. Insgesamt sind die Systeme auch starrer als bei uns, zumindest wird mir das so gesagt, aber vielleicht lag die oft unkomplizierte Umsetzung hier in Vorarlberg auch an der guten Zusammenarbeit zwischen Werner Döring und mir. Ein großer Konflikt in Tirol war unter meinen Vorgängern die Existenz eines starken Museumsvereins, dem 40 Prozent der Gesellschaft und vor allem Kernbestände der Sammlung gehören. Meinen Vorteil sehe ich darin, dass ich eigentlich gut mit Museumsvereinen kann und auch hier viel Erfahrung habe.

Museale Großbaustellen

Kultur: In den TLM werden Sie einige Herausforderungen, sprichwörtliche Großbaustellen, zu bewältigen haben. Allem voran der ins Stocken geratene Umbau des Landesmuseums Ferdinandeum. Die dafür veranschlagten Umbaukosten mussten kürzlich von 36 Millionen auf 50 Millionen Euro nach oben korrigiert werden. Und ihr Vorgänger dort, der damalige Chef Peter Assmann, hat laut Tiroler Tageszeitung vergangenen Herbst nach nur drei Jahren seinen Vertrag vorzeitig aufgelöst und „frustriert über mangelnden Baufortschritt und sich verzögernde politische Entscheidungen das Handtuch“ geworfen. Von Bauarbeiten gäbe es nach wie vor keine Spur und die Finanzierungszusage des Landes ließe auf sich warten, heißt es. Jetzt müssen Sie diesen Umbau stemmen. Klingt nach einer schwierigen Ausgangsposition. Wie werden Sie an diese Aufgabe herangehen? Was sind Ihre ersten Schritte?
Andreas Rudigier: Ja, mir ist klar, dass meine Zeit in Innsbruck wohl daran gemessen wird, ob dieser Umbau kommt oder nicht. Die Aussagen sind eigentlich eindeutig, der Umbau muss kommen, die Not im Haus ist zu groß, andererseits ist mir auch klar, dass die budgetären Voraussetzungen der öffentlichen Hand unter zunehmenden Druck geraten sind. Zunächst müssen sich auch Land und Verein über den Baurechtsvertrag einigen, eine Voraussetzung für den Regierungsbeschluss. Ich werde mir einen detaillierten Überblick über die Pläne und die zugrundeliegenden Überlegungen verschaffen. Parallel dazu werde ich sicher mit möglichst vielen Menschen sprechen, die im Museum und um das Museum herum aktiv sind. Dazu gehören die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Vertreter des Landes und des Vereins und möglichst auch mit Menschen, die mit kritischem Blick von außen auf die Tiroler Landesmuseen blicken. Jedenfalls können wir bei den Tiroler Museen nicht alles auf einmal angehen, sondern sollten in Etappen in einem Mehrjahresplan, der durchaus zehn Jahre umfassen kann, denken.

Teamwork makes the dream work

Kultur: Sie wurden für diese Aufgabe auch ausgewählt, weil Sie reichlich Erfahrung mit Großbaustellen mitbringen. Auch das vorarlberg museum haben Sie in einer schwierigen Phase des Umbaus übernommen, wenngleich der Tiroler Umbau eine viel größere finanzielle Dimension hat. Was sind Ihrer Erfahrung nach die wichtigsten Erkenntnisse, die Sie hier vielleicht gewonnen haben und dort einbringen können? Worauf kommt es an, damit solche Großprojekte am Ende des Tages erfolgreich sind?
Andreas Rudigier: Naja, in Schruns haben wir es nicht geschafft, das heißt, sie brauchen schon den Willen und das Umsetzen durch den Träger des Museums und damit verbunden keinen Gegenwind aus der Nachbarschaft. Die Bregenzer Erfahrung hat ganz entscheidend mit Kompetenz (der beteiligten Partner), Disziplin, Leidenschaft und auch etwas mit Mut, Durchsetzungsvermögen und Vertrauen zu tun. Und Teamwork! Das Hochbauamt des Landes, natürlich die Architekten, die Kulturhäuser und hier vor allem das sagenhafte Technikteam um Markus Unterkircher sowie die Kolleginnen und Kollegen im Museum wie auch starke Mitspielerinnen und Mitspieler aus der externen Szene hatten entscheidenden Anteil. Und vergessen wir nicht die beteiligten Firmen und deren ehrgeizigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die sich gerade bei so einer prominenten Baustelle nichts nachsagen lassen wollten. Mit anderen Worten: Eine Person allein reicht nicht aus!

„Optimismus gehört bei mir zum Alltag“

Kultur: Der Entwurf für den Umbau des Ferdinandeums stammt von den Feldkircher Architekten Marte.Marte. Das Museum gilt als verstaubt und verschachtelt und soll nun einladender und übersichtlicher werden. Eine aufwändige technische Sanierung ist notwendig. Außerdem sind eine neue Westfassade und ein Veranstaltungssaal auf dem hinteren Bereich des Daches geplant. Neue Ausstellungsflächen entstehen jedoch nicht. Der Startschuss für den Baubeginn soll nach mehrmaligen Verschiebungen nun im Jahr 2024 fallen. Sind Sie optimistisch, dass dieses Datum hält, und setzen die Pläne an den richtigen Hebeln an?
Andreas Rudigier: Optimismus gehört bei mir zum Alltag und das bin ich auch hinsichtlich des Neubaus. Ja, die Pläne setzen an den richtigen Hebeln an: Barrierefreier Zugang, ein großzügiges Entree als öffentlicher Raum und gerade auch der Veranstaltungssaal als wichtige Ergänzung der wiederholten Möglichkeit, auf museale Themen aufmerksam zu machen und diese zu vertiefen, halte ich für wesentlich. Ganz zentral werden für mich Fragen der Nachhaltigkeit und der Umweltverträglichkeit sein. Das interessiert mich schon, was da geplant ist. Vorbehaltlich der Gespräche mit allen Beteiligten denke ich, wird das Ferdinandeum als Tirol-Sammlung oder Tirol-Schatzkammer vor allem die hervorragenden Sammlungen zeigen, ob in inszenierten Schaudepots, in interaktiven Erlebnisausstellungen und/oder in klassischen oder ganz anderen Formaten möchte ich offen lassen. Ich verstehe Museum heute jedenfalls als dynamische Begegnungsorte und nicht mehr als statische Erinnerungsorte, wie das im 20. Jahrhundert lange Thema war.

Neue Ideen gefragt

Kultur: Doch nicht nur das Ferdinandeum scheint größerer Zuwendung zu bedürfen. Auch das Zeughaus und das Tirol Panorama mit Kaiserjägermuseum scheinen nicht gerade Publikumsmagnete zu sein. Letzterem wurde kürzlich sogar das Österreichische Museumsgütesiegel aberkannt, weil es als wenig überzeugend bewertet wurde. Das klingt ja nicht unbedingt nach Einrichtungen, die gut dastehen. Was reizt Sie an solchen Herausforderungen?
Andreas Rudigier: Ja, das Zeughaus braucht tatsächlich neue Ideen. Da schaue ich mir an, wie die jetzt in Entstehung begriffene neue Ausstellung wird und wie die funktioniert. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass künftig das Zeughaus die Funktion eines Tirol Museums übernimmt, durchaus nach dem Vorbild, wie wir das auch in Bregenz kennen. Ein mögliches Schwerpunktthema hatte schon ein Rechnungshofbericht des Jahres 2015 geliefert, als damals unter der Themenführerschaft des Aufsichtsratschef Franz Fischler die alpine Kultur und Natur mit Bezug auf das Tiroler Hochgebirge als mögliches Thema angesprochen wurde. Denken wir Fragen des Klimawandels mit und berücksichtigen wir, dass nicht nur die Forschung auf naturkundlicher Ebene in den Tiroler Landesmuseen Spitzenklasse ist, sondern auch universitäre Institute wie jenes der Hochgebirgsforschung international beachtet sind, dann scheint da schon ein Thema auf der Hand zu liegen.
Das damals neue Tirol Panorama hatten wir mit dem Team des vorarlberg museums 2011/12 besucht. Die Überlegung des Besuchs stand unter dem Motto „Wie das vorarlberg museum nicht werden soll!“. Tatsächlich wird hier ein seltsames Tirol-Porträt gezeichnet und es erweist sich durchaus erwartbar als schwierig, die Ausgestaltung einer Tirol-Ausstellung an eine Agentur auszulagern, wie das damals gemacht wurde. Darüber werden wir diskutieren und vielleicht sind angesichts des fantastischen Panoramas vielmehr Medien wie Fotografie und Film ein Thema für eine begleitende Ausstellung.
Kultur: Bei den TLM werden Ihnen 150 Mitarbeiter:innen unterstellt sein. Ihr Vorgänger Assmann eckte dem Vernehmen nach mit seinem autoritären Führungsstil intern an. Über Sie hört man aus dem Umfeld des vorarlberg museums eher das Gegenteil. Was zeichnet Ihrer Meinung nach die gute Führung so großer Häuser aus?
Andreas Rudigier: Patentrezepte gibt es da nicht und ich bin weit weg davon, zu behaupten, über entsprechende Rezepte zu verfügen. Mein großer Vorteil ist, dass ich Menschen mag, und zwar auch dann, wenn sie mich nicht mögen (lacht). Ich interessiere mich für sie und habe Respekt vor allen Lebensmodellen. Das hilft mir bei der Teamführung wie auch im Umgang mit Kritik. Dazu kommt, dass ich grundsätzlich davon ausgehe, dass die Kolleginnen und Kollegen mehr können als ich und das herauszufinden, braucht Aufmerksamkeit. Letztlich möchte ich niemals einer guten Idee im Wege stehen. Das Prinzip der offenen Tür schafft eine flache Hierarchie und schnelles Weiterarbeiten, womit auch eine Motivationssteigerung einhergeht. Gemeint ist damit, dass, wenn ich im Hause bin, alle (und wirklich alle) unkompliziert sofort mit ihren Anliegen zu mir kommen können.

Überzeugung der Kommission

Kultur: Sie waren einer von elf Kandidat:innen, die sich um Peter Assmanns Nachfolge beworben haben. Nach einer Vorauswahl durch die Expert:innenkommission präsentierten sich die fünf Bestqualifizierten in einem Hearing. Der Kommission gehörten Sabine Haag, Generaldirektorin des Kunsthistorischen Museums in Wien, Frank Matthias Kammel, Generaldirektor des Bayerischen Nationalmuseums, Bettina Leidl, Direktorin des MuseumsQuartiers Wien, Martin Hochleitner, Direktor des Salzburg Museums sowie Angelika Fleckinger, Direktorin des Betriebes der Südtiroler Landesmuseen an. Mit welchen inhaltlichen Schwerpunkten konnten Sie diese hochkarätig besetzte Kommission überzeugen?
Andreas Rudigier: Ich habe eine hohe Wertschätzung gerade aus dem Kreis der Kolleginnen und Kollegen erfahren. Das Hearing selbst lief für mich nicht überzeugend, wurden doch keinerlei Fragen zu den in der Ausschreibung angesprochenen Problembereichen gestellt. Inhaltlich konnte ich nach meiner Einschätzung gar nicht punkten, weil es diesbezüglich nach meiner Einführung keine Diskussion gab. Als ich mich mit der Aufsichtsratsvorsitzenden insofern „anlegte“, indem ich internationale Kunstausstellungen nicht als vorrangiges Ziel eines Landesmuseums sah und mich auch einmal mehr zu der Aussage verstieg, dass mir Besucherzahlen „wurscht“ seien, glaubte ich nicht mehr an meinen Erfolg. Aber ich war persönlich mit mir zufrieden, weil ich Haltung bewiesen hatte. Mir war ja klar, was ich hätte antworten müssen. Im Nachgang zur Besetzung wurde mir aber deutlich, dass meine bisherigen Arbeiten sehr wohl gewürdigt wurden, und das für mich vor allem der Umstand sprach, die in der Führung der Tiroler Landesmuseen zu erwartenden Arbeiten ja alle schon mit durchaus ansprechenden Ergebnissen gemacht zu haben.
Kultur: Unter den drei letzten Favorit:innen der Kommission befand sich auch eine hochqualifizierte Frau. Sie wäre – in den 200 Jahren seit Gründung des Museumsvereins – die erste weibliche Führungsperson an der TLM-Spitze gewesen. In der Tiroler Tageszeitungen werden Sie dazu zitiert mit dem Satz: „Hätte ich gewusst, dass eine Frau mit im Rennen ist, hätte ich gesagt: ,Kein Problem, nehmt’s die Frau!‘“ Ist das Koketterie? Denn, Hergeben würden Sie den Job jetzt ja wahrscheinlich auch nicht mehr wollen?
Andreas Rudigier: Nein, das ist keine Koketterie. Tatsächlich hatte ich während des Bewerbungsverfahrens schon mit Kolleginnen gesprochen, die ich für sehr tauglich hielt, sich für die Direktion in den Tiroler Landesmuseen zu bewerben. Ihre Ablehnung wurde von ihnen unisono mit Familienunvereinbarkeit begründet! Darüber sollten wir diskutieren und, ganz ehrlich, ich stehe hier eindeutig auf der Seite der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, egal ob bei Frau oder Mann und in jedem Fall mit großem Gewinn für ein Unternehmen.
Andererseits halte ich die Frage des Journalisten an mich auch für schwierig. Was sollte ich ihm sagen? Ich habe darauf verwiesen, dass ich zum einen die Mitbewerberinnen nicht kenne und mir auch sonst ein Urteil nicht zustehe. Die Kritik an fehlenden Frauen in Führungspositionen teile ich, habe ich oft öffentlich angesprochen, und kann ich für mich in Anspruch nehmen, bei einer prominenteren Entscheidung in einem österreichischen Museum als externer Experte sehr erfolgreich in einer knappen Entscheidung für eine Frau votiert zu haben. Beim Vorarlberger Landesmuseumsverein wurde nach mir und auf meinen Vorschlag hin auch erstmals eine Frau zur Präsidentin gewählt. Die Zukunft ist weiblich, gerade in den Museen, und bin ich mir sicher, dass die hochqualifizierten Kolleginnen auf Dauer nicht zu verhindern sind.

Im Abgang freundlich

Kultur: Abschließend: Was werden Sie an Ihrer Arbeit in Vorarlberg am meisten vermissen und was überhaupt nicht?
Andreas Rudigier: Auf ersteres habe ich schon geantwortet (meine lieben Kolleginnen und Kollegen!), zweiteres sage ich nicht, sonst werfen sie mich noch vor dem Dezember raus (lacht).


(Raffaela Rudigier-Gerer ist nicht verwandt mit dem Leiter des vorarlberg museums.)

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